Mobilmachung in Russland Meuterei im Ausbildungslager – mobilisierte Soldaten gehen auf Barrikaden

In Russland dauert die Mobilmachung an. Frisch eingezogene Soldaten bei der Vorbereitung für die Front.
In Russland dauert die Mobilmachung an. Frisch eingezogene Soldaten bei der Vorbereitung für die Front. Doch im Gegensatz zu den Bildern der Propaganda, müssen sich die Mobilisierten oft selbst ausrüsten – von Helm bis Schutzweste. 
© Vladimir Smirnov/TASS PUBLICATION
Auch wenn Wladimir Putin die Mobilmachung für abgeschlossen erklärt hat, wird in Russland weiter mobilisiert. Dass den Worten Putins keine Taten folgen, zeigen auch die ausbleibenden Zahlungen, die er per Dekret versprochen hat. In Uljanowsk führte dies zu einer Meuterei.

Mobilisierte Männer aus der russischen Teilrepublik Tschuwaschien üben in einem Ausbildungslager in der Stadt Uljanowsk den Aufstand. Der wichtigste Grund für ihren Unmut: die ausbleibenden Zahlungen, die ihnen versprochen worden waren. Mehr als 100 frisch rekrutierte Soldaten weigern sich nun, in den Krieg zu ziehen. 

"Wir riskieren unser eigenes Leben und gehen für Ihre Sicherheit und Ihr friedliches Leben in den sicheren Tod!", hieß es einer Erklärung, die von der Menschenrechtsorganisation Gulagu.net und dem Telegram-Kanal "Wütendes Tschuwaschien" veröffentlicht wurde. "Unser Staat weigert sich, uns die Summe von 195.000 Rubel auszuzahlen, die uns Präsident Wladimir Putin versprochen hat! Warum sollten wir für diesen Staat kämpfen und unsere Familien ohne Unterstützung zurücklassen?! Wir weigern uns, an der 'militärischen Sonderoperation' teilzunehmen und werden für Gerechtigkeit kämpfen, bis wir das Geld, das uns unsere Regierung unter Führung des Präsidenten der Russischen Föderation versprochen hat, bekommen haben!"

Wladimir Putin hatte am 19. Oktober ein Dekret unterzeichnet, wonach jede mobilisierte Person nach ihrer Einberufung in die Armee mindestens 195.000 Rubel pro Monat erhalten sollte. Nach aktuellem Kurs sind es umgerechnet 3176 Euro. Die Anordnung trat am 1. November in Kraft. Zudem hatte Putin bei einer Sitzung des Sicherheitsrates betont, dass die Zahlungen noch während der Ausbildung der mobilisierten Kräfte geleistet werden sollen. Auf der offiziellen Website des Kremls ist das Dekret in seinem vollen Wortlaut für jeden nachlesbar. Im ersten Absatz wird festgelegt, dass die Zahlungen bereits in der Ausbildungszeit erfolgen sollen.

Mobilmachung läuft, Zahlungen bleiben aus 

Doch die versprochenen Zahlungen bleiben aus. Nicht nur in Uljanowsk, wo sich die Mobilisierten zu einer Meuterei entschlossen haben. Auf Videoaufnahmen aus dem betroffenen Ausbildungslager beschweren sich die Männer darüber, dass sie auch eine einmalige Zahlung von 300.000 Rubel nicht erhalten haben. Diese sei ihnen von den Einberufungsämtern zugesagt worden. "Mir hat der Militärkommissar versprochen, dass wir innerhalb von zwei oder drei Tagen die einmalige Zahlung in Höhe von 300.000 Rubel bekommen werden", ruft ein empörter Rekrut. 

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Proteste bis tief in die Nacht 

Die ausbildende Offizierin klärt die Soldaten darüber auf, dass der entsprechende Gesetzesentwurf in der Duma nach der ersten Lesung fallengelassen worden ist. Tatsächlich hatte eine Gruppe von Abgeordneten wenige Tage nach dem Beginn der Mobilisierung am 21. September dem Unterhaus einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Pauschalzahlung von 300.000 Rubel für die Mobilisierten vorsah. Einen Monat später wurde der Entwurf zurückgezogen.

