Tag acht, die russischen Angriffe auf die Ukraine dauern an. In Europa herrscht Krieg. Ein Umstand, der Olaf Scholz überallhin folgt.
Der Antrittsbesuch in Israel ist für jeden Bundeskanzler ein wichtiger Termin. Doch die eigentlich für drei Tage geplante Reise wird nicht einmal 24 Stunden dauern. Das Kriegsgeschehen erfordert alle Aufmerksamkeit.
"Wir sind in großer Sorge über die weitere Entwicklung des Konflikts", sagte Scholz am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit dem israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in Jerusalem. Er forderte Russland erneut dazu auf, alle Kampfhandlungen in der Ukraine einzustellen. "Es geht darum, dass die Diplomatie wieder eine Chance bekommt", so Scholz.
Aber welche Chance hat die Diplomatie noch?
"Die Gespräche werden keinen Ausweg aus dem Krieg bieten"
Ukrainische Großstädte und Vororte stehen weiter unter heftigem Beschuss. Den USA zufolge nimmt das russische Militär zunehmend Zivilisten ins Visier. Der Kreml drohte mit "Konsequenzen", die man "noch nie erlebt" habe und versetzte die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft.
Russland reagierte damit auf die scharfen Wirtschaftssanktionen der westlichen Allianz. Parallel schicken mehrere Länder, nicht zuletzt Deutschland, Waffen und Geld in die Ukraine. "Wir werden einen vollständigen wirtschaftlichen und finanziellen Krieg gegen Russland führen", sagte Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire am Dienstag.
Die Wortwahl nahm er später zurück, die Beschreibung zeigt aber: Die Eskalationsspirale dreht sich.
Zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn finden am Donnerstag Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine statt. Wie kann es zu einer Deeskalation im Ukraine-Krieg kommen? Das ist die große Frage, die über allem schwebt.
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

"Die Erfolgschancen einer diplomatischen Lösung halte ich für sehr gering", sagt der Politologe und Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck zum stern. "Die Gespräche zwischen der Ukraine und Russland, die man eigentlich nicht als Verhandlungen bezeichnen kann, werden keinen Ausweg aus dem Krieg bieten." Russland beharre auf seinen Forderungen, die "nichts anderes als eine militärische und politische Kapitulation" der Ukraine bedeuten würden.
Am Donnerstag betonte Russlands Außenminister Sergej Lawrow zwar die Dialogbereitschaft seines Landes, forderte den Westen aber dazu auf, auf die russischen Bedingungen einzugehen. Präsident Wladimir Putin hatte als Prämisse für ein Ende der russischen Invasion etwa deren Entmilitarisierung sowie eine Anerkennung der von Russland annektierten Krim als russisches Territorium ausgegeben.
"Die Ukraine wird die russischen Forderungen nicht akzeptierten", so Politologe Mangott. "Daher erwarte ich durch die Gespräche keine Exit-Strategie aus der militärischen Krise." Was folgt daraus?
Ein unlösbares Dilemma?
Der Krieg in der Ukraine ist offenbar nicht so verlaufen, wie Moskau sich das vorgestellt hat. Die russischen Truppen stoßen auf mehr Widerstand als erwartet. Und Putin ändert offenbar seine Strategie: Standen zu Beginn der russischen Invasion noch militärstrategische Ziele im Fokus, häufen sich nun die Berichte über Luftangriffe auf zivile Infrastruktur – und zivile Todesopfer.
"Die Ukraine kämpft buchstäblich um das Leben", sagte Bundeskanzler Scholz am Dienstag. "Wir dürfen uns nichts vormachen: Das wird jetzt noch eine ganz, ganz dramatische Zeit werden." Die bisherigen Bilder von Opfern und Zerstörungen "werden nur ein Anfang sein von dem, was wahrscheinlich noch kommt", sagte er voraus.
