Auf der Straße sitzt ein Mann am Boden, und als er sieht, dass plötzlich jemand kommt, steht er auf, drückt die Zigarette aus, strafft seine Schulterblätter und zupft an seiner Uniform. Er grüßt freundlich und sagt, das Ministerium sei im dritten Stock, und ja, es habe geöffnet.
Eine angestaubte Sprite-Flasche steht auf einem zwei Meter langen Tisch, der mit holzfarbenem Plastik überzogen ist. An der Wand hängt ein weißer Elektrokasten, aus dem Drähte herausgerissen wurden. In der Mitte des Raumes steht ein Stuhl, daneben ein Mülleimer, der Boden ist gefliest, 15 Quadratmeter. Das verwaiste Büro ist ein offizielles Gebäude der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah im Westjordanland. Es ist eine Dependance des "Ministeriums für Tourismus und Altertümer".
Tourismusminister für keine Touristen
Der Polizist vor dem Eingang bewacht ein Gebäude, das leer steht. Er ist einer von mehr als 160.000 Angestellten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Sie verwaltet das Westjordanland und den Gazastreifen mit einem Außenminister, der nicht reisen darf und einem Finanzminister, der Steuern beschließt, die niemand zahlt. Ein Tourismusminister kümmert sich um Touristen, die es nicht gibt; ein Wirtschaftsminister um das Wachstum, das nicht vorhanden ist. Es gibt zwei Dutzend Ministerien für vier Millionen Palästinenser, eines für die "Angelegenheiten der Frauen", für Jugend und Sport und eines für die "Angelegenheiten Inhaftierter".
Vier von fünf Beamten in der Autonomiebehörde sollen der Fatah nahe stehen, der "Bewegung zur Nationalen Befreiung Palästinas". Jener Partei, die 40 Jahre lang die mächtigste Kraft in Palästina war. Deren Mitglieder westliche Autos fahren, in Villen wohnen und korrupt sein sollen. Jener Fatah, die nun mit den Islamisten der Hamas einen Bürgerkrieg führt.
355 Dollar im Monat
Im Herbst des vergangenen Jahres veröffentlich die Hamas ein Dossier. Auf dem Titel ist eine Fotomontage abgebildet. Sie zeigt Muhammad Dahlan, den früheren Sicherheitsminister und Fatah-Führer, wie er auf einer Wolke aus Dollar-Banknoten sitzt und eine dicke Zigarre raucht. Der Bericht ist eine Sammlung der größten Korruptionsfälle der vergangenen Jahre. 2005 zum Beispiel soll der ehemalige Minister für Versorgung, Abu Ali Shahin, für eine Trauerfeier 256.700 Dollar verrechnet haben. Während seiner Amtszeit standen ihm vier Wagen zur Verfügung, darunter zwei Mercedes. Im Mai 2004 soll der damalige Finanzminister für sich und seine Frau 10.828 Dollar kassiert haben. Das Geld war angeblich für eine ärztliche Behandlung in England gedacht. Im Februar 2006 wurde ein Generaldirektor des Finanzministeriums an der jordanischen Grenze verhaftet. Er wollte 100 Millionen Dollar aus dem Land schmuggeln. Jeder hochrangige Beamte der Autonomiebehörde soll einen Wagen zur freien Verfügung bekommen haben, dazu Benzingeld, 250 Dollar, monatlich.
Eine palästinensische Familie musste Anfang 2006 im Schnitt mit 355 Dollar im Monat auskommen. Zwei Drittel der Haushalte sind auf humanitäre Nothilfe angewiesen. 300.000 Haushalte leben von den Gehältern der Autonomiebehörde. Doch seit dem Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 werden sie nicht mehr bezahlt.
Damals gewann die Hamas die absolute Mehrheit. Die Partei verlangt die Zerstörung Israels, das durch einen islamischen Staat ersetzt werden soll. In Taybeh, einem kleinen Dorf mit 1400 Einwohnern im Westjordanland, leben ausschließlich Christen. Die radikalen Islamisten erhielten dort 28 Stimmen. Die Palästinenser wollten die Korruptionspolitik der Fatah abwählen.
Vergünstigungen nach Wahl
Vor 14 Jahren, im Jahr 1993, wurde die Palästinensische Autonomiebehörde gegründet. Sie war Teil der Verträge, die in Oslo unterzeichnet wurden und die Hoffnungen auf eine Zwei-Staaten-Lösung machten. Es war die Zeit, in der die Palästinenser das westliche Leben kennen lernten. Die Juden trauten sich noch zu den Arabern. Sie fuhren in die Casinos nach Ramallah, weil sie in Israel nicht spielen durften. Sie tanzten am Shabbat in palästinensischen Discos durch die Nacht und tranken Alkohol. Das fanden die muslimischen Palästinenser zwar verwerflich, doch es gab nicht wenige, denen das Geld wichtiger war als die Moral. Die auch schicke Autos wollten und teuren Villen. Die später ihre Kinder nach Europa zum Studieren schickten und Küchengeräte und Fernseher aus dem Westen kauften. Im Zweifel hatte halt der Westen Schuld für dieses Leben. Es waren jene Jahre, in denen die Fatah den Ruf bekam, liberaler und moderater zu sein als die anderen Parteien.
Doch vielen Palästinensern fehlte das Geld für ein westliches Leben. Die Korruption begann. Wer gut mit der Fatah stand, bekam einen Job und Vergünstigungen nach Wahl. Nach 14 Jahren brach das System zusammen, das Geld reichte nicht mehr aus, um die Beamten zu bezahlen. Die Bevölkerung verarmte. Die als unbestechlich geltenden Islamisten der Hamas sahen den Niedergang der Fatah als Chance. Sie verschenkten Lebensmittelpakete, gründeten Suppenküchen und Kindergärten und warfen der Fatah vor, Palästina verraten zu haben.
Vom Netz genommen
Die Armut wurde noch schlimmer, als die Hamas 2006 die Wahlen gewann. Die Regierungschefs im Westen stoppten die Geldzahlungen. Die EU und die USA stufen die Hamas als eine terroristische Organisation ein. Geld, falls überhaupt, fließe nur an die Fatah. Im März 2007 bildeten Fatah und Hamas deshalb nach langem Streit die "Regierung der nationalen Einheit". Beschlüsse gab es keine. Die Gelder aus dem Westen blieben aus. In Gaza gingen die Kämpfe zwischen den beiden Parteien auf der Straße weiter, bis sie in diesen Juni-Tagen zu einem Bürgerkrieg ausarteten.
Die Internetseite der Autonomiebehörde (http://www.pna.gov.ps) ist nicht mehr erreichbar. Sie wurde vom Netz genommen. Vor drei Monaten ließ das "Ministerium für Tourismus und Altertümer" noch eine Zeitung wissen, dass es bisher nicht möglich gewesen sei, die Geburtsbasilika in Bethlehem zum Weltkulturerbe zu erklären. Das stehe ganz oben auf der Liste. Ob das Ministerium in den nächsten Monaten noch bestehen bleibt, weiß niemand - Touristen wird es in Palästina aber sowieso kaum geben.