Eine elektronische Fußfessel hält den Mann Gottes auf Erden. Genauer gesagt in seinem Anwesen unweit des Hauptstadtflughafens. Ein Gericht hat den Metropoliten Pawlo, den Abt des weltberühmten Kiewer Höhlenklosters, für vorerst zwei Monate unter Hausarrest gestellt. Der Vorwurf: Pawlo soll zu religiösem Hass angestachelt und den russischen Angriffskrieg gerechtfertigt haben. Mit anderen Worten: Er habe mit dem Feind kollaboriert.
Die 60-tägige Zwangserdung sei als Präventivmaßnahme zu verstehen, teilte der zuständige Untersuchungsrichter mit. Er dürfe "im Rahmen des Strafverfahrens nicht mit Zeugen sprechen", hieß es. Der ukrainische Geheimdienst SBU hatte den Klostervorsteher beschuldigt, die "Aggression der russischen Armee gegen die Ukraine zu rechtfertigen und abzustreiten und ihre Mitglieder zu verherrlichen". Außerdem soll der Metropolit gegen die "Gleichstellung der Bürger" verstoßen haben. Gleichzeitig sollen die in der Klosteranlagen lebenden Mönche der einst mit Moskau assoziierten Ukrainischen-Orthodoxen Kirche ihre Quartiere verlassen – die Regierung hatte einen Räumungsbeschluss erwirkt, dessen Frist bereits abgelaufen ist.
Die Festsetzung des Klostervorstehers, der Rausschmiss der Geistlichen und der Besitzerwechsel des vielleicht bekanntesten Gotteshauses des Landes ist lediglich die nächste Eskalationsstufe eines ausufernden Streits zwischen Staat und der einst größten und einflussreichsten Kirchen der Ukraine.
Christentum in der Ukraine: zwei Anbieter aus zwei Welten
Der Markt ist groß: Rund 70 Prozent der Ukrainer bekennen sich zum Orthodoxen Christentum. Im Wesentlichen konkurrieren zwei große Anbieter um das Seelenheil der Gläubigen.
Auf der einen Seite ist da die von Russland unabhängige Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU), die 2018 mit dem Segen des griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomäus gegründet wurde. Auf der anderen Seite ist da die zum Verwechseln ähnlich klingende, aber über Jahrhunderte der Moskauer Mutterkirche unterstellte Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK). Zwar hatte auch die sich im Mai 2022 von Russland und damit vom Moskauer Patriarchen, dem Putin-Vertrauten Kyrill I., losgesagt. Trotzdem werfen Parlamentarier und Geheimdienstler der Institution weiterhin vor, ein außenpolitisches Werkzeug der russischen Muttergemeinde und damit des Kremls zu sein.
Regierung kündigt der UOK den "Mietvertrag" für das Höhlenkloster
Die ukrainische Regierung hatte seit Wochen versucht, die rund 200 Mönche und Seminaristen aus dem Kloster zu werfen. Kultusminister Olexander Tkatschenko hatte den Pachtvertrag der UOK zum 29. März gekündigt – wie ein Vermieter, der Eigenbedarf anmeldet. Noch vergangene Woche hatten ukrainische Behörden es den UOK-Geistlichen verboten, die namensgebenden Höhlen unter dem Klosterkomplex zu besuchen, in denen Mönche begraben sind und die Reliquien beherbergen.
Das prestigeträchtige Heiligtum mit seinen goldenen Kuppeln geht nun an die Konkurrenz-Kirche, an die OKU. Größer hätte der Zaunpfahl kaum sein können. Die Razzia im Kloster und die Festsetzung seines Vorstehers war somit auch eine Demonstration der weltlichen Macht, und so gesehen auch ein Faustschlag von Präsident Wolodymyr Selenskyj, dem die UOK schon seit Monaten ein Dorn im Auge ist.
Dass die UOK wirklich als Spionagenetzwerk des Kreml dient, bezweifelt der katholische Theologe und Osteuropa-Experte Thomas Bremer gegenüber der Deutschen Welle. Schließlich habe sich die UOK vom ersten Kriegstag an klar gegen Putin und dessen Angriffskrieg positioniert. Zwar erklärt Metropolit Kliment, ein Sprecher der Kirche, laut einem Bericht "New York Times" , er könne nicht garantieren, dass alle UOK-Priester aufseiten der Ukraine stünden. Allerdings, so sein grundlegend berechtigter Einwand, könne das wohl kein Berufsstand von sich behaupten.
Bachmut vor dem Fall. Bilder einer Schlacht, die nicht enden darf

Schon fast ein Jahr lang kommt es in der 75.000-Einwohner-Stadt zu Auseinandersetzungen mit prorussischen Separatisten. Bereits im Frühjahr gleichen manche Ecken Bachmuts Trümmerfeldern.
