Wen lassen sie hinein in ihr Wohnzimmer? Wen wollen sie lieber sehen in den kommenden vier Jahren, allabendlich im Fernsehen, das in ihrem Wohnzimmer flimmert? Einen wie ihn, einen Mann, der ein bisschen verquer daherkommt und stur verkündet, dass er Recht hat - auch wenn er falscher nicht liegen könnte? Einen Mann, längst eingesponnen in seine eigene Realität, der kaum noch mit Menschen spricht, die ihm eine kritische Frage stellen könnte? Einen Mann wie George W. Bush?
Oder wollen die Amerikaner doch lieber einen Mann, der ihnen mit festgefrorenem Lächeln erklärt: alles, was in den vergangenen drei Jahren passiert ist, das war doch irgendwie falsch. Ein Desaster. Wollen die Amerikaner wirklich lieber einen wie John F. Kerry in ihrem Wohnzimmer sehen?
Zitat
"Die Menschen lieben Amerika, sie mögen nur manchmal die Entscheidungen nicht, die wir treffen." (US-Präsident George W. Bush auf eine Frage nach der geschwundenen Popularität der USA in anderen Ländern)
Natürlich ging es vorwiegend um den Irak
Es war eine ziemlich harte Woche für George W. Bush. Erst vermasselte er seine erste große Debatte, präsentierte sich dem Fernsehvolk als beleidigter Schuljunge mit heruntergezogenen Mundwinkeln, überhaupt nicht als entschlossener Führer. Seinem Vizepräsidenten Richard Cheney gelang es zwar, mit ebenso bösen wie kühlen Angriffen auf seinen Konkurrenten, den jungen Strahle-Rechtsanwalt John Edwards, wieder ein paar Punkte bei der eigenen, verunsicherten Wählerbasis wettzumachen. Aber dann hagelte es immer weiter Katastrophennachrichten für George W. Bush. Und natürlich ging es vor allem um den Irak.
Erst patzte ausgerechnet Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: Nein, meinte der, es gebe eigentlich keine Verbindung zwischen Saddam Hussein und den Terroristen der al Quaida. Dabei verkündet sein Chef seit Wochen das Gegenteil. Dann war es der ehemalige US-Statthalter im Irak, Paul Bremer: Viel zu wenig Soldaten seien am Anfang in den Irak geschickt worden, sagte der in einer Rede vor Versicherungsvertretern.
Neuste Meinungsumfrage: 49:49 Prozent. Amerika - ein geteiltes Land
Und dann kam, 1400 vernichtende Seiten lang, auch noch ein Bericht, der ziemlich viele andere Regierungschefs das Amt gekostet hätte. Denn der Irak-Bericht der CIA, erstellt vom obersten US-Waffensucher Charles Duelfer machte klipp und klar: Seit Jahren hat es keine Massenvernichtungswaffen mehr im Irak gegeben. Saddam Hussein war keine Bedrohung für die Weltgemeinschaft. Inspektoren und Sanktionen hätten ihn in Schach halten können.
Es war eine ziemlich schlechte Woche für George W. Bush. Würde den Wählern zu Hause in ihren Wohnzimmern jetzt klar werden: es gab keinen wirklichen Grund für den Krieg im Irak. War alles nur eine Lüge? Regiert da etwa wirklich ein Präsident im Weißen Haus, der seine rosarote Brille gar nicht mehr absetzt? Kostet ihn seine Sturheit die Wiederwahl? "Nehmen Sie zur Kenntnis", höhnte Vize-Präsidentenkandidat John Edwards bereits siegesgewiss, "die Erde ist rund und die Sonne geht im Osten auf."
Und als ob es der Hiobs-Botschaften nicht genug waren, wurden gestern auch noch die jüngsten Arbeitsmarktzahlen verkündet: Im September gab viel weniger neue Arbeitsplätze geschaffen als erwartet. Damit ist George W. Bush der erste US-Präsident seit 72 Jahren, der in seiner Amtszeit keine neuen Arbeitsplätze geschaffen hat.
Gestern Abend meldete das Nachrichtenmagazin "Time" die Ergebnisse einer Meinungsumfrage: 49:49 Prozent. Amerika - ein geteiltes Land.
Nur "weiche Wähler" wurden für die Debatte ausgesucht
Gestern Abend sollte in der Washington Universität von St. Louis im Bundesstaat Missouri eine hohe Stunde der US-Politik schlagen. Die zweite Präsidenten-Debatte. Auch sie bis ins winzigste Detail geplant. Diesmal musste es den Kandidaten gelingen, Kontakt zum (Wahl-) Volk herzustellen. In einem "townhall-meeting", einer Art Bürgerversammlung galt es zu bestehen. "Es geht darum, ob man den Kandidaten mag", erklärt der Wahlforscher John Zogby. "Es geht um die Vermittlung von Nähe, Offenheit, Mitgefühl und Verständnis. Diese Eigenschaften gelten auch als Eigenschaften eines Staatsführers."
