Mit einer Großkundgebung in Kiew hat die Ukraine am Dienstag den ersten Jahrestag ihrer "Revolution in Orange" gefeiert. "Das ist die wahre Unabhängigkeit, die nach 14 Jahren über das ukrainische Land gekommen ist", sagte Präsident Viktor Juschtschenko vor geschätzt hunderttausend begeisterten Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz der Hauptstadt. Er rief alle Kräfte, die damals zu dem demokratischen Aufbruch beigetragen hatten, zur Einheit auf.
Noch lauter als "Juschtschenko" rief die Menge indes "Julia" und feierte die im September entlassene Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Die charismatische Anführerin des Machtwechsels vom vergangenen Winter wurde auf Händen zur Bühne getragen. Sie warnte davor, dass die Vertreter der abgewählten Staatsmacht bei der Parlamentswahl im kommenden März wieder erstarken könnten. "Wir dürfen keine Revanche zulassen", sagte sie.
Juschtschenkos Anhänger sind enttäuscht
Am 22. November 2004, einen Tag nach der zweiten Runde der Präsidentenwahl, hatten in Kiew Massendemonstrationen gegen Wahlfälschungen zu Gunsten des damaligen Regierungschefs Viktor Janukowitsch begonnen. Anfang Dezember ordnete das Oberste Gericht der Ukraine einen dritten Wahlgang für den 26. Dezember 2004 an, den Juschtschenko gewann. Unter internationaler Vermittlung trat das Regime von Präsident Leonid Kutschma friedlich ab.
Wie vor einem Jahr wogte auf dem Platz im Zentrum von Kiew ein Meer von orange-farbenen Fahnen. Auch die Zelte erschienen wieder, in denen jugendliche Demonstranten damals wochenlang ausgeharrt hatten. Mittlerweile sind viele Anhänger Juschtschenkos jedoch enttäuscht, weil der wirtschaftliche Aufschwung der Ukraine ins Stocken geraten ist. In der Stadt Donezk in der Ostukraine gab es am Dienstag Kundgebungen gegen die Führung.
Kuss zur Wiederannäherung
Zum Dank für ihre Unterstützung hatte Juschtschenko Timoschenko zunächst zur Ministerpräsidentin gemacht, sie im September aber nach heftigem Streit in der Führungsspitze entlassen. Der gemeinsame Auftritt am Dienstag, besiegelt mit einem Begrüßungskuss auf der Bühne, galt als ein Zeichen der Wiederannäherung.
Unterdessen bestätigten neue gerichtsmedizinische Untersuchungen eine Vergiftung Juschtschenkos mit Dioxin, wie seine Sprecherin Irina Geraschtschenko sagte. Offiziell solle der Befund noch von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt werden, die wegen eines Anschlags vom September 2004 auf den damaligen Oppositionsführer ermittelt.
Die "Revolution in Orange" und der Sieg des westorientierten Juschtschenko gelten als Niederlage für den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der offen für Janukowitsch eingetreten war. In die Feierstimmung in Kiew hinein sagte Russland ein für Mittwoch geplantes Treffen der Regierungschefs beider Länder ab.