Pawlo selbst hatte freilich vehement bestritten, die russische Invasion in irgendeiner Weise zu rechtfertigen, oder gar gutzuheißen. In einem von ukrainischen Medien verbreiteten Video betonte er kurz nach der Razzia: "Ich habe es gesagt, ich sage und ich werde es sagen: Ich verurteile alle Angriffe auf unseren Staat, und was Russland und Putin getan haben, ist nicht zu rechtfertigen." Nun ist Pawlos Weste aber nicht so blütenweiß, wie er suggeriert. Dem "Spiegel" zufolge nennen ihn Kritiker wegen seines Faibles für Luxusautos "Pascha Mercedes". Seinen prestigeträchtigen Posten soll Pawlo immer wieder zur Einmischung in die Politik und zur Verbreitung kruder Verschwörungstheorien genutzt haben. Nun steht Pawlo allerdings nicht für den Otto Normalgläubigen.

Warum Kiew die UOK zerschlagen will
Dass Hunderte Gläubige vor den Klostermauern gegen Pawlos Verhaftung demonstrierten, ist die eine Sache. Was der UOK in der aktuellen Situation allerdings nicht gerade hilft, sind die Solidaritätsbekundungen aus Russland. Nicht nur das einstige Moskauer Mutterschiff kritisierte das Vorgehen der Kiewer Behörden als "abscheuliche Handlung". Auch namhafte russische Politiker wie Ex-Präsident Dmitri Medwedew sprangen der UOK ungefragt zur Seite.
Auch ist es kein Zufall, dass die zu räumenden Teile Klosteranlage nun an die OKU gehen. Die "Konkurrenzkirche" wurde 2018 (ein Jahr, bevor Selenskyj Präsident wurde) mit Hilfe der Regierung gegründet, um dem russischen Einfluss entgegenzuwirken. Das Problem ist, dass die OKU vom Großteil der orthodoxen Kirchen nicht anerkannt wird – was wiederum die Legitimation ihrer Würdenträger in Frage stellt. Laut einem Bericht der "Deutschen Welle" hat die Debatte um die OKU die Orthodoxe Kirche weltweit in gespalten – eine Lösung sei nicht in Sicht.
Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche als Symbol der Spaltung
Seit nunmehr 13 Monaten gilt in der Ukraine: Alles und jeder hat sich der nationalen Sicherheit unterzuordnen. Die Angst vor Verrat ist enorm. Da wundert es wenig, dass eine Institution, die lange per Definition an Moskau gebunden war, einen besonders schweren Stand hat. In den vergangenen Monaten waren Dutzende Priester und Mönche der UOK verhaftet worden, weil sie angeblich für den Kreml spioniert hatten. Im Winter hatte der SBU Razzien in Klöstern im ganzen Land durchgeführt, um "das ganze Milieu feindlicher Maulwürfe in Soutanen säubern", wie es hieß.
Hinzukommt, dass die UOK ein Hindernis der fortschreitenden Ukrainisierung des Landes ist. Fast ein Jahrzehnt der militärischen Auseinandersetzung mit Russland haben das sprachlich und kulturell diverse Volk zusammenrücken lassen. Die UOK steht hingegen als Relikt für "die alte", will heißen: pro-russische Ukraine – egal, welchen Wandel sie ihrerseits durchgemacht haben mag. Die von Selenskyj-Vorgänger Petro Poroschenko forcierte Abspaltung der OKU war sicherlich Teil seines Wahlkampfes – "Armee"! Sprache! Glaube!" lautete sein Slogan. Die Behörden halfen den Gläubigen sogar beim Übertritt von UOK zur OKU, schreibt das Nachrichtenmagazin "American Conservative".
Als Selenskyj das Präsidentschaftsrennen 2019 für sich entschied, erklärte er zunächst, sich aus kirchlichen Angelegenheiten herauszuhalten. Der Krieg änderte das, wie er so vieles änderte. Heute behauptet Selenskyj, der Rauswurf der UOK-Geistlichen aus ihrem Zuhause sei für die "geistige Unabhängigkeit" der Ukraine notwendig. Es gehe "um politische Erpressung: Entweder ihr wechselt zur Orthodoxen Kirche der Ukraine, oder ihr verschwindet", sagt Kliment dem "Spiegel".
Das harte Vorgehen der ukrainischen Behörden gegen die UOK hat längst Symbolcharakter. Trennung von Staat und Kirche sieht anders aus.
Quellen: "Deutsche Welle"; "New York Times"; "American Conservative"; "Spiegel"; (Bezahlinhalt); AFP