Die 140 Teilnehmer waren vom Meinungsforschungs-Institut Gallup ausgesucht worden. Sie alle sogenannte "weiche Wähler", die zwar ihre Sympathie für einen der beiden Kandidaten angegeben, sich aber noch nicht entschieden hatten. Sie hatten ihre Fragen an den Moderator eingereicht, der prüfte und entschied, welche Fragen zugelassen waren. Er würde die Teilnehmer aufrufen, so die Regeln, die dürften ihre Frage wiederholen. Kein Wort mehr oder weniger. Wer von seiner schriftlich eingereichten Frage abweicht, dem wird sofort das Mikrofon abgedreht.
Dieses Mal präsentierten sich die Kandidaten auf einer Art Barhocker, locker sollte es sein, bürgernah. Sie würden sitzen, doch dürften sich dann auf ihrem exakt abgezirkelten Terrain auf dem leuchtend roten Teppichboden bewegen. Sollten so unter heftigem Einsatz ihrer Körpersprache werben um die Einladung ins Wohnzimmer des amerikanischen Durchschnittsbürgers.
Man konnte seinen Kiefer mahlen sehen
Und dieses Mal marschierte Bush geradewegs mitten hinein. Aggressiv und konzentriert, dynamisch, lebendig und nach vorne gewandt. Den linken Arm weit geöffnet füllte er den Raum, drängte sich voller Energie auf die Fernsehschirme, fast tänzelnd. Gab sich so lebendig, manchmal fast schreiend, dass man ihn seinen Kiefer mahlen sehen konnte. Gab sich so überzeugt, dass er den Gästen im Saal sogar kokett zuzwinkerte. Bewegte sich so selbstverständlich wie auf einer Wahlveranstaltung mit seinen Anhängern irgendwo auf einem Baseballplatz draußen in der Provinz. Machte den Eindruck, als fühle er sich wirklich wohl.
Nickte nach jeder Antwort knapp, kaum merklich. Als ob er sich selbst bestätigen wolle. Vor vier Jahren hatte Bush die Debatte gegen den kühl-arrogant wirkenden Al Gore gewonnen mit diesem Kopfnicken, seinem Augenzwinkern und seiner wunderbar einfachen Botschaft: "Ich mach das schon, ich erledige den Job."
Was will Kerry den Leuten sagen? Macht mit in einem falschen Krieg zur falschen Zeit?
Und blieb dann gestern doch stur bei seinen alten, Angst erregenden Antworten. Es gab keine Massenvernichtungswaffen im Irak? Kein Problem für das Kommando Bush – der Krieg war gerade deswegen gerechtfertigt, sozusagen ein Muterbeispiel für Prävention: "Heute wissen wir, Saddam Hussein wollte die Arbeit an Massenvernichtungswaffen wiederaufnehmen. Er hätte diese Massenvernichtungswaffen an Organisationen wie al Quaida weitergeben." Saddam stellte eine außerordentliche Bedrohung dar." Das Chaos im Irak? "Die Freiheit marschiert. Freiheit verändert Verhalten. Daher müssen wir die Freiheit verbreiten! Es ist immer schwer, von der Tyrannei zur Demokratie zu kommen.
Und was will Kerry den Leuten sagen, die er zu einem Gipfeltreffen an einen Tisch bringen will? Will er denen etwa erklären: "Macht mit im Irak, in einem falschen Krieg zur falschen Zeit?" Nein, meinte Bush, "wenn man glaubt, dass sie richtig sind, muss man manchmal unpopuläre Entscheidungen treffen."
Kerry: ein bisschen müde, ein bisschen älter, ein bisschen grauer und unbeeindruckt
Doch der Herausforderer, er sah ein bisschen müde aus, ein bisschen älter, ein bisschen graugesichtiger als der hyperdynamische Präsident, er ließ sich überhaupt nicht beeindrucken. Überzeugend, aber nicht leidenschaftlich, ernsthaft, den Rücken durchgestreckt stand John F. Kerry hochgewachsen, ruhig, vorsichtig, wie ein Fels in der Brandung. Denn auch der Senator wusste, worauf es ankommt – offensiv vertrat er seine Botschaften: "Bush will Sie glauben machen, dass ich nicht Präsident sein kann. Bush ist in den Krieg gehastet. Er hat sein Wort gebrochen! Er hat keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Also hat er aus seinem Wahlkampf eine Waffe der Massentäuschung gemacht!"
Da stand einer, der ebenso "leader" sein kann wie George Bush, ein Oberkommandierender in Zeiten des Krieges. " In den letzten vier Jahren ist die Welt unsicherer geworden." John Kerry – ein konservativer Demokrat. Einer, der wildern kann bei denen, die eigentlich Bush wählen würden – denen dieser Bush aber nicht mehr ganz geheuer ist. Gestern Abend fand ein echter Schlagabtausch statt, ein erster wirklicher Polit-Kampf zwischen den beiden Kandidaten. Wie große Katzen umschlichen sie einander, lauerten auf die Fehler des Gegners - und machten ein paar wichtige Versprechen. Jene kurzen Sätze, die sich in die 30-Sekunden-Botschaften der Nachrichten packen lassen. Jene Versprechen, für die beide Kandidaten haftbar gemacht werden - manchmal noch bei der nächsten Wahl in vier Jahren. Da schaute Kerry entschlossen in die Kameras und antwortete konkret auf eine konkrete Frage: "Für alle, die weniger als 200.000 Dollar im Jahr verdienen, wird es keine Steuererhöhungen geben. Im Gegenteil – ich werde die Steuern senken." Das wird ihm Stimmen bringen bei den männlichen Wählern.
