Ukraine-Krieg Der Neuanfang in der Fremde überfordert. Manche Geflüchtete kehren deshalb in die Ukraine zurück

Menschen versuchen am Bahnhof von Lwiw nach Polen zu fliehen
Menschen versuchen am Bahnhof von Lwiw nach Polen zu fliehen. Einige wählen aber den Weg zurück in die Stadt im Westen der Ukraine.
© Mykola Tys/SOPA Images via ZUMA Press Wire / DPA
Millionen von Menschen sind aus der Ukraine vor dem Krieg in Richtung Westen geflohen. Doch einige scheint das neue Leben zu überfordern; sie haben Angst davor, dass man sich langfristig nicht um sie kümmern wird. Deshalb kehren einige zurück in das Kriegsland.

Der Bahnhof im westukrainischen Lwiw ist voller Menschen auf der Flucht. Sie streiten sich um die Plätze in den Zügen Richtung Polen. Auf einem trostlosen Bahnsteig abseits der Haupthalle stehen nur wenige: Geflüchtete, die wieder in die Ukraine zurückkehren.

Fünf Tage seien sie unterwegs gewesen, erzählt Switlana Natalucha und wischt ihrem Enkel die Tränen aus dem Gesicht. Von ihrem Haus im schwer bombardierten Charkiw im Osten, zuerst nach Lwiw (Lemberg), von dort aus nach Polen. Und nun sind sie wieder zurück in der Ukraine. Sie sind zu viert: die 60 Jahre alte Großmutter, die 28 Jahre alte Tochter Galyna Kanuka und die beiden Enkelkinder.

Hunderte Menschen fahren in die Ukraine

Kanuka kauert zwischen dem Gepäck, um sich gegen die Eiseskälte auf dem Bahnsteig zu schützen. Sie seien in Polen gut aufgenommen worden, sagt sie. "Die Freiwilligen haben uns sehr geholfen." Aber sie hätten weiterfahren und wieder Hilfe finden müssen. Die Aussicht, in einem fremden Land mit fremder Sprache neu anzufangen, hat sie überfordert. Zumal eines der Kinder krank ist und behandelt werden muss. Deshalb haben sich die Frauen entschieden, trotz des Krieges in ihre Heimat zurückzukehren.

Seit Beginn der russischen Invasion vor drei Wochen flohen laut Angaben der Vereinten Nationen mehr als drei Millionen Menschen aus der Ukraine. Wie viele wieder umkehrten, weiß niemand. Mindestens drei Züge mit 100 bis 250 Menschen fuhren diese Woche aus der polnischen Stadt Przemysl nach Lwiw, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP beobachteten.

Unter den Passagieren sind ausländische Freiwillige, die für die Ukraine kämpfen wollen und Menschen, die Hilfsgüter transportieren. Bei den meisten jedoch handelt es sich um Frauen und Kinder mit ukrainischen Pässen. "Kehrt nach Hause zurück, die Heimat wartet auf euch", steht auf einem handgeschriebenen Schild am Bahnhof von Lwiw.

"Sie haben das Gefühl, dass man sich langfristig nicht um sie kümmern wird"

Oleksandr arbeitet als Zugführer auf der Strecke Przemysl-Lwiw. Manchmal säßen bis zu 300 Leute im Zug zurück in die Ukraine, sagt er. "Am Anfang war das nicht der Fall, aber in letzter Zeit kommen viele Frauen mit Kindern zurück."

Obwohl viele Länder, besonders in der Europäischen Union, Aufnahme und Hilfe zusichern, ist die Angst vor einem Neuanfang in der Fremde bei vielen Vertriebenen groß. "Sie haben das Gefühl, dass man sich langfristig nicht um sie kümmern wird", sagte Oleksandr im Führerhaus des zischenden Triebwagens. "Eine Frau sagte, sie sei dort ein paar Tage obdachlos gewesen und es sei besser, in die Ukraine zurückzukehren."

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Am Bahnhof im polnischen Przemysl wimmelt es von Freiwilligen, die Essen, Unterkunft und die Weiterreise anbieten. Die Züge zurück nach Lwiw zeigt die Abfahrtstafel gar nicht an. Wer in die Ukraine will, muss gegen den Strom der Ankommenden durch eine Tür bei der Passkontrolle, auf der steht "Kein Eingang".

"Wir hoffen, dass sie in Lwiw sicher sein werden"

Die spärlich besetzten Züge beginnen ihre 90 Kilometer lange Reise nur wenig entfernt von der Straße, auf der sich die Autos der Geflüchteten stauen. Auf polnischer Seite überfliegen Hubschrauber das Grenzgebiet. Ist der rostige Stacheldrahtzaun an der Grenze passiert, sind vom Zug aus die mit ukrainischen Flaggen markierten Kontrollposten zu sehen.

In Lwiw, obwohl weit entfernt von den Frontlinien, sind die Fenster mit Sandsäcken verstellt und die ganze Nacht hindurch warnen Sirenen vor Luftangriffen. Am Sonntag wurde ein Militärstützpunkt in der Nähe getroffen, etwa 35 Menschen starben.

Switlana Natalucha und ihre Familie wollen trotzdem in der Stadt bleiben. "Wir wollten, dass die Kinder in Polen in Sicherheit sind, aber wir haben es nicht geschafft", sagt sie. "Wir hoffen, dass sie in Lwiw sicher sein werden."

AFP
rw / Joe Stenson