Wahl in der Türkei Der dritte Mann – Sinan Oğan hat die entscheidenden Prozente

Sinan Ogan
Der lachenden Dritte: Sinan Oğan überlegt, ob und wen er seinen Wählern empfehlen kann. 
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Sehen Sie im Video: Wird Sinan Oğan den entscheidende Mann in der Türkei?






Bei einer Stichwahl in der Türkei wird er zwar nicht mehr dabei sein, aber zuvor als Königs-, besser Präsidentenmacher fungieren: Der Drittplatzierte Sinan Ogan. In der zweiten Runde werde seine Allianz eine entscheidende Rolle spielen, so der Kandidat des Wahlbündnisses aus vier rechtsnationalistisch orientierten Parteien. "Zum jetzigen Zeitpunkt sagen wir nicht, dass wir die eine oder andere Partei unterstützen werden", so Ogan am Sonntagabend. Am Montag sagte er mit Blick auf eine Stichwahl: "Wir haben bestimmte rote Linien um einen Kandidaten zu unterstützen, wie den Kampf gegen den Terrorismus und die Rückführung von Flüchtlingen. Wir haben diese Bedingungen schon früher deutlich gemacht". Für Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan wäre es die erste Stichwahl. Er kam nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen auf 49,4 Prozent, Kemal Kilicdaroglu erhielt knapp 45 Prozent, wie der Vorsitzende der Wahlbehörde mitteilte. 5,2 Prozent entfielen auf den Ultranationalisten Ogan. Die Wahlbeteiligung lag bei 88,8 Prozent und damit vergleichsweise hoch. Kilicdaroglu hatte im Wahlkampf eine Abkehr von der zuletzt zunehmend autoritären Politik Erdogans und eine Rückkehr zur orthodoxen Wirtschaftspolitik versprochen. Viele Türken leiden unter der hohen Inflation, die nicht zuletzt durch den Kursverfall der Lira angeheizt wird. Am Finanzmarkt gab die türkische Lira nach, Aktien und Anleihen gerieten unter Druck. Analysten sprachen von einer Enttäuschung von Investoren, die auf einen Wahlsieg des Oppositionskandidaten gehofft hatten. Die gleichzeitig abgehaltene Parlamentswahl entschied das Bündnis um Erdogans AKP deutlich für sich, die Allianz von Kilicdaroglu lag auf dem zweiten Platz. Allerdings hat das Parlament seit der Einführung des Präsidialsystems 2017 nur noch eingeschränkte Macht.
Zum ersten Mal steht die Türkei vor einer Stichwahl, und ein Kandidat für das Präsidentenamt ist das Zünglein an der Waage: der Nationalist Sinan Oğan. Von den Wählern des dritten Kandidaten hängt es ab, wer Ende Mai neuer türkischer Präsident wird.

Als Muharrem İnce am Donnerstag, drei Tage vor der Wahl, überraschend doch noch seinen Rückzug als Präsidentschaftskandidat bekanntgab, wollte er seinen Schritt ausdrücklich als "patriotische Tat" verstanden wissen. "Ich tue das für mein Land", sagte er und meinte damit: Ich will Recep Tayyip Erdoğans Wiederwahl verhindern. Eine echte Chance hätte der Sozialdemokrat ohnehin nicht gehabt, und bevor er dem Anti-Erdoğan-Bündnis entscheidende Stimmen nimmt, verzichtete İnce lieber ganz. Trotz des Verzichts reichte es, anders als von vielen erhofft, nicht für einen Sieg des Oppositionsbündnisses über den Dauerpräsidenten.

Sinan Oğan, der Mann mit den Prozenten

In zwei Wochen entscheidet also eine Stichwahl darüber, ob Erdoğan Präsident bleibt oder von Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu abgelöst wird. Womöglich ist es ein weiterer Verzicht, der die entscheidenden Stimmen freimachen wird. Davon aber dürfte nicht das Sechs-Parteien-Bündnis profitieren, sondern der amtierende Staatschef. Denn Sinan Oğan, der dritte Mann im Bund der Kandidaten, verfügt über rund fünf Prozent der Wählerstimmen. Das entspricht ungefähr dem, was Kılıçdaroğlu zum Sieg oder Erdoğan zum Triumph fehlt.

