"Hiermit verkünde ich mein Vorhaben, eine Märtyreroperation in Ansbach, Bayern, durchzuführen." Mit diesem Worten beginnt Mohammad D. seine Video-Botschaft. Es sei seine Antwort auf die deutschen Bomben in Syrien. "Ihr werdet nicht in Frieden leben, solange ihr den IS bekämpft", droht er. Das Gesicht hinter einem schwarzen Tuch verborgen, gelobt er dem IS-Kommandeur Abu Bakr al-Baghdadi weiter die Treue und schwört, einen Sprengsatz zu zünden.
Mohammad D. ließ seinen hasserfüllten Worten Taten folgen. Am Sonntagabend sprengte er sich in dem beschaulichen Ansbach in die Luft. Wenig später verbreitet der IS sein Bekenner-Video. Doch wer war der Mann, der den ersten islamistischen Selbstmordanschlag in Deutschland verübte? Wie tief war er in den Sumpf der Terroristen verstrickt? Wurde er in Europa angeworben? Oder reiste er bereits mit einer grausamen Ideologie im Gepäck nach Deutschland ein?
Ansbach-Attentäter soll bereits seit Jahren für IS gekämpft haben
Die letzte Frage beantwortet zumindest der IS mit einem Ja. In der vergangenen Nacht veröffentlichten die Dschihadisten einen Nachruf auf den Syrer. In ihrem Newsletter "An Naba" erweisen die Terroristen Mohammad D. die letzte Ehre - als einem der ihren. In einer Art Märtyterbiografie preisen sie den "IS-Soldaten" Abu Yusuf al-Karrar, wie sie den Syrer bezeichnen.
Der Darstellung des IS zufolge, war er bereits seit Jahren ein Mitglied der islamistischen Miliz. Noch im Irak soll er für die Vorgängerorganisation des IS gekämpft haben.
Als sich der syrische Aufstand gegen den Machthaber Baschar al Assad 2011 erhob, soll Mohammad D. nach Aleppo gegangen sein. Dort habe er eine eigene Terror-Zelle formiert, die auf Sprengstoffanschläge mit Granaten auf Autos der Polizei spezialisiert gewesen sei, behauptet der IS.
Informationen über Splitterverletzungen decken sich
2012 soll Mohammad D. schließlich bei Kämpfen bei Aleppo durch Mörsergranaten verletzt worden sein. Lassen sich die zuvor genannten Angaben der Terrormiliz nicht überprüfen, so deckt sich zumindest die Information über Splitterverletzungen mit den Akten der europäischen Behörden. Bei der Obduktion der Leiche des Attentäters wurden in seinen Beinen und Füßen Granatsplitter gefunden. In Wien wurden seine Knie sogar operiert.
Als er Asyl in Deutschland beantragte, behauptete Mohammad D. selbst, dass seine Verletzungen von einem Raketenangriff auf sein Haus in Aleppo stammen. Das geht laut der "Bild"-Zeitung aus seiner Asylakte hervor. Woher seine Verwundungen tatsächlich stammen, ließ sich bislang nicht ermitteln.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Rätselhafter Gönner in Bulgarien
2013 tauchte der 27-Jährige schließlich zum ersten Mal in Europa auf. Am 16. Juli 2013 will er seiner eigenen Darstellung zufolge Syrien verlassen haben. Schlepper sollen ihn nach Bulgarien gebracht haben. Im September 2013 stellte er dort seinen ersten Asylantrag. Zu diesem Zeitpunkt hatte der IS bereits in Syrien sein "Kalifat" ausgerufen.
Doch Bulgarien blieb für Mohammad D. nur eine Zwischenstation. Im April 2014 flog er seiner Asylakte zufolge schließlich von Sofia nach Wien. Diese Passage seines Weges wirft besonders viele Fragen auf. Gegenüber seiner Therapeutin soll er angegeben haben, dass er in Bulgarien einen Syrer gefunden habe, der ihm den Flug spendierte, berichtet die "Süddeutsche Zeitung".
Doch wer soll dieser uneigennützige Samariter gewesen sein? Es ist unwahrscheinlich, dass syrische Flüchtlinge, die in dem Balkanstaat landen, über die finanziellen Mittel verfügen, um einem anderen einen Flug spendieren zu können. Es drängt sich de Vermutung auf, dass der IS möglicherweise die Reise von Mohammad D. finanziert haben könnte - unabhängig davon, ob er erst in Bulgarien angeworben wurde oder bereits in Syrien für die Miliz kämpfte.
