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Wer in einem China-Restaurant Mittag isst, kann, ohne es zu wissen, in einer chinesischen Behörde gelandet sein: in einer illegalen chinesischen Polizeistation. Weltweit soll es 102 solcher Übersee-Polizeistationen geben, in 53 Ländern, hat die Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders in inzwischen mehreren Berichten herausgefunden. Verteilt über Europa, aber auch auf dem amerikanischen Kontinent, in Asien und Afrika. Auch in Deutschland soll es laut dem Bericht ein solches Büro geben, in Frankfurt am Main.
Das Bundesinnenministerium hat Mitte Mai konkrete Zahlen genannt. Demnach gehen die Sicherheitsbehörden von sogar zwei sogenannten Übersee-Polizeistationen Chinas auf deutschem Boden aus. Wie viele es tatsächlich sind, ist schwer zu sagen. "Wir fangen gerade an zu rekonstruieren, wie viele es von diesen inoffiziellen Polizeistationen überhaupt gibt", sagt Mareike Ohlberg, Senior Fellow im Indo-Pazifik-Programm beim German Marshall Fund, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Insbesondere in chinesischen Medien war in der Vergangenheit von noch viel mehr Städten die Rede. Ohlberg nennt außer Frankfurt noch Düsseldorf, Berlin, Hamburg und München als weitere bekannte Standorte für solche Polizeistationen. "Ein paar Monate später gab es einen weiteren Bericht über 16 weitere, die in den chinesischen Medien aufgetaucht sind. Einige davon sind vielleicht superaktiv, andere haben vielleicht wirklich nur die Plakette da kleben, machen aber de facto nichts."
Die Details über die Auslands-Polizeistationen würden in der Regel über die Berichterstattung aus chinesischen Medien bekannt, erklärt die China-Expertin. Chinesen brüsteten sich dort damit, was sie in Deutschland und anderen Ländern erreicht hätten. Allerdings würden die Berichte häufig wieder schnell aus dem Netz genommen, "weil inzwischen auch der chinesischen Seite klar geworden ist: Oh, da guckt jetzt einer drauf. Das Ausland findet das nicht gut."
Kontakte zur chinesischen Botschaft
Diese Polizeistationen haben keine festen Büros. Sie siedeln sich dort an, wo die chinesische Community ohnehin schon aktiv ist. Bei einer bestehenden Organisation oder an einem Restaurant werde einfach ein weiteres Schild dran gehängt, berichtet Ohlberg. "Manchmal sind es China-Restaurants, manchmal sind das bereits bestehende Diaspora-Organisationen, Kulturzentren, die es bereits gibt, vielleicht mal ein Reisebüro, wo sowieso schon Kontakte zur chinesischen Botschaft bestehen. Die haben dann quasi eine weitere Aufgabe und sagen, wir machen das noch zusätzlich."
Richtige Polizisten arbeiten nicht in diesen Übersee-Polizeistationen, sondern es sind meist Menschen aus der chinesischen Gesellschaft, die teilweise die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Sie sind mit der chinesischen Botschaft in Kontakt, Chinas Sicherheitsbehörden vertrauen ihnen. Laut der Süddeutschen Zeitung sollen die "Polizisten" auch teils mit dem chinesischen Geheimdienst in Verbindung stehen.
Das Bundesinnenministerium nennt sie "Gemeindeführer" – diese Menschen helfen Chinesen, die in Deutschland leben, bei bestimmten Dienstleistungen und vermitteln zwischen den regionalen Behörden in China. Zum Beispiel, wenn jemand heiraten möchte, seinen Führerschein verlängern will oder bei Beerdigungen. Mehrere Tausend Menschen sollen die Beratungsangebote genutzt haben. Die Beratung läuft persönlich, aber hauptsächlich über Chats.