Nach Stand der Dinge hängt der Wahlausgang Ende Mai jetzt davon ab, wie sich der 55-jährige Kandidat der ultranationalistischen Ata-Allianz entscheidet.

"Auch wenn dieser Begriff in den kommenden 14 Tagen sehr inflationär gebraucht werden dürfte: Oğan ist jetzt der Königsmacher", sagte Erkan Arikan, Chef der türkischen Redaktion der Deutschen Welle im Interview mit der "Tagesschau". Er wolle jetzt das weitere Vorgehen mit seinen Anhängern ausloten, so der Noch-Kandidat, der durchaus gefallen daran findet, das Zünglein an der Waage zu sein: "Unser Volk kann beruhigt sein. Wir werden niemals zulassen, dass die Türkei in eine Krise gerät", sagte er noch in der Wahlnacht.

Für wen wird sich Oğan entscheiden?

Bereits vor der Abstimmung wurde er gefragt, wen er im Fall einer Stichwahl eher unterstützen würde: das Kılıçdaroğlu-Bündnis oder Recep Tayyip Erdoğan. Seine Antwort fiel zwar eher unscharf aus, aber konkret genug, um zumindest erahnen zu können, dass seine Wahl auf den amtierenden Staatspräsidenten fallen wird: "Wir werden uns die nationale Haltung und Kompetenz ansehen. Wir werden uns ansehen, wie sie zum Terrorismus stehen und was sie dagegen zu tun gedenken. Wir werden mit gesundem Menschenverstand entscheiden", sagte Oğan.

Terrorismus ist vor allem in konservativen und rechten Kreisen der Türkei das übergroße Thema. Im Wesentlichen ist damit die bewaffnete Auseinandersetzung mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK gemeint, sie gilt auch außerhalb des Landes in vielen Staaten als Terrororganisation. Manchen Türkinnen und Türken gilt schon die bloße Nähe zu Kurden als verdächtig. So hat Erdoğan im Wahlkampf ungeniert seinen Kontrahenten in die Nähe der PKK gerückt, weil Kılıçdaroğlu fordert, die Kurden nicht länger zu stigmatisieren und generell in die Nähe von Terrorismus zu rücken. Angesichts solcher Töne dürfte der Nationalist Oğan seinen Wählern eher davon abraten, ihr Kreuz beim Herausforderer zu machen.

Konflikt mit den eigenen Leuten

Allerdings ist Sinan Oğan auch niemand, der den Konflikt scheut, auch nicht mit seinen eigenen Leuten. 2011 wurde er in seiner Heimatstadt Iğdır als Abgeordneter für die rechtsnationalistische MHP gewählt. Ein paar Jahre später näherte sich Parteichef Devlet Bahçeli Präsident Erdoğan an – sehr zum Missfallen von Oğan und einigen anderen MHP-Politikern. Daraufhin kam es zum Bruch. Erst nachdem die Partei 2017 für den hoch umstrittenen Wechsel vom Parlamentarischen zum Präsidialsystem votierte, vom dem Erdoğan profitierte, verließ Oğan die MHP. Sie koaliert derweil mit Erdoğans AKP, er ist seitdem parteilos.

Sinan Ogan
Der lachenden Dritte: Sinan Oğan überlegt, ob und wen er seinen Wählern empfehlen kann. 
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Sinan Oğan, der Präsidentenmacher?

Noch ist unklar, ob der dritte Kandidat eine Wahlempfehlung aussprechen wird, zu welchen Gunsten sie ausfällt und ob sich seine Wählerinnen und Wähler daran halten werden und falls ja, wie viele. Erdoğan, der bereits 49,51 Prozent erhalten hat, würde es schon reichen, wenn er ein Drittel der Ata-Allianz-Wähler auf seine Seite ziehen könnte. Kılıçdaroğlu dagegen liegt fünf Prozentpunkte dahinter. Cem Özdemir, türkischstämmiger Grünenpolitiker, sieht Sinan Oğan nun ebenfalls als Königsmacher. "Auch das zeigt, wie sehr die Türkei nach rechts gerückt ist", sagte er als Reaktion auf die Wahl in der Türkei.

Quellen: DPA, AFP, TRT, Deutschlandfunk, "Tagesschau"