Francis Fuyukama Er rief "Das Ende der Geschichte" aus, jetzt hat er zwölf Thesen zum Ukraine-Krieg, die Mut machen

Zerschossener russischer Panzer in der Ukraine und Francis Fuyukama
Zerschossener russischer Panzer in der Ukraine: Der US-Politologe Francis Fuykama (kl. Foto) ist überzeugt, dass Russland auf eine klare Niederlage zusteuert.
© Press Service of Ukrainian Groundforces / AFP
Wie und wann endet der Ukraine-Krieg? Und was wird daraus folgen? Der US-Politologe Francis Fuyukama hat sich "aus dem Fenster gelehnt" und zwölf Thesen aufgestellt, die Mut machen, aber nicht in Stein gemeißelt sind.

Als 1989 die Berliner Mauer fiel, war für Francis Fuyukama das "Ende der Geschichte" gekommen. Sein gleichnamiges Buch wurde zum Bestseller. Gemeint hat der US-Politologe, dass mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges auch die Entwicklung politischer Systeme zu einem Ende gekommen sei – hin zur liberalen Demokratie. Totalitäre Systeme wie Kommunismus oder Faschismus stellten demnach keine politischen Alternativen mehr da.

Was Fuyukama damals nach eigenen Angaben nicht meinte war, dass die Menschen in den liberalen Demokratien selbstgefällig werden und Freiheit und Wohlstand als selbstverständlich erachteten. So sehr, dass sie glaubten, sich dafür nicht mehr einsetzen zu müssen. Genau das sei aber in den 30 Jahren seit dem Fall der Mauer geschehen, so der Politikwissenschaftler von der Stanford University in einem CNN-Interview. Mit dem Überfall auf die Ukraine habe Wladimir Putin die Menschen nun gelehrt, dass sie ihre liberale Demokratie festigen und verteidigen müssten.

Ukraine-Krieg: Zwölf "optimistische" Thesen von Francis Fuyukama

Trotz des Erstarkens des Rechtspopulismus in den vergangenen Jahren und des Überfalls von Putins Russland auf die Ukraine will Fuyukama seine Haltung nicht aufgeben. In einem Aufsatz für die Online-Zeitschrift "American Purpose" stellt er zwölf "optimistische" Thesen zum Ukraine-Krieg auf:

  • Russland steuert auf eine klare Niederlage in der Ukraine zu

Der Grund: Die russische Planung sei inkompetent gewesen und von der falschen Annahme ausgegangen, dass die Soldaten auf eine ihnen wohlgesinnte ukrainische Bevölkerung treffen würden. Nun aber habe Putin den Großteil seiner Streitkräfte bereits eingesetzt, es gebe keine großen Reserven und die Truppen im Feld säßen außerhalb der ukrainischen Städte fest. Dort gebe es Versorgungsprobleme und ständig Angriffe der ukrainischen Armee.

  • Zusammenbruch der russischen Stellungen könnte plötzlich kommen und katastrophal sein

Es sei kein langer Zermürbungskrieg nötig, um die russischen Stellungen zusammenbrechen zu lassen, so Fuyukama. Im Feld werde die russische Armee an einen Punkt gelangen, an dem sie weder gut versorgt noch zurückgezogen werden könne. Dann werde auch die Kampfmoral verfliegen – zumindest im Norden der Ukraine. Im Süden des Landes stehe die russische Armee zwar besser da, doch diese Stellungen seien nur schwer zu halten, wenn die Front im Norden zusammenbreche.

  • Kollaps der russischen Armee ist Voraussetzung für Ende des Krieges durch Diplomatie

Die russische Armee müsse kollabieren, da nur dann eine Beendigung des Krieges auf diplomatischem Weg möglich werde, schätzt Fuyukama. Der Grund: Es sei kein Kompromiss denkbar, der für Russland und die Ukraine gleichermaßen akzeptabel sei. Dies umso mehr, wenn man bedenke, welche Verluste beide Seiten bereits erlitten hätten.

  • Der UN-Sicherheitsrat hat sich als unnütz erwiesen

Nicht zum ersten Mal habe sich das Gremium als unwirksam erwiesen. Nur die Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen sei hilfreich gewesen. Die Länder hätten dank der Resolution gegen die russische Aggression Stellung beziehen müssen. Es sei klar geworden, wer sich durch Enthaltung herauswinden wolle – vor allem China.

  • Es war richtig, keine Flugverbotszone auszurufen und die polnischen Kampfjets nicht zu überführen

Es sei gut gewesen, dass die Biden-Administration in einer Zeit der Gefühlswallungen kühlen Kopf bewahrt habe. Es sei viel besser, wenn die Ukraine die Russen aus eigener Kraft besiegen und somit Moskau nicht die Ausrede geliefert werde, die Nato habe sie angegriffen, analysiert Fuyukama. Die polnischen MiG würden die Kampfkraft der Ukraine nicht wesentlich erhöhen. Viel wichtiger sei kontinuierlicher Nachschub an Javelins, Stinger, Kampfdrohnen und Kommunikationsausrüstung. Er gehe davon aus, dass die ukrainische Armee von außerhalb der Ukraine operierenden Nato-Geheimdiensten mit wichtigen Informationen versorgt werde.

