Feierliche Beisetzungen von ehemaligen Häftlingen, die für die Söldner-Truppe Wagner, in den Krieg gezogen sind, sind Teil der Kommunikationsstrategie von Jewgeni Prigoschin, dem Chef der vermeintlichen Privatarmee. Männer, die wegen Mordes noch Jahre in Haft hätten verbringen müssen, werden wie Helden bestattet. Manchmal lässt sich Prigoschin gar persönlich blicken. In seiner Theorie helfen solche Beerdigungen mit symbolischem Pomp einerseits einen morbiden Heldenkult rund um seine Söldner aufzubauen. Andererseits sind sie äußerst dienlich, um dem Chef im Kreml vorzuführen, was für einen erbitterten Kampf die Truppe in der Ukraine führt.
Im entbrannten Machtkampf zwischen Prigoschin und dem russischen Verteidigungsministerium soll Putin schließlich sehen, wer an der vordersten Front steht. Und nach dem Willen des Mannes, der den Spitznamen Putins Koch trägt (weil er Jahre lang die Küchen des Kremls beliefert hat), soll das Urteil seines Gönners eindeutig zu seinen Gunsten ausfallen.
Doch in der Praxis entwickeln sich solche Inszenierungen nicht so, wie Prigoschins Theorie es vorsieht. Zumal wenn sie tatsächlich nichts weiter sind als Inszenierungen. Denn es stellt sich heraus: Die Wagner-Truppe beerdigt nicht nur Tote.
Aus dem Gefängnis verschwunden
Eine Frau, die von Prigoschin zur Witwe erklärt wurde, machte nun diese Praxis öffentlich. Ihre Geschichte erzählte sie dem unabhängigen TV-Sender Dozhd. Ihr Mann habe eine Strafe wegen Mordes verbüßt. Im vergangenen Herbst habe sie jedoch jeglichen Kontakt zu ihm verloren. Auf einen Anruf von ihm wartete sie vergeblich. Stattdessen meldete sich eine Fremde: "Mich rief die Mutter eines seiner Mithäftlinge an. Sie teilte mir mit, dass mein Mann, von der Wagner-Truppe angeworben worden ist", berichtete die Frau, die sich aus Angst Angelina nennen lässt.
Dass ihr Mann freiwillig in den Krieg gezogen ist, glaubt sie nicht. "Für meinen Mann war die Ukraine nie ein faschistischer Staat. Er war oft dort. (...) Er hat dort Verwandte, sein Großvater lebt noch immer in der Ukraine."
Also schrieb Angelina an das russische Verteidigungsministerium. Sie schrieb auch an den Bundesgefängnisdienst, ein föderales Exekutivorgan, der Haftanstalten beaufsichtigt und kontrolliert. Sie verlangte Antworten, wollte wissen, wie ein Häftling in den Krieg geschickt werden konnte. Die Antwort der Behörde: Man könne ihr den Aufenthaltsort ihres Mannes nicht verraten, weil er dazu keine Einverständniserklärung abgegeben habe. Das offizielle Schreiben liegt der Redaktion von Dozhd vor.
Genauso wie die schriftliche Antwort des Verteidigungsministeriums. Die Behörde unter der Leitung von Sergej Schoigu schrieb, man wisse nichts über den Aufenthaltsort des Mannes, weil er nicht in den Reihen der russischen Streitkräfte geführt werde.
Ein geschlossener Sarg und viele Fragen
Ende Dezember klingelte bei Angelina plötzlich das Telefon. "Mich rief ein Vertreter der Wagner-Truppe an und teilte mir mit, dass mein Mann tot ist", erzählte sie in einem Telefongespräch mit Dozhd. Sie sollte einen Antrag auf die Überstellung seiner Überreste unterschreiben.
Der geschlossene Sarg, der daraufhin kam, stellte die Familie vor viele Fragen. Woher soll man da wissen, wen man da beerdigt? Bei der Wagner-Truppe hatte man eine Antwort parat. Es sei nicht nötig, den Sarg zu öffnen, weil man allen Söldnern vor ihrem Einsatz eine DNA-Probe entnehme. Bei den Überresten in dem geschlossenen Sarg, handele sich "mit hundertprozentiger Garantie" um ihren Mann, teilte man Angelina mit.
Zusammen mit dem geschlossenen Zink-Sarg kamen Wagner-Medaillen, ein Dankschreiben für den "heldenhaften Tod" im Kampf für die "Freiheit und Unabhängigkeit" der selbstausgerufenen Republik Luhansk und eine Sterbeurkunde – unterzeichnet in der Stadt Bachmut. Jener Stadt, um die seit Monaten erbitterte Kämpfe toben und die Prigoschin mit rekrutierten Häftlingen zu erobern sucht.
Anruf vom ukrainischen Geheimdienst
Angelina blieb nichts anderes übrig, als den Zinksarg beizusetzen. Einige Wochen nach der Beerdigung meldete sich ein Unbekannter bei ihr – mit einer überraschenden Nachricht. "Ihr Mann wurde von der Wagner-Truppe angeworben und befindet sich nun in Debalzewe. Alles weitere bestimmt das Schicksal", schrieb der Mann, dessen Profilbild das Wagner-Emblem schmückte.
Angelina tat die Nachricht als einen Streich ab. Doch einige Tage später erhielt sie einen Anruf von einer ukrainischen Nummer. Der Mann am anderen Ende der Leitung stellte sich als Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes der Ukraine vor (SBU). Ihr Mann sei am Leben und befinde sich in ukrainischer Haft, teilte er Angelina mit. "Nach einer Verletzung hätten die ukrainischen Streitkräfte ihm das Leben gerettet. Jetzt sollen wir auf einen Prozess warten. Sie sagten nichts Konkretes, verrieten aber, dass er Ende Oktober festgenommen wurde und bis jetzt in Untersuchungshaft ist. Und sie beschrieben tatsächlich jene Verletzung, die von der Wagner-Truppe als Todesursache angegeben worden war."
Die ukrainische Militärkommandantur teilte Angelina auf Nachfrage mit, ihr Mann sei verletzt in die ukrainische Gefangenschaft geraten. Der Inlandsgeheimdienst der Ukraine wollte diese Information gegenüber Dozhd nicht bestätigen. Dies sei erst nach der Gerichtsverhandlung möglich. Doch die Behörde gab an, dass solche Fälle keine Seltenheit sind.
Die Zink-Särge der Wagner-Söldner
In den sozialen Netzwerken häufen sich Berichte von Angehörigen von Wagner-Söldnern, die geschlossene Zink-Särge erhalten. Einige öffnen sie – trotz der entgegen lautender dringlicher Empfehlung seitens der Söldner-Truppe – und stellen fest, dass sie leer sind. Andere haben Angst, die Särge zu öffnen. Die einen fürchten das, was sie sehen könnten. Andere wollen nicht das Risiko eingehen, die Gelder zu verlieren, die mit dem Tod eines Söldners einhergehen.
Auch Angelina hat Angst – Angst sich an die russischen Behörden zu wenden. "Was ist, wenn mein Mann wirklich am Leben ist und sie ihn finden, bevor er sich selbst meldet. Was ist, wenn mit ihm dann irgendwas geschieht? Denn offiziell existiert er gar nicht."
Die Angst von Angelina ist berechtigt. Welches Schicksal jenen Söldner droht, die es gewagt haben, in die ukrainische Gefangenschaft zu geraten, führte die Truppe selbst vor, als sie Jewgeni Nuschin mit einem Hammer öffentlichkeitswirksam hinrichtete. (Mehr dazu lesen Sie hier.)