Rolle mit 50-Euro-Scheinen und seltene "Ehrung"
In dieselbe Richtung deutet auch die Rolle mit 50-Euro-Scheinen, die bei Mohammad D. gefunden wurden. Darüber berichtete die "Süddeutsche Zeitung". Bayerns Innenminister Joachim Hermann bestätigte dies. "Woher das Geld kommt, können wir heute natürlich noch nicht sagen", sagte Herrmann. Er fügte aber hinzu: "Wenn man diese Geldbeträge in bar gesehen hat, dann ist es unwahrscheinlich, dass das allein aus dem, was ein Asylbewerber in Deutschland als Taschengeld bekommt, bezahlt werden kann." Herrmann verwies zusätzlich auf die Kosten für die Materialien zum Bombenbau. Um wie viel Geld es sich handelte, sagte der CSU-Politiker nicht.
In seinem Nachruf behauptet der IS zumindest die ganze Zeit über mit Mohammad D. in Kontakt gewesen zu sein. Drei Monate soll er an seiner Bombe gebastelt haben, die er schließlich am vergangenen Sonntag zündete.
Die Darstellung des IS lässt sich zwar nicht überprüfen, doch einiges deutet tatsächlich auf eine lange Mitgliedschaft hin. Neben dem rätselhaften Gönner in Bulgarien und der unbekannten Geldquelle spricht vor allem der in dem Bekennervideo erneuerte Treueeid gegenüber dem IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi. Damit bekundete der Attentäter eine offenbar schon länger anhaltende Beziehung zu dem "Kalifen".
Auch der Umstand, dass die Terrormiliz Mohammad D. einen Nachruf widmet, spricht für eine längere Verbindung. Nicht jeder Attentäter wird mit einer Märtyrerbiografie gefeiert.
Herrmann: Attentäter wurde in Chat unmittelbar beeinflusst
Am Mittag gab schließlich eine Äußerung von Bayerns Innenminister Herrmann Anlass für weitere Spekulationen. Seinen Äußerungen zufolge haben die Ermittler in Ansbach Hinweise darauf entdeckt, dass der Attentäter von einer unbekannten Person in einem Chat direkt beeinflusst wurde. "Es hat offensichtlich einen unmittelbaren Kontakt mit jemandem gegeben, der maßgeblich auf dieses Attentatsgeschehen Einfluss genommen hat", sagte Herrmann am Rande einer Kabinettsklausur am Tegernsee. Der "intensive Chat" endete demnach unmittelbar vor dem Attentat.
Herrmann betonte, man wisse noch nicht, wo sich der Chat-Partner des Mannes aufgehalten habe - im Inland oder im Ausland. Auch, wie lange der Chat-Kontakt bereits bestand - Wochen, Monate oder gar noch länger, "noch bevor der Täter überhaupt nach Deutschland gekommen ist" - sei noch unklar.
Auf Nachfragen, ob es sich um einen Kontakt zum IS gehandelt haben könnte oder ob der Attentäter möglicherweise sogar gezielt nach Deutschland eingeschleust wurde, konnte Herrmann nichts sagen: Dies sei Gegenstand der Ermittlungen. Aus dem Chat lasse sich lediglich entnehmen, "dass hier ein anderer Mensch ... schon ganz maßgeblichen Einfluss auf das Agieren dieses Täters genommen hat".
Gutachter: Spektakulärer Suizid möglich
Ein psychologischer Gutachter hatte bei dem Syrer bereits Anfang 2015 einen aufsehenerregenden Suizid für möglich gehalten. Der Mann sei ein "extremer Geist", und es sei ihm "durchaus zuzutrauen, dass er selbst seinen Selbstmord noch spektakulär in Szene setzt", heißt es in einer Stellungnahme eines Therapeuten, die für das Asyl-Gerichtsverfahren des späteren Attentäters erstellt wurde. Und weiter: "Er hat nach dem Tod seiner Frau und seines sechs Monate alten Sohnes nichts mehr zu verlieren."
Ein Sprecher des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg bestätigte diesen Inhalt des Gutachtens, über das zuerst die "Bild"-Zeitung berichtet hatte. Der Syrer war wegen Depressionen und Suizidversuchen in psychiatrischer Behandlung.