Tunesien Ohne Illusion zur Urne

Zu befürchten hat Tunesiens Staatschef Ben Ali bei der Präsidentenwahl nichts. Schon ein Ergebnis unter 90 Prozent für den Amtsinhaber wäre eine Überraschung. Kritiker sprechen von einer "Wahl-Maskerade".

Der tunesische Staatspräsident Zine El Abidine Ben Ali ist seit 17 Jahren an der Macht, hat sein Land voll im Griff und wird regelmäßig mit mehr als 99 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Bei der am Sonntag (24. Oktober) anstehenden Präsidentenwahl hätte der 68-jährige Autokrat eigentlich nicht mehr antreten dürfen. Doch Ben Ali hat sich durch ein Referendum zu einer Verfassungsänderung im Mai des Jahres 2002 - erneut mit 99,5 Prozent Zustimmung - den Weg ebnen lassen, jetzt und auch noch weiterhin sich selbst nachfolgen zu dürfen.

Kleinstschritte zur Demokratie

Die 4,6 Millionen Wahlberechtigten des zwischen Algerien und Libyen gelegenen Mittelmeeranrainers Tunesien gehen also ohne jede Illusion und Zweifel am Wahlausgang zur Urne. Wie klein die Schritte des Landes zu einer echten Demokratie sind, zeigt der Vergleich mit den Wahlen im Oktober 1999. Damals hatten die Tunesier erstmals in der Geschichte des seit 1956 unabhängigen Landes die Wahl - zwischen drei Kandidaten. Diesmal sind es vier. Drei Kandidaten der Opposition treten an mit dem Motto: Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie.

Kritische Stimmen in Tunesien sprechen von "Wahl-Maskerade" oder "Fassaden-Pluralismus" in einem Land der Repression bei gleichzeitigem technischem und wirtschaftlichem Aufstieg. Ben Ali suche sich seine "Gegner" und die Abgeordneten der "Opposition" aus, so bemängelt der tunesische Journalist Kamel Labidi in der jüngsten Ausgabe von "Le Monde diplomatique" - die in Tunis an den Kiosken unauffindbar ist. Ben Ali habe den Verfassungsrat mit Gefolgsleuten besetzt, und dieses Gremium entscheide, welche Kandidaten ins Rennen gehen dürfen. Der Internationale Verband der Menschenrechtsligen (FIDH) in Paris nennt Ben Alis 99-Prozent-Resultate eines Diktators würdig und kritisiert eine verschärfte Einschüchterungskampagne gegen Gegner im Wahlkampf.

Zu befürchten hat Ben Ali dabei nichts. Politische Beobachter meinen, ein Ergebnis klar unter den für ihn üblichen etwa 99 Prozent müsste ihm doch eigentlich ganz recht sein. Die Welt könnte dies als einen kleinen Schritt auf dem tunesischen Weg zur Demokratie werten. Schon ein Ergebnis unter 90 Prozent für den Amtsinhaber wäre eine Überraschung, stehen doch die legalen Gewerkschaften hinter ihm und die allmächtige Regierungspartei RCD (Rassemblement Constitutionnel Démocratique - Demokratische Verfassungspartei). Auch deren Sieg bei den gleichzeitigen Parlamentswahlen in den 26 Bezirken steht vorher schon fest - trotz der fünf Oppositionsparteien auf den Wahllisten.

Mit ihren nach Parteiangaben mehr als zwei Millionen Mitgliedern bei gut zehn Millionen Einwohnern kontrolliert die RCD das Land bis in den winzigsten Weiler. "Wir sind eine alt eingesessene, fürsorgliche Organisation mit Wurzeln in der Zeit des Befreiungskampfes", erklärt RCD-Generalsekretär Ali Chaouech der dpa die Macht seiner Partei.

Bemerkenswert hoher Lebensstandard

Ben Ali war durch einen unblutigen Staatsstreich ans Ruder gekommen. Nach der Amtsübernahme von dem damals 80-jährigen Habib Bourgiba bugsierte er Tunesien mit sozialen und wirtschaftlichen Reformen in die Modernität. Die Tunesier genießen einen für Afrika bemerkenswerten hohen Lebensstandard, Investoren die technologische Aufgeschlossenheit bei politischer Stabilität und Millionen Urlauber die Sandstrände mit weitgehend sicherer Umgebung und billigen Hotels.

Nicht in das Bild eines sicheren Landes passte der Anschlag des Terror-Netzes El Kaida im April 2002 auf der Ferieninsel Djerba - 21 Menschen starben, darunter 14 Deutsche. Ben Alis Politik ist es, mit allen Mitteln ein Bollwerk gegen radikale Islamisten zu sein, ein Verbündeter Washingtons im Kampf gegen den internationalen Terror und ein immer engerer Wirtschaftspartner der Europäischen Union. Wer da noch nach den Menschenrechten fragt, erhält oft zur Antwort: "Wollen Sie, dass unser Land so wie Algerien in Chaos und Anarchie versinkt?"

Während die Inflation ebenso Probleme aufwirft wie der massive Mangel an Arbeitsplätzen, weht der Konjunkturwind günstig. Und für Frauen hat Ben Ali schon immer viel getan. Bei den Parlamentswahlen muss jetzt erstmals jeder vierte Kandidat weiblich sein. Doch auch das dürfte viele Tunesier nicht dazu bewegen, Wahllokale aufzusuchen. Denn die Würfel sind nach all ihren Erfahrungen doch längst gefallen.

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Hanns-Jochen Kaffsack/DPA