  • Nur Niederlage der russischen Bodentruppen kann Gemetzel stoppen

Es sei unbestreitbar, dass die Ukraine enorme Kosten zu tragen habe. Ein Großteil der Schäden entstehe durch Raketen und Artilleriebeschuss. Dagegen könnten weder die polnischen MiG-Jets noch eine Flugverbotszone etwas ausrichten. Dass sich die russischen Boden-Einheiten festliefen, sei bereits zu beobachten.

Ukraine im Krieg: Präsident Wolodymyr Selenskyi führt sein Land im Krieg mit Russland
Ukraine im Krieg: Präsident Wolodymyr Selenskyi führt sein Land im Krieg mit Russland
© Ukraine Presidency/Ukraine Presi/ / Picture Alliance
"Extrem schmerzhaftes Zugeständnis": Russlandexpertin erklärt, wie der Ukraine-Krieg enden könnte
  • Putin wird die Niederlage seiner Armee nicht überleben

Russlands Präsident erhalte Unterstützung, weil er als starker Mann wahrgenommen werde. Sobald er aber seine Unfähigkeit unter Beweis gestellt habe – und eine Niederlage in der Ukraine wäre ein solcher Beleg – sei er aber seiner Machtmittel beraubt. Was habe er dann noch zu bieten, fragte Fuyukama.

  • Invasion hat Populisten in aller Welt bereits stark geschadet

Vor dem Angriff hätten sie ihre Sympathie für Wladimir Putin unisono zum Ausdruck gebracht: Matteo Salvini, Jair Bolsonaro, Éric Zemmour, Marine Le Pen, Viktor Orbán und "natürlich" Donald Trump, so Fuyukama. Ihr schon bekannten autoritären Tendenzen seien durch die Kriegspolitik nochmals deutlich ins Rampenlicht gestellt worden.

  • Bis zu diesem Punkt ist der Krieg eine Lektion für China

Ähnlich wie Russland habe China in den vergangenen zehn Jahren hochmoderne Streitkräfte aufgebaut. Diese hätten allerdings keinerlei Kampferfahrung. Daher sei davon auszugehen, dass die Luftwaffe der Volksbefreiungsarmee ähnlich schlecht operieren werde wie die russischen Kampfflieger. Es bleibe zu hoffen, dass China seine Fähigkeiten nicht ebenfalls völlig überschätze und von einem Angriff auf Taiwan absehe.

  • Hoffentlich erkennt Taiwan die Notwendigkeit, sich wie die Ukraine auf einen Kampf vorzubereiten

Der aus chinesischer Sicht abtrünnige Inselstaat sieht sich mit ähnlichen Ansprüchen eines übermächtigen Nachbarn konfrontiert wie die Ukraine. Fuyukama glaubt, dass das 23,5-Millionen-Volk dies nur dadurch gelingen könne, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt werde. Offenbar sieht er nicht, dass die notwendigen Schritte unternommen würden, aber er wolle nicht voreilig defätistisch erscheinen.

  • Türkische Drohnen dürften militärische Bestseller werden

Fuyukama erläutert das nicht näher. Allerdings gelten Drohnen aus türkischer Fertigung als einer der Hauptfaktoren, warum die russischen Truppen nicht so voran kommen wie geplant. Wie es heißt, sind die Drohnen effektiv, tödlich und günstig.

  • "Wiedergeburt der Freiheit" durch russische Niederlage

Hier greift Fuyukama seinen Gedanken von 1989 auf. Mit einer russischen Niederlage werde es eine "Wiedergeburt der Freiheit" ermöglicht. Das Klagen über den Niedergang der globalen Demokratien werde vertrieben und die These vom "Ende der Geschichte" wieder mit Leben erfüllt – dank den mutigen Ukrainern.

Wenn Putin gewinnt verschieben Armeen Grenzen

Dass dies tatsächlich so eintritt, will Fuyukama nicht garantieren. Sollte es Putin trotz allem gelingen, eine Marionettenregierung in Kiew zu installieren, so der Politikwissenschaftler zu CNN, dann finde sich die Welt in einer Situation wie im 20. Jahrhundert wieder, als Armeen Staatsgrenzen verschoben haben. Sollte ihm das nicht gelingen, werde dies die Stabilität der Demokratien stärken und die Schwäche autoritärer Systeme offenbaren. Der Geist von 1989 bekomme einen weiteren Boost. "Leider" sei (noch) nicht sicher abzusehen, welches dieser beiden Zukunftsszenarien Realität werde.

dho

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