Wahl-Chaos im US-Kongress Die Wahl von Kevin McCarthy glich einer Reality-Show – von der weniger guten Sorte

McCarthy: Neuer Sprecher des US-Repräsentantenhauses übersteht erste Bewährungsprobe
McCarthy: Neuer Sprecher des US-Repräsentantenhauses übersteht erste Bewährungsprobe
© Olivier Douliery / AFP
Sehen Sie im Video: Neuer Sprecher des US-Repräsentantenhauses – Kevin McCarthy übersteht erste Bewährungsprobe.






STORY: Der Republikaner Kevin McCarthy hat am Montag in Washington die erste Bewährungsprobe als neuer Sprecher des US-Repräsentantenhauses bestanden. Dort wurde die neue Geschäftsordnung verabschiedet. Zuvor war es unklar gewesen, ob eine Mehrheit für das Regelwerk zustande kommen würde. Denn es enthält massive Zugeständnisse an McCarthys parteiinterne Gegner. Am Ende stimmten allerdings 220 für die neuen Regeln, 213 dagegen: Das waren alle 212 demokratischen Abgeordneten plus ein Republikaner. Der 57-jährige McCarthy war erst kürzlich, in der Nacht zum Samstag, im 15. Wahlgang zum Vorsitzenden der Parlamentskammer gewählt worden, nachdem ihm diverse republikanische Parteikollegen in den vorherigen Durchgängen ihre Stimme verweigert hatten und er die nötige Mehrheit deshalb immer wieder verfehlt hatte. Beobachter sprachen von einer Demütigung von historischer Dimension für den Republikaner. Denn seit dem 19. Jahrhundert hatten die Abgeordneten im Repräsentantenhaus nicht mehr so viele Anläufe gebraucht, um einen neuen Vorsitzenden zu wählen.
Ein Handgemenge, Wendungen und Wortgefechte: Der Weg von Kevin McCarthy zum Sprecher des US-Repräsentantenhaus war nicht einfach – allenfalls bizarr und durchaus demütigend. 

Da hilft wohl nur noch Galgenhumor. "Das war einfach, oder?", fragte Kevin McCarthy ins Halbrund des Repräsentantenhauses, als er den Hammer endlich in der Hand hielt. "Ich hätte nie gedacht, dass wir es hierher schaffen würden." 

Einfach war es freilich nicht, allenfalls bizarr und durchaus demütigend. Erst nach dem 15. Anlauf ging der Republikaner in der Nacht zu Samstag als neuer Vorsitzender der Kongresskammer durchs Ziel (der stern berichtete). Den Posten hat er sich durch umfangreiche Zugeständnisse an die Hardliner in seinen Reihen teuer erkauft. Er ist nun gewissermaßen Wachs in ihren Händen.

Allein die letzten Stunden von McCarthys letztendlichem Triumph würden genug Stoff für eine Reality-Show bieten, jedoch von der weniger guten Sorte. Sie waren geprägt von Hinterzimmerkämpfen, Handgemengen, Wendungen und Wortgefechten. Und mit einem Gastauftritt von Donald Trump, der beinahe ungesehen geblieben wäre.  

Die Reality-Show um Kevin McCarthy

Üblicherweise ist die Wahl zum Vorsitzenden der Kongresskammer eine Formalie, für McCarthy wurde sie zum Fiasko. Mehrere Abgeordnete aus der hinterletzten rechten Ecke der Fraktion verweigerten ihm tagelang die Unterstützung, um den Preis für ihre Zustimmung hochzutreiben.

Die andauernden Feilschereien verlangten Sitzfleisch von den Abgeordneten – und Nerven. Die Demokratin Katie Porter setzte am vierten Tag des Sitzungsmarathons ein wenig subtiles Zeichen und ließ sich mit einem Buch in der Hand ablichten: "The Subtile Art of Not Giving a F*ck", das in Deutschland den Titel "Die subtile Kunst des Daraufscheißens" trägt. 

