Da hilft wohl nur noch Galgenhumor. "Das war einfach, oder?", fragte Kevin McCarthy ins Halbrund des Repräsentantenhauses, als er den Hammer endlich in der Hand hielt. "Ich hätte nie gedacht, dass wir es hierher schaffen würden."
Einfach war es freilich nicht, allenfalls bizarr und durchaus demütigend. Erst nach dem 15. Anlauf ging der Republikaner in der Nacht zu Samstag als neuer Vorsitzender der Kongresskammer durchs Ziel (der stern berichtete). Den Posten hat er sich durch umfangreiche Zugeständnisse an die Hardliner in seinen Reihen teuer erkauft. Er ist nun gewissermaßen Wachs in ihren Händen.
Allein die letzten Stunden von McCarthys letztendlichem Triumph würden genug Stoff für eine Reality-Show bieten, jedoch von der weniger guten Sorte. Sie waren geprägt von Hinterzimmerkämpfen, Handgemengen, Wendungen und Wortgefechten. Und mit einem Gastauftritt von Donald Trump, der beinahe ungesehen geblieben wäre.
Die Reality-Show um Kevin McCarthy
Üblicherweise ist die Wahl zum Vorsitzenden der Kongresskammer eine Formalie, für McCarthy wurde sie zum Fiasko. Mehrere Abgeordnete aus der hinterletzten rechten Ecke der Fraktion verweigerten ihm tagelang die Unterstützung, um den Preis für ihre Zustimmung hochzutreiben.
Die andauernden Feilschereien verlangten Sitzfleisch von den Abgeordneten – und Nerven. Die Demokratin Katie Porter setzte am vierten Tag des Sitzungsmarathons ein wenig subtiles Zeichen und ließ sich mit einem Buch in der Hand ablichten: "The Subtile Art of Not Giving a F*ck", das in Deutschland den Titel "Die subtile Kunst des Daraufscheißens" trägt.

Andere Abgeordnete der Kongresskammer, die ebenso auf ihre Vereidigung warteten, wurden etwa beim Lesen von Comic-Strips oder Daddeln auf dem Tablet erwischt – war doch noch kein Sprecher gewählt, der die Riegen des Repräsentantenhauses hätte zur Ordnung rufen können. So jedenfalls erklärte die "New York Times" ihrer Leserschaft die ungewohnten Einblicke, denen sich Fotografen und Kamerateams vor Ort boten.
So konnten sie auch einen bemerkenswerten Gastauftritt festhalten, während McCarthys Anhänger um Unterstützung beim Rechtsaußen-Flügel feilschten.
Die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, die erst nach Aufforderung durch Ex-Präsident Donald Trump ins Befürworter-Lager von McCarthy übermachte, reckte ihr Telefon in die Höhe. Am Apparat: "DT", wie auf dem Bildschirm zu lesen ist. Es war Donald Trump am anderen Ende der Leitung, was Taylor Greene später auch offiziell bestätigte.

Die Hand, die versucht das Telefon wegzuwischen, soll der "New York Times" zufolge Matt Rosendale gehören. Er hatte McCarthy zunächst seine Unterstützung verwehrt – der Anruf von "DT" hat das offenbar geändert. Augen- und Ohrenzeugen berichteten dem Blatt, dass Rosendale zu Taylor Greene gesagt habe, sie solle ihn nicht in diese Situation bringen.
Jedoch entstand in dem ganzen Wahldebakel vielmehr der Eindruck, dass der Ex-Präsident seine (einstigen) Schützlinge nicht mehr unter Kontrolle hat und die Geister, die er rief, nicht mehr zurück in die Flasche bekommt.
Denn auch im 14. Wahlgang konnte McCarthy nicht genügend Abgeordnete hinter sich versammeln – es fehlte nur eine einzige Stimme. Die Nerven lagen sichtlich blank. Einer seiner härtesten parteiinternen Gegner, der radikale Abgeordnete Matt Gaetz, hatte sich im letzten Moment enthalten. Es begannen hektische Gespräche. Ein Vertrauter McCarthys redete minutenlang auf Gaetz ein. Am Ende ging McCarthy selbst zu seinem Widersacher.
Die beiden wechselten ein paar Worte mit angespannten Gesichtern, dann drehte McCarthy ab. Ein anderer Abgeordneter stürmte wütend auf Gaetz zu, es entstand ein Handgemenge, Schlimmeres kann ein Parteikollege im letzten Moment verhindern.

Am Ende dieser Szene wird McCarthy in der Nacht zu Samstag zum Vorsitzenden der Parlamentskammer gewählt. Und, den Hammer endlich in der Hand, sagen: "Das war einfach, oder?"
Quellen: "The New York Times", "Newsweek", "Insider", CNN, "Politico", mit Material der Nachrichtenagentur DPA