"Kauft, was ihr könnt!" Tampons für die Wunden, Binden für die Stiefel – Putins neue Soldaten zeigen, wie die Mobilmachung aussieht

Mobilmachung in Russland: Frisch eingezogene Soldaten machen sich aus Sewastopol aus an die Front 
Mobilmachung in Russland: Frisch eingezogene Soldaten machen sich aus Sewastopol aus an die Front 
© STRINGER / AFP
Russland will mindestens 300.000 Soldaten mobilisieren. Doch es fehlt an allem. Die Offiziere gestehen frei heraus: "Wir haben nichts!" Die frisch rekrutierten Soldaten sollen sich selbst versorgen. Von Tampons bis Helmen steht alles auf ihren Einkaufslisten.

Als Wladimir Putin am 24. Februar die ersten Soldaten über die ukrainische Grenze schickte, hatten die russischen Truppen weder Verpflegung noch Winterausstattung im Gepäck. In Sommeruniformen marschierten sie durch die vereisten Sümpfe der Ukraine. Damals rechnete jedoch die Führung im Kreml mit einem Blitzkrieg. In drei Tagen sei man in Kiew, posaunten Putins Getreue. Ein halbes Jahr später hat die Armeeführung allem Anschein nach nichts dazu gelernt. Die Mobilmachung offenbart den eklatanten Zustand der russischen Streitkräfte. 

Für die frisch eingezogenen Soldaten fehlt es an allem: Kleidung, Schutzwesten, Helmen, Medikamenten, Verbandsmaterial. Die Rekruten klagen über veraltete Uniformen, hausen in Baracken. Große Eimer ersetzen Sanitäranlagen. Für großes Aufsehen sorgte die Verteilung von verschimmelten Maschinengewehren.

Die Mobilisierten schicken unzählige Aufnahmen in die sozialen Netzwerke. Sie zeigen die frappierenden Einweisungen, die sie von ihren Offizieren bekommen. In der Region Swerdlowsk erzählte man den Soldaten, ihre Familien müssten ihnen Schlafsäcke oder Isomatten zukommen lassen. "Ihr werdet schlafen, wo es gerade geht", blafft die Instrukteurin auf dem Video. "Wir werden also nichts bekommen, richtig?", fragt einer der Anwesenden. "Ihr bekommt nur Uniformen. Schutzkleidung, alles Militärische – wir haben nichts! Wir statten unsere Männer selbst aus. Auch was Medizin angeht", betont sie und zählt auf, was die Rekruten brauchen werden. "Alles gegen Durchfall, unbedingt Wasserstoffperoxid, Bandagen. Ich habe nicht genug Bandagen für euch alle!" Auf die Erwiderung, es gebe keine Verbandsmittel in den Apotheken mehr, rät die Frau, die Erste-Hilfe-Kästen in den Autos zu plündern. 

"Bittet eure Frauen, Freundinnen oder Mütter um Slipeinlagen. Die billigsten Slipeinlagen plus die billigsten Tampons. Wisst ihr wozu? Wenn ihr eine Schusswunde habt, drückt ihr die in die Wunde hinein. Der Tampon quillt auf und verschließt die Ränder. Männer, ich kenne das noch aus Tschetschenien", erzählt die Instrukteurin, die anscheinend im Tschetschenien-Krieg gedient hat. Auch als Schuheinlagen würden sich Binden gut eignen. "Das Wetter ist drüben feucht. Meine Freunde und Kameraden vor Ort teilen diese Informationen mit uns und sagen, was wir alles mitnehmen sollen. Männer, kümmert euch um euch selbst! Bittet eure Verwandten! Kauft, was ihr könnt!"

Mobilmachung in Russland: Frisch eingezogene Soldaten machen sich aus Sewastopol aus an die Front 
Mobilmachung in Russland: Frisch eingezogene Soldaten machen sich aus Sewastopol aus an die Front 
© STRINGER / AFP
Mobilmachung in Russland: Soldaten sollen Binden und Tampons mitnehmen

Andere Mobilisierte veröffentlichen Videos aus ihren Baracken, wo es keine Betten gibt und die Menschen auf Bänken oder direkt auf dem Boden schlafen müssen. Woanders haben die Soldaten das Glück, alte blutbefleckte Matratzen zu bekommen. 