Demokratin Katie Porter am vierten Sitzungstag im US-Repräsentantenhaus
Demokratin Katie Porter am vierten Sitzungstag im US-Repräsentantenhaus
© Anna Moneymaker / AFP

Andere Abgeordnete der Kongresskammer, die ebenso auf ihre Vereidigung warteten, wurden etwa beim Lesen von Comic-Strips oder Daddeln auf dem Tablet erwischt – war doch noch kein Sprecher gewählt, der die Riegen des Repräsentantenhauses hätte zur Ordnung rufen können. So jedenfalls erklärte die "New York Times" ihrer Leserschaft die ungewohnten Einblicke, denen sich Fotografen und Kamerateams vor Ort boten.

So konnten sie auch einen bemerkenswerten Gastauftritt festhalten, während McCarthys Anhänger um Unterstützung beim Rechtsaußen-Flügel feilschten.

Die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, die erst nach Aufforderung durch Ex-Präsident Donald Trump ins Befürworter-Lager von McCarthy übermachte, reckte ihr Telefon in die Höhe. Am Apparat: "DT", wie auf dem Bildschirm zu lesen ist. Es war Donald Trump am anderen Ende der Leitung, was Taylor Greene später auch offiziell bestätigte.

Republikanerin Marjorie Taylor Greene
Republikanerin Marjorie Taylor Greene
© CHIP SOMODEVILLA / Getty Images / AFP

 

Die Hand, die versucht das Telefon wegzuwischen, soll der "New York Times" zufolge Matt Rosendale gehören. Er hatte McCarthy zunächst seine Unterstützung verwehrt – der Anruf von "DT" hat das offenbar geändert. Augen- und Ohrenzeugen berichteten dem Blatt, dass Rosendale zu Taylor Greene gesagt habe, sie solle ihn nicht in diese Situation bringen.

Jedoch entstand in dem ganzen Wahldebakel vielmehr der Eindruck, dass der Ex-Präsident seine (einstigen) Schützlinge nicht mehr unter Kontrolle hat und die Geister, die er rief, nicht mehr zurück in die Flasche bekommt.

Denn auch im 14. Wahlgang konnte McCarthy nicht genügend Abgeordnete hinter sich versammeln – es fehlte nur eine einzige Stimme. Die Nerven lagen sichtlich blank. Einer seiner härtesten parteiinternen Gegner, der radikale Abgeordnete Matt Gaetz, hatte sich im letzten Moment enthalten. Es begannen hektische Gespräche. Ein Vertrauter McCarthys redete minutenlang auf Gaetz ein. Am Ende ging McCarthy selbst zu seinem Widersacher.

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Die beiden wechselten ein paar Worte mit angespannten Gesichtern, dann drehte McCarthy ab. Ein anderer Abgeordneter stürmte wütend auf Gaetz zu, es entstand ein Handgemenge, Schlimmeres kann ein Parteikollege im letzten Moment verhindern.

Der Abgeordnete Richard Hudson (l.) zieht den Abgeordneten Mike Rogers zurück, während sie mit dem Abgeordnetem Matt Gaetz und anderen während der 14. Runde der Abstimmung für den neuen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses sprechen
Der Abgeordnete Richard Hudson (l.) zieht den Abgeordneten Mike Rogers zurück, während sie mit dem Abgeordnetem Matt Gaetz und anderen während der 14. Runde der Abstimmung für den neuen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses sprechen
© Andrew Harnik/AP / DPA

Am Ende dieser Szene wird McCarthy in der Nacht zu Samstag zum Vorsitzenden der Parlamentskammer gewählt. Und, den Hammer endlich in der Hand, sagen: "Das war einfach, oder?"

Quellen:  "The New York Times", "Newsweek", "Insider", CNN, "Politico", mit Material der Nachrichtenagentur DPA