Türkei Auch ein "Nein" zur EU möglich

Für den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan kommt nur eine EU-Vollmitgliedschaft in Frage - allerdings nicht um jeden Preis. Bei inakzeptablen Aufnahmebedingungen, wie die geforderte Anerkennung Zyperns, würde er "Nein" zur EU sagen.

An diesem Mittwoch stimmt das EU-Parlament in Straßburg über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ab. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geht davon aus, dass die EU-Staats- und Regierungschefs die Aufnahme von Verhandlungen empfehlen werden. Am Dienstag stellte er in Ankara noch einmal klar, dass sein Land am Ende der Verhandlungen nur eine Vollmitgliedschaft akzeptieren werde. Eine andere Perspektive - wie die beispielsweise von CDU-Chefin Angela Merkel geforderte privilegierte Partnerschaft - komme nicht in Frage.

Die Türkei will nicht jede Bedingung der Europäischen Union für Beitrittsverhandlungen akzeptieren. Erdogan sagte am Dienstag vor Botschaftern der EU in Ankara, er werde nicht zögern, "Nein" zur EU zu sagen, wenn die Bedingungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen inakzeptabel seien. So gibt es unter anderem vermehrt Forderungen, dass die Türkei Zypern vor dem Beginn von Verhandlungen anerkennen muss. Ankara lehnt dies kategorisch ab.

Hintergrund: Zypern

Die Mittelmeerinsel Zypern ist geteilt. Der griechisch-zyprische Teil ist international anerkannt und inzwischen Mitglied der EU, im türkischen Teil sind seit der türkischen Invasion 1974 Truppen stationiert. Dieser Teil wird nur von der Türkei anerkannt. Im griechisch-zyprische Teil demonstrierten am Dienstag hunderte Menschen für ein Veto ihres Landes gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, wenn die Regierung dem Land weiter die Anerkennung verweigert. In jüngsten Meinungsumfragen hatte sich eine deutliche Mehrheit der Zyprer gegen die Aufnahme der Türkei ausgesprochen, ungeachtet der Frage, ob Zypern anerkannt wird oder nicht.

Ein Stimmungsbarometer aus Straßburg

Die Abstimmung des EU-Parlaments wird auf Initiative der Christdemokraten in geheimer Wahl stattfinden. Es wird mit einer Mehrheit für die Aufnahme von Verhandlungen mit Ankara gerechnet. Das Votum ist für die Mitgliedstaaten der EU aber nicht bindend, sondern dient eher als Stimmungsbarometer. Die Staats- und Regierungschefs treffen ihre Entscheidung am Donnerstag und Freitag auf einem Gipfeltreffen in Brüssel.

Beitrittsverhandlungen mit der Türkei könnten ab Oktober oder November 2005 aufgenommen werden. Die Verhandlungen sollten das klare Ziel einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU haben. In der Abschlusserklärung werde jedoch ebenfalls festgehalten, dass die Gespräche ergebnisoffen seien. Ein Beitritt des Landes sei frühestens 2015 möglich. Ergebnis der Verhandlungen müssten Reformen in der türkischen Wirtschaft und Gesellschaft sein, die weit über die bislang umgesetzten Reformen hinausgingen.

Schröder und Blair sprechen sich für Verhandlungen aus

Die Beitrittsfrage war am Dienstagabend auch Thema eines Treffens von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem britischen Premierminister Tony Blair in London. Großbritannien ist in der Europäischen Union einer der stärksten Befürworter zügiger Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Auch Schröder hat sich wiederholt für Verhandlungen ausgesprochen, wobei das Ziel der Gespräche der Beitritt sein müsse.

In einem Beitrag für die "Bild"-Zeitung warnte Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) davor, der Regierung in Ankara Beitrittsverhandlungen zu verwehren. "Der Türkei die Tür zur EU vor der Nase zuzuschlagen würde bedeuten: In Ankara würden jene Kräfte gestärkt, die Europa und seine demokratischen Traditionen ablehnen. Das kann und darf niemand wollen!" Dagegen warnte der CDU- Außenexperte Wolfgang Schäuble in der Zeitung vor den Risiken eines Beitritts. Man könne die Menschen nicht für Europa gewinnen, wenn man die EU ins Grenzenlose überdehne.

Die FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin bezeichnete die Debatte um eine privilegierte Partnerschaft als irrelevant. "Das sind leere Worthülsen der CDU/CSU, um sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen", sagte Koch-Mehrin der in Straßburg. Sie sprach sich für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus, warnte aber vor zu großer Eile. "Wir dürfen uns nicht wieder wie bei der EU-Erweiterung im Mai unter Druck setzen lassen", sagte die Vorsitzende der FDP im Europaparlament und Vize-Vorsitzende der Fraktion Allianz von Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE).

DPA · Reuters
DPA/Reuters