Der Sicherheitsexperte Christian Mölling hält die deutsche Spionageabwehr für unzureichend und fordert einen Neuanfang. "Die Erfahrung ist ja, dass die deutsche Spionageabwehr einfach nicht so wahnsinnig effektiv und stark besetzt ist", sagte der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am Freitag im stern-Podcast "Die Lage – international". Er fügte hinzu: "Da arbeiten einfach nicht viele Leute – weil man gedacht hat, wir brauchen das nicht mehr, wir leben in einer friedlichen Welt." Mölling beklagte, dass es nicht nur an Ressourcen mangele, sondern auch die Zuständigkeiten unklar seien. Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz gebe es die Landesämter, dann weitere Einrichtungen auf Bundesebene. Es sei nicht immer klar, wer Informationen austauschen dürfe oder wolle. Das "Zuständigkeitsgehake" stört nach seiner Einschätzung die Effektivität der Arbeit. Als Beispiel dafür führte er das Engagement chinesischer Stellen an deutschen Universitäten an. Bei deren Beobachtung sei "eine Art Vakuum" entstanden.
Er verwies auch auf russische Operationen in Deutschland. So sagte er: "Wenn es etwa um die Ausbildung ukrainischer Soldaten geht, sehen wir Aktivitäten, die man eher nicht Hobbydrohnenfliegern zurechnen kann, sondern Geheimdiensten." Hier gebe "es natürlich eine Steigerung".
Wie Mölling erläuterte, können Cyberattacken, die großen Schaden anrichten, auch als militärische Angriffe gewertet werden – mit allen Konsequenzen bis hin zur Auslösung des Bündnisfalles in der NATO. Dabei blieben die Folgen solcher Attacken aber schwer einzuschätzen. "Man kann den Effekt, den man erzielen will, nicht optimal steuern", sagte Mölling. "Das ist etwas, das zur Zurückhaltung führt."
Im Bereich der Wirtschaftsspionage würden dagegen große Schäden entstehen. Gerade für ein Exportland wie Deutschland sei es schwierig, wenn die Innovationen für künftige Produkte preisgegeben würden. "In der Expertengemeinschaft weiß man um diese Problematik", betonte er. Zugleich seien die Beziehungen zu China für viele Unternehmen von großer Bedeutung.
Insgesamt ist nach Möllings Einschätzung die Intensität der Spionage in Deutschland nur schwer zu bestimmen. In einer offenen Gesellschaft wie der Bundesrepublik ließen sich viele Informationen auch ohne den Einsatz von Agenten beschaffen. "Wir sind ein offenes Buch, aus dem man lesen kann", sagte er.