Seine Ankündigung hat europaweit für Entsetzen gesorgt: Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou will sein Volk über die Annahme des milliardenschweren Rettungspakets und die damit verbundenen Sparmaßnahmen seines Landes abstimmen lassen. Die Staaten der Euro-Zone wurden davon kalt erwischt, drohen doch nun, die auf dem letzten Euro-Gipfel hart erarbeiteten Rettungsmaßnahmen zu scheitern. stern.de beantwortet die wichtigsten Fragen zur Entwicklung in Griechenland.
Was bezweckt Papandreou mit der Maßnahme?
Papandreou steht gehörig unter Druck. Die bisherigen Reformen hat der griechische Regierungschef nur mit knapper Mehrheit durchgebracht, seine Popularität im Volk hat unter den zahlreichen Sparmaßnahmen stark gelitten. Vielen gilt er nur noch als Marionette, die Auflagen aus dem Ausland durchsetzen hat. Mit dem Referendum soll ihm ein Befreiungsschlag gelingen. Durch das waghalsige Manöver testet der Regierungschef seinen Rückhalt und will die Bevölkerung mit in die Verantwortung nehmen. So geht es bei der Volksabstimmung über den Rettungsplan um weitaus Grundsätzlicheres, wie der Finanzminister Evangelos Venizelos ausführte: "Die Bürger werden die Frage beantworten müssen: Sind wir für Europa, die Eurozone und den Euro?"
Die Vertrauensfrage
Papandreou verknüpft die Entscheidung mit seinem eigenen politischen Schicksal. Noch vor einem möglichen Referendum stellt der Premierminister im Parlament die Vertrauensfrage. Hat er noch den Rückhalt unter den Abgeordneten für die verbleibende Regierungszeit bis 2013? Auch wenn die Abstimmung in der vergangenen Woche über die Sparvorhaben mit 153 zu 144 Stimmen knapp ausfiel, gehen Experten davon aus, dass Papandreou eine Mehrheit erhalten wird. Sollte der Regierungschef allerdings verlieren, würde die ohnehin schon angespannte Situation durch Neuwahlen weiter angeheizt.
Die Debatte über die Vertrauensfrage soll am Mittwoch beginnen, die Abstimmung folgt voraussichtlich am Donnerstag oder Freitag.
Wann wird das Referendum stattfinden?
Einen genauen Termin gibt es bisher nicht. In seiner Erklärung sprach Papandreou davon, dass die Griechen "in einigen Wochen" über den Schuldendeal abstimmen sollen. Jedoch sind die wesentlichen Details noch unklar. Bevor der Präsident die Volksabstimmung ausrufen kann, muss zunächst das Parlament zustimmen. Finanzminister Venizelos geht davon aus, dass das Referendum Anfang 2012 stattfinden wird.
Wäre die Abstimmung überhaupt rechtens?
Das ist umstritten. Mehrere Abgeordnete in Griechenland haben bereits Zweifel an der Rechtsmäßigkeit angemeldet. Der Verfassung zufolge sind Referenden zu wirtschaftlichen Themen nicht gestattet, sondern nur bei Fragen von größter nationaler Bedeutung. Damit das Ergebnis des Referendums überhaupt gültig werden kann, müssen sich 40 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen. Zum letzten Mal nahmen die Griechen im Dezember 1974 an einem Referendum teil. Nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur stimmten sie damals für die Abschaffung der Monarchie.
Lässt sich das Ergebnis schon absehen?
Zurzeit deutet vieles darauf hin, dass die Griechen gegen den ausgehandelten Schuldendeal stimmen werden. Zu groß scheint die Ablehnung in der öffentlichen Meinung, die von Streiks und Protesten gegen Papandreous Politik geprägt ist. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 60 Prozent der Griechen das mit großen Einsparungen verbundene Programm als "negativ" oder "wahrscheinlich negativ" bewerten. Allerdings: Die Debatte wird durch die Ankündigung des Referendums an Fahrt gewinnen, es ist nicht ausgeschlossen, dass die Stimmung bis Anfang 2012 kippt. Und fest steht auch: Eine Zustimmung zu dem Sparpaket durch das Volk wäre ein echter Befreiungsschlag für Papandreou.
Welche Folgen hätte die Ablehnung des Rettungspaketes für Griechenland?
Mit dem 130-Milliarden-Hilfspaket aus öffentlichen Geldern und den rund 100 Milliarden aus dem Forderungsverzicht der Banken wollen die Euro-Staaten Griechenland stabilisieren. Würde sich das Land den im Gegenzug vereinbarten Sparanstrengungen entziehen, ist das komplette Paket hinfällig, die Aussicht auf eine tragfähige Schuldenhöhe wäre dahin.
"Eine Ablehnung wäre schlimm genug für die EU im Allgemeinen und die Euro-Zone im Besonderen", sagt Wirtschaftsnobelpreisträger Christopher Pissarides. "Bei einem 'Nein' müsste Griechenland sofort Bankrott erklären. Ich sehe nicht, dass Griechenland im Euro bleiben könnte." Die Folgen einer Staatspleite wären gravierend: Das Land könnte die Gehälter seiner Angestellten nicht zahlen, die Verwaltung käme zum Erliegen, die öffentliche Hand wäre handlungsunfähig. Kurzum: Es droht Chaos mit unabsehbaren Folgen.
Was bedeutet ein griechisches "Nein" für die Eurozone?
Für die Staaten der Eurozone wäre die Ablehnung des Rettungspaketes ein Desaster. Ein Ausfall Griechenlands würde das Ansteckungsrisiko für Länder wie Italien, Spanien, womöglich aber auch Frankreich, deutlich erhöhen. Die Dimension des Rettungsschirm EFSF würde dann nicht mehr ausreichen, auch private Anleger würden sich wohl kaum noch von den EFSF-Garantien locken lassen und dringend benötigte Mittel im Euroraum investieren. Fest steht: Der Vertrauensverlust für die Europäer wäre immens.
In den jetzigen Rettungsbemühungen ist eine ungeordnete Griechenland-Pleite nicht Teil des Kalküls. Tritt diese dennoch ein, müsste in etlichen Ländern in Europa nachgelegt werden, um nicht noch stärker in den Sog der Krise zu geraten.
Was bedeutet ein griechischer Staatsbankrott für Banken und Anleger?
Käme es zu einer Staatspleite, müssten die privaten Anleihengläubiger des Landes in Griechenland und im Rest der Welt nicht nur die für den Schuldenschnitt vereinbarten 50 Prozent ihrer Forderungen abschreiben, sondern nahezu die komplette Summe von rund 200 Milliarden Euro abschreiben. Zudem würden Kreditausfallversicherungen (CDS) auf griechische Schulden fällig. Eine Hellas-Pleite könnte eine ganze Reihe europäischer Banken ins Wanken bringen.