Doch die Mobilisierten interessiert das wenig. "Dann zerreißt eure Parteiausweise und ab mit euch an die Front", entgegnen sie ihren Vorgesetzten, wie auf den Videoaufnahmen aus Uljanowsk zu hören ist. 

Nach dieser Konfrontation setzten die Rekruten ihren Protest fort. Aufnahmen vom späten Dienstagabend zeigen die aufgebrachte Menge. Bis zu 2000 Soldaten sollen sich dem Protest angeschlossen haben. 

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Nationalgarde soll Meuterei "beruhigt" haben 

Einheiten der russischen Nationalgarde und die Sondereinheit Omon sollen die Proteste in dem Ausbildungslager schließlich zum Erliegen gebracht haben, meldet der Telegram-Kanal "Wütendes Tschuwaschien". Unbestätigten Informationen zufolge sollen die Teilnehmer der Randale "beruhigt" worden sein. Wie genau ist unbekannt. Andere lokale Medien berichten jedoch, dass die Proteste am Mittwoch fortdauerten. Die Mobilisierten weigern sich demnach, an den Übungen teilzunehmen. 

Es ist nicht das erste Mal, dass mobilisierte Soldaten über ausbleibende Zahlungen klagen. Allein im vergangenen Monat sind Dutzende ähnlicher Videos in den sozialen Netzwerken aufgetaucht. 

Schüler nähen Kleidung für Soldaten 

Die Rekruten sind außerdem gezwungen, sich selbst für den Krieg auszurüsten. Tampons und Slipeinlagen sollen ihnen Verbandsmaterial ersetzen. Ehefrauen von eingezogenen Männern unterhalten sich in Chats, dass es etwa 150.000 Rubel koste, einen Mann für den Krieg auszustatten. Inzwischen lassen die russischen Behörden Schüler und Studenten, Kleidung für die Mobilisierten anfertigen. Entsprechende Berichte kommen aus den unterschiedlichsten Regionen Russlands, darunter Wladimir, Rostow, Samara, Burjatien und Baschkortostan.

"Die Mobilmachung, die Putin am 21. September ausgerufen hat, ist keineswegs eine Teilmobilmachung", betont im Gespräch mit dem unabhängigen Sender Dozhd Sergej Kriwenko, Leiter der Rechtsschutzorganisation Bürger. Armee.Recht. "Das Dekret des Präsidenten nennt keine Fristen. Die Mobilmachung dauert an. Der Verteidigungsminister hat lediglich die Beendigung der Maßnahmen zur Mobilisierung verkündet. Nicht das Ende der Mobilmachung selbst." Das Vokabular sei hier entscheidend. Damit habe Schoigu faktisch das Ende der ersten Welle der Mobilmachung verkündet. Wie viele neue Rekruten eingezogen worden sind, wisse man nicht. Den Angaben aus dem russischen Verteidigungsministerium könne man nicht vertrauen. "200.000, 300.000, 500.000, manche Quellen sprechen gar von einer Million Mobilisierter", so Kriwenko. 

Russland verdaut erste Welle der Mobilmachung

"Das Verteidigungsministerium verdaut nun diese erste Welle. (...) Der Platz in den Ausbildungszentren ist schließlich begrenzt. Alle müssen ausgerüstet und versorgt werden. Die logistischen Probleme, die gravierend sind, müssen gelöst werden. Das wird einige Monate erfordern", erklärte der Experte. Zudem habe nun der regelrechte herbstliche Einzug zum Wehrdienst begonnen, der weitere 120.000 Rekruten in dieselben Ausbildungslager spülen wird. 

"Das Verteidigungsministerium ist momentan gar nicht mehr in der Lage, große mobilisierende Maßnahmen durchzuführen. Doch viele Experten rechnen, damit dass zum Ende des Winters eine neue Welle der Mobilmachung anlaufen wird." 

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