Die Ironie ist nicht zu leugnen. Jim Jordan, Sternzeichen Flügelmann, ist auch beim zweiten Sprecher-Wahlgang im Repräsentantenhaus gescheitert. So etwas passiere eben, "wenn Mobbing nach hinten losgeht", urteilt das "Time"-Magazin. Schließlich gehört Jordan zur Riege jener republikanischen Hardliner, die Nein-Sagen zur Kunstform erhoben und damit kompromissorientiertes Regieren in den vergangenen Monaten unmöglich gemacht haben. Mit Ex-Sprecher Kevin McCarthy war der gemeinsame Nenner schon zur Seltenheit verkommen. Unter Jordans Hammerschlag würde Dagegensein zur endgültigen Werkseinstellung.
Fest steht: Er zieht sich, der Machtkampf in der Grand Old Party (GOP). Seit drei Wochen ist der Posten des Parlamentschefs vakant. Solange niemand den Hammer in der größeren der beiden Kongresskammern schwingt, bleibt die USA politisch gelähmt.
Die Republikaner drehen sich auf der Suche nach sich selbst im Kreis, verpassen ein ums andere Mal die Ausfahrt. Die Hoffnung auf eine Zwischenlösung bis Januar entpuppte sich am Donnerstag als Fata Morgana. Und die Uhr tickt – der Übergangshaushalt gilt bis zum 17. November. Dann droht ein Shutdown.
Drei Szenarien, wie es jetzt weitergehen könnte.
Szenario 1: Jim Jordan kriegt die Kurve
Aller guten Dinge sind drei. Darauf dürfte der ultrarechte Kandidat zumindest hoffen. Nun sieht es aber nicht danach aus, als könne Jordan in einem vermutlich für Freitag angesetzten dritten Wahlgang die nötige Mehrheit hinter sich bringen. Bei der letzten Abstimmung am Mittwoch hatte der 59-Jährige sogar noch zwei Stimmen weniger als beim ersten Durchlauf am Vortag erhalten. 22 Parteikollegen verweigerten ihm die Rückendeckung, angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse eine ganze Menge. Der Gegenwind kommt dieses Mal aus der anderen Ecke, aus dem Establishment, dem Jordan dann doch zu rechts ist. Gemäßigte Abgeordnete, die wissen, dass ein Hammer-schwingender Flügelmann die Lage nicht verbessern würde. Das Ergebnis ist lindnersches Denken in Washington: Besser gar nicht regieren, als falsch regieren.
Trotzdem kann sich Jordan weiter Hoffnung machen, hat er doch den mächtigsten Fürsprecher, den ein Konservativer in den USA im Jahr 2023 überhaupt haben kann. Ex- und womöglich bald Wieder-Präsident Donald Trump steht klar hinter seinem Vertrauten. Trumps Einfluss in der Partei ist weiterhin enorm, seine Hardcore-Anhänger kennen in ihrem wahnhaften Übereifer keine Grenzen. Die Abgeordnete Mariannette Miller-Meeks habe eigenen Angaben zufolge Morddrohungen erhalten, nachdem sie zu den Anti-Jims übergelaufen war. In jedem Fall wächst der Druck auf die Jordan-Gegner. Fraglich bleibt, ob sie unter diesem Druck nachgeben oder sich erst recht querstellen.
Szenario 2: Jim Jordan schmeißt hin
Nun könnte Jordan auch seinen Hut aus dem Ring nehmen und damit dem Vorbild seines Kollegen Steve Scalise folgen. Der hatte seine Kandidatur zurückgezogen, als klar wurde, dass er die GOP nicht würde hinter sich einen können.
Sollte Jordan dasselbe tun, würde er sich und seiner Partei womöglich eine Menge Schmerz und Demütigung ersparen. Denn ein zweites Wahldebakel wie im Januar, als McCarthy in 15 Durchgängen über vier Tage um Stimmen bettelte, das kann niemand wollen. Das Prinzip "Trial and Error", die Methode, sich bis zur Lösung hochzuscheitern, mag in ruhigeren Zeiten sinnig sein. Im Herbst des Jahres 2023 ist das Nervenkostüm der Konservativen dafür allerdings nicht ausgelegt.
Und so wird sich die Partei vermutlich durch einen vierten, fünften, x-ten Wahlgang quälen und sich dabei zerfleischen. Denn der gelernte Trumpist Jim Jordan hat noch nicht genug. Was er allerdings auslässt: Wenn ihm eines noch mehr fehlt als die Liebe der Mitte, dann ist es Zeit – Stichwort: 17. November.
Stellt sich die Frage: Wenn weder Scalise, noch Jordan – wer dann? Auf wen könnte sich diese schrecklich zerstrittene Familie überhaupt noch einigen? Den Hardlinern sind die Gemäßigten zu links, den Gemäßigten sind die Hardliner zu rechts.