Das Problem: Für Putin sei klar, dass er nicht mehr zurück und nur noch nach vorne kann, so Politologe Mangott. "Er muss die militärischen Handlungen brutalisieren, nur so kann er seine Ziele noch erreichen." Gesichtswahrend komme Putin nicht aus diesem Konflikt heraus. "Er kann nicht von seinen Forderungen zurückweichen, mit denen er diesen Krieg begründet hat. Es wäre nach den Ereignissen der vergangenen Tage geradezu absurd", so Mangott. Sein Einlenken wäre ein "außenpolitisches Fiasko" für Russland und würde "nicht zuletzt eine Kriegsniederlage" bedeuten.
Gleichzeitig ist nicht zu erwarten, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den russischen Forderungen nachgibt. "Das will weder er, noch eine Mehrheit der Bevölkerung", so Mangott. "Sollte er die Forderungen dennoch akzeptieren, würde ihm ein Sturz von unten drohen."
Die Ukraine beharrt auf ihrer Position, ebenso Russland – ein unauflösbares Dilemma?
"Ich sehe nicht, wie Putin noch eine Brücke gebaut werden kann", sagt Mangott. "Ich gehe davon aus, dass Russland die ukrainische Regierung stürzen und eine Marionetten-Regierung einsetzen wird."
Angebliche Informationen über entprechende Pläne Russlands machte der britische Geheimdienst schon Ende Januar öffentlich. Demnach wollte der Kreml eine prorussische Führung in der Ukraine durchsetzen. Zuletzt rief Putin die ukrainische Armee dazu auf, Präsident Selenskyj und sein Umfeld zu stürzen, die er als "Bande von Drogenabhängigen und Neonazis" und "Terroristen" verunglimpfte.
"Die Frage ist nur, wie sich eine russische Marionetten-Regierung in der Ukraine dauerhaft halten kann", sagt Politologe Mangott. Das sei nur mit einer andauernden Besatzung möglich, die teuer und militärisch riskant wäre. "Die Besatzung würde die Opferzahlen der russischen Soldaten immer weiter hochtreiben und zu einer Aufstandsbewegung in der Ukraine führen, die durch zivilen Ungehorsam gegen die Besatzung und die neuen Machthaber vorgehen würde."
CDU-Außenpolitiker Röttgen: "Putin hat kein Interesse an diplomatischen Lösungen"
Eine diplomatische Lösung zeichnet sich nicht ab. Und der moralische Druck auf die westliche Allianz könnte wachsen, selbst militärisch aktiv zu werden – ein Szenario, das allen voran die Nato und USA wiederholt eine Absage erteilen. "Das ist ein Weltkrieg, wenn Amerikaner und Russen beginnen, aufeinander zu schießen", warnte US-Präsident Biden bereits vor der Invasion.
Auch für Bundeskanzler Scholz kommt eine militärische Einmischung der Nato nicht infrage. "Wir werden nicht militärisch eingreifen. Das gilt für die Nato, das wird sie nicht tun, und auch für alle anderen. Das wäre in dieser Situation falsch", sagte Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Israel am Mittwoch. "Was wir tun, ist zu unterstützen", stellte der Kanzler klar. Er werde sich dafür einsetzen, dass die Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine bald fortgesetzt werden – damit die Diplomatie wieder eine Chance bekomme.
"Putin hat unzweifelhaft kein Interesse an irgendwelchen diplomatischen Lösungen", sagt der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen zum stern. "Alles, was von russischer Seite hierzu stattfindet wie etwa die Gespräche mit der Ukraine ist reine Scheindiplomatie." Es sei wichtig, dass vor allem in Europa nicht "schon wieder Naivität im Umgang mit Putin" ausbreche, so Röttgen. "Dass der Westen alles für eine friedliche Lösung tut und bereit ist zu tun, ist selbstverständlich."
Tag acht, die russischen Angriffe auf die Ukraine dauern an. In Europa herrscht Krieg. Und die Chancen auf eine diplomatische Lösung erscheinen schwindend gering.