Regimekritiker werden überwacht und bedroht
Ganz nebenbei werden darüber Propaganda und ideologische Leitlinien verbreitet, so hatte es China selbst in der Vergangenheit beschrieben. Außerdem spioniert die Übersee-Polizei Regimekritiker aus und setzt sie unter Druck. "Weil wir das von anderen Organisationsformaten auch kennen, ist es nicht abwegig, davon auszugehen, dass teilweise über Aktivitäten in der Community Bericht erstattet wird, dass ein gewisser Grad an gegenseitiger Überwachung stattfindet und Informationen weitergeleitet werden an staatliche Behörden", sagt Ohlberg im "Wieder was gelernt"-Podcast.
Das kann so weit gehen, dass Regimekritiker bedroht und unter Druck gesetzt werden. "Wir kennen Fälle, wo diese Zentren genutzt wurden, um Leute zu überzeugen, sich chinesischen Behörden zu stellen, nach China zurückzukehren, freiwillig in Anführungsstrichen und nicht auf normalem Rechtsweg, sondern oft durch diese informellen Kanäle", so die Expertin. Die Familien in der Heimat würden dabei als Druckmittel benutzt.
Verbrechen werden auch im Ausland geahndet
Hinter den Polizeistationen stecke laut Ohlberg nicht die chinesische Zentralregierung. Sie sind Außenposten von lokalen Regierungen und Städten aus typischen Auswanderer-Regionen Chinas. Wie der Küstenprovinzen Fujian, Jiangsu und Zhejiang.
Sie wollten durch ihre Präsenz im Ausland zeigen, dass China sich auch dort für die nationale Sicherheit einsetzt. "Dass keiner denkt, er kann sich einfach im Ausland verstecken und dort Verbrechen begehen. Sowohl Verbrechen, die auch bei uns als Verbrechen gelten würden, als auch Dinge, die rein politischer Natur sind", so Ohlberg im "Wieder was gelernt"-Podcast. Die Behörde mache damit klar: "Wir sorgen dafür, dass wir euch alle finden und dass wir den Auftrag von der Zentralregierung ernst nehmen."
Eigentlich brauchen ausländische Polizisten auf fremdem Staatsgebiet eine Genehmigung. Zwischen Deutschland und China gibt es über die chinesischen Polizeistationen keine bilateralen Verträge. Sie sind damit illegal. Die deutschen Sicherheitsbehörden wissen aber schon seit Mitte 2018 darüber Bescheid, dass es sie gibt, berichtet die Süddeutsche Zeitung.
China bestreitet Existenz der Polizeistationen
Das Auswärtige Amt hatte von der chinesischen Botschaft Anfang November 2022 die Schließung der Übersee-Polizeistationen in Deutschland gefordert, "solcher Stationen, die nicht in Einklang mit dem Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen stehen. Das sind zwei Abkommen, die regeln, wie Staatsgewalt im Ausland ausgeübt werden darf", hatte Sprecherin Andrea Sasse Mitte Mai betont.
Anfang Februar habe die chinesische Seite laut Sasse auf die Verbalnote geantwortet, dass es keine solchen Polizeistationen gebe. Etwaige Servicestationen, wie sie die chinesische Seite bezeichnet hat, seien geschlossen worden.
Russland und China – Stationen einer unheimlichen Freundschaft

Die USA greifen anscheinend strenger durch: In Chinatown in New York ist Mitte April eine solche Auslands-Polizeistation geschlossen worden. Die Polizei hatte zwei Männer festgenommen, die dort Regierungskritiker überwacht und eingeschüchtert haben sollen, und zwar für einen lokalen Ableger des chinesischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit.
In Deutschland haben die Sicherheitsbehörden zwar im Blick, was in den chinesischen Polizeistationen passiert, sagt das Bundesinnenministerium. Sie existieren aber immer noch, obwohl die Plaketten anscheinend inzwischen verschwunden sind. Auch wenn sie geschlossen werden, heißt das nicht, dass sie nicht mehr aktiv sind. "Man kann die Schließung fordern und auch offiziell bewirken. Aber dadurch werden ja die Aktivitäten nicht eingestellt", stellt China-Expertin Ohlberg klar.
Das Polizei-Schild am China-Restaurant ist zwar schnell abgeschraubt. Solange die angeblichen Polizisten aber nicht geschnappt sind, können sie weiterhin Chinesen in Deutschland ausspionieren und drangsalieren.