Ganz abgesehen davon, hat der Sprecherposten inzwischen einiges an Attraktivität verloren. Das Amt galt stets als drittmächtigste Position in Washington. Doch schon der Weg nach oben erfordert dieser Tage ideologische Gelenkigkeit und schwerwunde Knie. Und selbst danach kann der traditionelle Sprecherhammer seinem Träger doch schmerzhaft auf die Füße fallen. Denn sie ist real, die Gefahr, das Opfer der nächsten Meuterei zu werden.
Was von Trumps juristischen Problemen übrig bleibt

Erst am 10. Januar, zehn Tage vor Trumps Rückkehr ins Weiße Haus, verkündete Richter Merchan das Strafmaß: Er bestätigte den Schuldspruch der Jury, erließ Trump jedoch in die "bedingungslose Straffreiheit"
Szenario 3: Mitte-Rechts verbündet sich mit den Demokraten
Bliebe noch Option Nummer drei, eine Alternativlösung, die am Donnerstag zum Greifen nah schien. Zumindest für ein paar Stunden.
Die Idee: Die rechte Mitte könnte sich aus der toxischen Beziehung mit der rechten Rechten flüchten und einen Kompromiss mit den Demokraten suchen. Der könnte darin bestehen, dass sie sich hinter Patrick McHenry versammeln, der aktuell den Sprecherposten geschäftsführend innehat. Über echte Macht verfügt er damit allerdings nicht. Als Lückenfüller sieht sich der unscheinbare Mann mit der auffallenden Fliege vor allem dafür zuständig, die Wahl seines Nachfolgers zu organisieren, vielmehr aber eben nicht.

Mit Macht auf Zeit wäre McHenry in der Lage, Abstimmungen durchführen zu lassen. Realpolitisch macht das durchaus Sinn, schließlich läuft dem Kongress die Zeit davon. Neue Milliardenhilfen für die Ukraine müssen her, Israel soll ebenfalls unterstützt werden und über allem schwebt das Gespenst des Shutdowns. Bis Mitte November muss der lediglich vertagte Haushaltsstreit gelöst sein – ansonsten steht nicht nur der Kongress, sondern die komplette US-Regierung still.
Die Demokraten waren nicht abgeneigt – alles besser als Jordan, so der Ton. "Es ist an der Zeit, den republikanischen Bürgerkrieg zu beenden, und um das zu erreichen, müssen alle Optionen auf den Tisch", erklärte Minderheitsführer Hakeem Jeffries am Mittwoch gegenüber dem US-Magazin "Politico". Zu dieser Einsicht kam offenbar auch Jordan höchstselbst. Er soll einer Resolution zugestimmt haben, die McHenry bis zum 3. Januar als Sprecher neu legitimiert hätte. Eine Win-Win-Situation für alle: Der Kongress könnte endlich arbeiten, die Republikaner hätten vorerst weitere Blamagen vermieden und Jordan hätte Zeit gewonnen, um sich die nötigen 217 Stimmen zu sichern.
Das vorsichtige Aufatmen ging allerdings nahtlos in das inzwischen gewohnte Hyperventilieren über. Denn für einen Kompromiss ist Rechtsaußen nicht zu haben. In einer stundenlangen, hitzigen Debatte stellten sich die Ultrakonservativen, Jordans eigene Clique, strikt gegen den Vorschlag. Jordan hatte keine Wahl – er zog die vorsichtig ausgestreckte Hand zurück und kündigte stattdessen an, am Freitag in Abstimmungsrunde drei zu gehen. Dass die anders ausgehen wird als die davor, ist unwahrscheinlich – schließlich hätte sich ein siegessicherer Anwärter gar nicht erst für eine andere Lösung erwärmt. Und so endet der Mittelweg, obgleich er die wenigstens Schlaglöcher hat, vorerst in einer Sackgasse.
Spagat gefordert
"Schadenfreude". Der deutsche Ausdruck ist auch in den USA gängig, fehlt der englischen Sprache doch ein eigener Begriff für diese unschöne aber menschliche Regung, die dieser Tage links und rechts befällt. Seit der Rebellion gegen McCarthy ist das Wort für US-Kommentatoren unverzichtbar geworden, wenn sie beschreiben, wie unversöhnlich sich nicht nur Demokraten und Republikaner, sondern eben auch Republikaner und Republikaner gegenüberstehen. Jim Jordan, da ist sich die Mehrheit der Abgeordneten offenbar sicher, ist nicht an Lösungen interessiert, er ist Teil des Problems. Fragt sich nur, ob die republikanische Mitte sich aus dem ultrakonservativen Würgegriff befreien kann. Denn aus Rechtsaußen-Sicht wäre jeder neue Kompromiss wie immer nur eines: Verrat.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde den neuen Entwicklungen entsprechend aktualisiert.
Quellen: "CBS News"; "New York Times"; "Washington Post"