Von einem Durchmarsch kann keine Rede sein. Abstimmung für Abstimmung für Abstimmung hat Kevin McCarthy ausgesessen, was allenfalls als Bloßstellung bezeichnet werden kann. Erst nach dem 15. Anlauf ging der Republikaner als neuer Vorsitzender des US-Repräsentantenhauses durchs Ziel (der stern berichtete). Den Posten hat er sich teuer erkauft.
Üblicherweise ist die Wahl zum Vorsitzenden der Kongresskammer eine Formalie, für McCarthy wurde sie zum Fiasko. Mehrere Abgeordnete aus der hinterletzten rechten Ecke der Fraktion verweigerten ihm die Unterstützung, höhlten sukzessive die Machtfülle seiner Position aus und stärkten ihre eigene – weil sie es konnten. McCarthy war angesichts der knappen Mehrheit seiner Partei in der Kammer auf jede Stimme angewiesen und bereit, sie unter umfangreichen Zugeständnissen zusammenzukratzen.
"Er wird der schwächste Sprecher sein", sagte der Abgeordnete Ruben Gallego, ein Demokrat. "Das Problem ist, dass er auch die Institution im Allgemeinen geschwächt hat – alles nur, weil er den eitlen Titel eines Sprechers will, aber ohne die Macht oder die potenzielle Verantwortung."
Kevin McCarthy zahlt einen hohen Preis für den Posten
Tatsächlich hat McCarthy den extremen Rechten in den Reihen der Republikaner weitreichende Konzessionen zugesagt, die ihn zu einer Geisel ihrer Gunst machen. Künftig soll bereits ein einziger Abgeordneter ein Misstrauensvotum gegen den Sprecher beantragen können, berichten "New York Times" und CNN – ein wiederholtes Zugeständnis von McCarthy, der die Hürde zunächst auf fünf Abgeordnete herabsetzen wollte.
Damit droht ihm theoretisch jederzeit die Absetzung, praktisch macht ihn das erpressbar. Insbesondere Hardliner dürften versucht sein, ihre extremen Postionen mit der Drohung eines Misstrauensvotums durchzudrücken – zumal McCarthy den fatalen Eindruck erweckt hat, für seine Vormachtstellung zu allerhand Konzessionen bereit zu sein.
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Seit 100 Jahren ist es keinem Kandidaten mehr gelungen, die nötige Mehrheit für den Posten des Sprechers im ersten Wahlgang zu verfehlen. Das Amt gilt nach dem des Präsidenten und seines Vizes als drittmächtigste Rolle in der US-Politik. McCarthy hatte sich, wie so viele Parteikollegen der Mitte, unter der Präsidentschaft von Donald Trump als lupenreiner Opportunist offenbart. Damit hat McCarthy ebenjene Erzkonservativen, die ihm nun das Leben schwer machen, die Steilvorlage für ihr jetziges Verhalten geliefert.
Ob und wie der Kalifornier aus der Nummer herauskommt, ist derzeit völlig unklar. Sein Ruf wird sich aber mit Sicherheit nicht mehr erholen.
Auch musste McCarthy versprechen, vereinfacht gesagt, dass sich die Parteiführung finanziell nicht mehr in bestimmte Vorwahlkämpfe der Republikaner für das Repräsentantenhaus einmischt. Die Folge könnte sein, dass sich künftig noch mehr Hardliner gegen eher moderate Kandidaten durchsetzen und ins Repräsentantenhaus einziehen.
Darüber hinaus versicherte McCarthy dem Rechtsaußen-Flügel einige Posten im einflussreichen Rules Committee. Der Ausschuss entscheidet, welches Gesetz in welcher Form auf die Agenda gesetzt wird – oder eben nicht. Somit könnten wichtige Gesetzesvorhaben bereits scheitern, bevor sie das große Halbrund im Kongress überhaupt erreichen. Obendrein sollen Gesetzesvorschläge zur Ausgabe von Staatsmitteln, sogenannte Spending Bills, künftig nach sogenannten offenen Regeln geprüft werden, die es jedem Mitglied ermöglichen, eine unbegrenzte Anzahl von Änderungen zur Abstimmung zu stellen – und potenziell abzuschleifen.
Nicht zuletzt bahnt sich ein Ringen um die Anhebung der Schuldenobergrenze des US-Haushalts an. Um einen Zahlungsausfall zu verhindern, der wahrscheinlich eine globale Finanzkrise zur Folge hätte, müssen sich das Repräsentantenhaus und der Senat auf eine gemeinsame Linie verständigen. McCarthy hat sich von den Hardlinern offenbar die Zusage abringen lassen, das Schuldenlimit nur in Kombination mit einer Kürzung des Staatshaushaltes zu erhöhen – was im von den Demokraten kontrollierten Senat auf soliden Widerstand stoßen dürfte.
Wachs in den Händen der Hardliner
"Die Zugeständnisse, die er (McCarthy) gemacht hat, bedeuten, dass es aufgrund des Freedom Caucus (der Rechtsaußen-Flügel) eine Minderheit einer Minderheit der Minderheit sein wird, die die Ergebnisse der gesetzgeberischen Leistung diktieren kann", sagte der Abgeordnete Richard E. Neal von den Demokraten. "Das Problem für ihn ist, dass er bei jedem Zugeständnis jeden Tag aufwachen und sich fragen muss, ob er seinen Job noch haben wird. Denn die kleinste Meinungsverschiedenheit könnte zu einem Antrag führen, ihn aus dem Sprecheramt zu entfernen."
Die Hardliner dürften McCarthy auch nach der Wahl zum Sprecher vor sich hertreiben, wissend, dass er gewissermaßen Wachs in ihren Händen ist. Das macht es für ihn nicht leichter, die denkbar knappe Mehrheit der gespaltenen Republikaner im Repräsentantenhaus zu organisieren.
Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, befürchtet "verheerende Folgen für unser Land". McCarthy habe sich einem "Randelement" seiner Partei ausgeliefert, um die notwendigen Stimmen zu bekommen. Sein "Traumjob" könne für das amerikanische Volk "zum Albtraum" werden.
Quellen: "The New York Times", CNN, "The Hill", "Politico", Bloomberg, mit Material der Nachrichtenagentur DPA