Gnadenlos wurde Bushs Wirtschaftspolitik seziert
Da schaute Bush entschlossen in die Kameras und antwortete konkret auf eine konkrete Frage: "Solange ich Präsident bin, wird es keine Wehrpflicht geben." Das wird ihm Stimmen bringen bei den weiblichen Wählern, den "Sicherheits-Müttern", die Angst um ihre Söhne haben.
Da sezierte Kerry gnadenlos die Wirtschaftspolitik der Ära Bush: Das größte Haushaltsdefizit in der Geschichte der USA! Fünf Millionen Amerikaner haben ihre Krankenversicherung verloren! Die Reichen aber sind immer reicher geworden: "Bush ist auf der Seite der Ölunternehmen, der Energieunternehmen und der Pharmaindustrie!"
Das wird Kerry Stimmen bringen bei zweifelnden Demokraten, die noch nicht wissen, ob sie diesem reichen Patrizier-Senator wirklich trauen können.
"Nennen Sie bitte drei Fehler, die Sie gemacht haben, Herr Präsident" - Bush murmelte etwas von "Personalentscheidung"
Da stürmte Bush vor zum erschöpften Publikum und gab sich besorgt über das Haushaltsdefizit, das er verursachte. Die Rezession, der Krieg, die Steuersenkungen, lautete seine Begründung. "Doch Senator Kerry hat 98 Mal für Steuererhöhungen gestimmt. Glauben sie ihm nicht. Er kann zwar weglaufen, aber er kann sich nicht verstecken." Flugs erklärten Bushs Wahlstrategen diesen Satz zur wichtigsten Aussage der ganzen Debatte: "Er kann zwar weglaufen, aber er kann sich nicht verstecken."
Bush hatte Einiges gutzumachen an diesem Abend. Das gelang ihm. "Wir haben viel miteinander erlebt", sagte er in seinem Schlusswort und es sollte wohl klingen, als habe man ihn gerade auf einer netten Familienfeier getroffen.
Nur einmal, da konnte man ahnen, wie überzeugt dieser Mann von sich wirklich ist, eingesponnen in seine Welt. Als ihm eine Zuschauerin die einfache Frage stellte: "Nennen Sie bitte drei Fehler, die Sie gemacht haben, Herr Präsident." Da hätte er die Chance gehabt, sich einmal in die Herzen der Wähler zu schleichen. Doch da lächelte George W. Bush nur ein bisschen verlegen, murmelte etwas von "Personalentscheidungen" und blieb die Antwort schuldig.
John Kerry wiederum hatte zu beweisen, dass er es wirklich aufnehmen kann mit einem Präsidenten. Mit diesem Präsidenten. Es gelang ihm. Mehr noch: endlich schaffte er es, sich von dem klebrig-ekligen Image des "Flip-Floppers" zu befreien. "Ich habe meine Meinung nicht geändert" darauf bestand John F. Kerry in der Debatte.
In Wahrheit gilt es, die Mehrheit der Wahlmänner zu erkämpfen, nicht die des amerikanischen Volkes
Noch 24 Tage bis zur Wahl, es ist eine endlos lange Zeit in diesem geteilten Land. Im Moment gelten noch elf Bundesstaaten als "swing states", als unentschlossen. Es ist eine eiskalte Rechnung. Denn es gilt in Wahrheit ja gar nicht, die Mehrheit des amerikanischen Volkes zu gewinnen. Es gilt, die Mehrheit der Wahlmänner zu erkämpfen.
In den nächsten Wochen werden die Kandidaten in diesen "Schlachtfeld-Staaten" viele Millionen Dollar allein für Fernsehwerbung ausgeben. Werden wieder an all' den Orten auftreten, die als unentschlossen gelten. Wollen einrasten bei den Wechselwählern, all´ den "Sicherheits-Müttern" und den "Autorennen-Vätern", den 15-20 Prozent der Wähler, die vielleicht noch zu überzeugen sind. Die Wahlkampfmanager werden ihren Job "on the ground" intensivieren. Sie haben regelrechte Wähler-Landkarten erstellt, von Straße zu Straße, von Haus zu Haus. Werden wieder Hunderte Wahlhelfer in Bussen über Land schicken, von Tür zu Tür, von Supermarkt zu Supermarkt. Von Wohnzimmer zu Wohnzimmer.
Nächsten Dienstag findet die dritte, die letzte Debatte der beiden Kandidaten statt. Es wird nur um die Innenpolitik gehen.
Noch keiner der beiden, heißt es, hat je eine wirklich wichtige Debatte verloren. Weder George W. Bush noch John F. Kerry.