Ukraine-Krieg Lyssytschansk ist gefallen, Luhansk in den Händen von Moskau – und nun?

Donbass zur Hälfte in Hand Russlands
Eine Straße außerhalb von Lyssytschansk. Der Donbass ist mehr als zur Hälfte in den Händen Russlands.
© Aris Messinis / AFP
Die Region Luhansk im Osten der Ukraine ist nun unter Kontrolle Russlands. Werden die dortigen Separatisten nun ihre Unabhängigkeit erklären? Für den Kreml ist die Eroberung ein Erfolg, doch der Preis für den Sieg ist hoch.

Lyssytschansk ist gefallen, nun steht die gesamte ostukrainische Region Luhansk unter der Kontrolle von Russland. Wochenlang haben russische Truppen und prorussische Separatisten um die 100.000-Einwohner-Stadt gekämpft, am Ende war es ihnen gelungen, sie einzukesseln. Der Feind sei "vollständig besiegt" worden, heißt es im Moskauer Verteidigungsministerium. Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine räumte ein, dass sich die Streitkräfte seines Landes aus der Stadt zurückgezogen hätten. Was bedeutet der Fall von Lyssytschansk für den Fortgang des Krieges?

Jetzt ist Luhansk in russischer Hand

Sowohl Lyssytschansk als auch die bereits gefallene Zwillingsstadt Sjewjerodonezk sind militärisch nicht allzu bedeutend, beide Orte aber wichtige Standorte der Chemieindustrie. Entscheidender ist, dass mit ihnen die Verwaltungseinheit Luhansk in russischer Hand ist. Damit könnten die dortigen Separatisten ihre Unabhängigkeit erklären. Ein Ziel, das sie bereits seit dem Krieg 2014 verfolgen. Auch ein Anschluss an Russland wäre vorstellbar. Die Eroberung von Luhansk kommt der Kreml seinem Ziel näher, den gesamten Donbass unter seine Kontrolle zu bekommen.

Möglicherweise wurde der Sieg Russlands teuer erkauft. Laut der britischen BBC gehen den Kreml-Truppen mittlerweile Soldaten und Material aus. So würden die Streitkräfte in der Region zu einem Großteil aus Söldnern und Freiwilligen bestehen. Die Legionäre gehörten dabei zur privaten Wagner-Gruppe, die regulären Rekruten seien schlecht ausgebildet. Als Waffen werden zudem bis zu 60 Jahre alte Panzer verwendet. "Russland steht nun vor neuen Herausforderungen: Es kontrolliert zwar mehr als ein Fünftel der Ukraine – ein Großteil davon sind jedoch leergeschossene Städte. Erschöpfte Streitkräfte müssen ersetzt, Munition wieder aufgefüllt werden", schreibt die "New York Times".

Russen verlieren im Süden Gebiete

Durch die schweren Abnutzungskämpfe könnten zudem so viele russische Kämpfer gebunden oder ausgeschaltet worden sein, dass die Truppen an anderen Orten fehlen. "An der Front im Süden etwa verlieren sie stetig Gebiete", heißt es im "Spiegel". Auch in der Nähe der umkämpften ostukrainischen Stadt Charkiw schaffen es ukrainische Truppen immer wieder, dem Angreifer Gelände abzunehmen. Wolodymyr Selenksyj kündigte bereits an, die Kontrolle über das Gebiet von Lyssytschansk wiedererlangen zu wollen. Dazu würden die Taktik der Armee und neue, verbesserte Waffen beitragen.

Nach den jüngsten Erfolgen kontrolliert Russland jetzt zwischen 50 bis 60 Prozent des Donbass. Die Ukrainer erwarten, dass sich die Kreml-Streitkräfte auf die Städte Slowjansk und Kramatorsk konzentrieren werden. In der Region befindet sich das Hauptquartier der ukrainischen Verteidigungskräfte im Donbass. "In Richtung Slowjansk versuchen die Russen, die Ortschaften Bohorodytschne, Dolyna und Masaniwka einzunehmen", teilte der Generalstab in Kiew mit. Auch den Ort Bachmut rund 35 Kilometer weiter östlich hat Russland bereits seit Tagen ins Visier genommen, er ist ein wichtiger Knotenpunkt.

Entscheidende Phase auch für den Westen

Auch wenn die russischen Kräfte ausgelaugt sein mögen, hängt die ukrainische Gegenwehr weiter von Waffenlieferungen aus dem Westen ab. Vor allem Langstreckenartillerie dürfte benötigt werden, die Führung in Kiew hat bereits um Nachschub gebeten. Unklar aber ist, wann der geliefert werden kann. Die "New York Times" sieht bereits eine neue, vielleicht entscheidende Phase anbrechen: "Dem Westen steht nun eine Prüfung bevor, nicht nur militärlogistisch, sondern auch solidarisch. Je länger sich der Konflikt hinzieht, desto schmerzhafter spüren die Bürger die Folgen und die Einheit unter den Verbündeten wird schwieriger aufrechterhalten zu sein."

Quellen: AFP, DPA, "Spiegel", "New York Times", BBC