Noch ist Ausmaß und Verlauf der ukrainischen Gegenoffensive bei der Regionalhauptstadt Cherson unklar, aber nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala hätte ein Erfolg starke Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Krieges – aus mehreren Gründen. "Eine Rückeroberung wäre von hohem symbolischem Wert", sagt Masala, "es wäre eine massive Niederlage der russischen Streitkräfte, die sich zuhause nicht verschweigen lässt."

Dr. Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Bundeswehruniversität München.
Rückeroberung von Cherson für Ukraine strategisch wichtig
Aber auch militärisch sei Cherson wichtig, weil bei einem Erfolg die Russen zurück über den Dnepr gedrängt würden. Ein so großer Fluss sei nicht so leicht zu überqueren. "Die Verteidigung von Cherson würde für die ukrainischen Streitkräfte wesentlich einfacher werden", analysiert der Politikprofessor. Das würde es der Ukraine ermöglichen, Truppen zu verlegen und an anderen Frontabschnitten einzusetzen. Eine Rückeroberung von Cherson würde es zudem verhindern, dass die Russen eine Landbrücke zwischen dem besetzten Osten und der Krim schaffen. "Gleichzeitig würde die Eroberung Odessas für die russischen Truppen fast völlig unmöglich werden", so Masala.
Skeptisch äußert sich der Militärexperte zum jüngsten Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz, ein neues europäisches Luftverteidigungssystem aufzubauen. Dafür gilt das israelische System Arrow 3 als Favorit. "Es gibt bisher kein einziges System, das in der Lage wäre, eine massive Zahl heranfliegender Raketen abzuschießen", so Masala. Der Gegner wäre nicht der Iran. Fünf ballistische Raketen bekomme Arrow 3 in den Griff, aber nicht 50, die ein Gegner Russland abfeuern könnte. "Es ist kein absoluter Schutz vor einem massiven Angriff."