Die ewigen Probleme in Russland 

"Die Mobilisierten bekommen in den Militärkommissariaten mittlerweile ganze Listen ausgehändigt, was sie alles besorgen und am nächsten Tag mitbringen sollen", berichtete Sergej Kriwenko, der Leiter der Rechtsschutzorganisation "Bürger. Armee. Recht", im Gespräch mit dem unabhängigen Sender Dozhd. "Es werden nicht nur solche Sachen wie warme Kleidung und persönliche Gegenstände aufgeführt, sondern auch Zelte, Schlafsäcke und anderes." Er rät dazu, auf die Militärkommissare zu hören und dies alles tatsächlich zu besorgen. "Die russische Armee wird gut finanziert und theoretisch sollte alles vorhanden sein. Aber wie immer in Russland: Entweder wurde alles gestohlen, hat eine ungenügende Qualität oder es ist alles da, liegt aber im Lager." 

"Ich werte solche Listen daher als Fürsorge seitens der Kommissariate und Militärs aus. Sie wissen, wohin und auf welche Weise die Mobilisierten ausgeschickt werden. Sie versuchen wenigstens im letzten Moment, den Leuten zu verstehen zu geben, wohin sie gehen werden, und geben ihnen Gelegenheit sich vorzubereiten", sagt Kriwenko. 

Die Einziehung von 300.000 Soldaten stelle die Führung der russischen Armee vor eine ungeheure Herausforderung. Jedoch kämpften die Streitkräfte bereits in den vergangenen sieben Monaten mit Versorgungsproblemen. "Es fehlt an Uniformen, an Nahrung, an Medizin." 

100.000 Rubel für eine Schutzweste 

Als Fürsorge empfinden jedoch nur wenige Betroffene die Listen. In den sozialen Netzwerken machen sie dem Frust über die hohen Kosten Luft. 

Der Journalist Ilja Schepelin schildert einen typischen Fall, der ihm von einem Freund zugetragen wurde: "Mein Kollege hat Verwandte in Chakassien. Große Putinisten. Gestern haben sie ihn angerufen und darüber geklagt, dass ihre beiden Jungs in die Armee eingezogen werden. Ihnen wurde gesagt, sie sollten selbst Schutzwesten, Helme und Uniformen kaufen." Eine Schutzweste koste 100.000 Rubel, ein Helm 20.000. Dafür müsste die Familie nun einen Kredit aufnehmen. In einer Region, in der nach offiziellen Angaben des russischen Statistikamts der durchschnittliche Monatslohn bei 47.000 Rubel liegt, sind das tatsächlich große Summen. 

Völlig unvorbereitet aus dem Zivilleben an die Front 

Doch die frisch rekrutierten Soldaten werden nicht nur ohne Ausstattung an die Front geschickt, sondern auch ohne Vorbereitung. Männer, die in den vergangenen Tagen in das erste Panzer-Regiment eingezogen worden sind, berichteten fassungslos, dass sie ungeschult in den Krieg ziehen sollen. "Man hat uns offen gesagt, dass es keine Vorbereitung geben wird, bevor man uns ins Kriegsgebiet schickt. Die Kommandeure des Regiments haben diese Information bestätigt. Am 29. September steht uns die Entsendung nach Cherson bevor", erzählte ein sichtlich mitgenommener Mann in einer Videobotschaft. "Deswegen überlegt euch selbst, was ihr mit dem Ganzen machen wollt." Man erhalte nicht einmal eine Einweisung an den Schusswaffen, fügte sein Kamerad hinzu.

Das ist kein Einzelfall. Tausende Mobilisierte aus Lipezk wurden bereits nach einem Tag Training an die Front geschickt. Am Mittwoch machten sich frische rekrutierte Truppen von Sewastopol auf in den Krieg. 

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Keine Chance auf Ausmusterung 

Anderen Rekruten verspricht man eine einmonatige Vorbereitung, bevor sie in den Krieg geschickt werden, wie auf dem folgenden Video zu hören ist. "Was für eine Ausstattung wir bekommen werden, kann ich jedoch nicht sagen", verkündet der Offizier und nimmt den Männern jegliche Hoffnung, doch noch ausgemustert zu werden. "Wenn jemand von euch Wirbelhernien, Platten im Schädel, etc. hat, wird in Kategorie C eingeordnet werden. Ihr unterliegt also der Mobilmachung. Deswegen erzählt nicht, ihr könnt nicht", stellt der Kommandeur fest. 

Er selbst sei halb blind und sei auf Pillen und Schmerzmitteln. "Wenn ich mit euch fahre, werde ich genauso alle Aufgaben erfüllen."

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Mobilisierte bereits in ukrainischer Gefangenschaft? 

Unterdessen tauchten in den sozialen Netzwerken erste Videos mit russischen Gefangenen auf, die behaupten im Rahmen der Mobilmachung in die Armee eingezogen worden zu sein. Die Aufnahmen mit ihren Aussagen wurden von dem ukrainischen Journalisten Andriy Tsaplienko und dem Telegrammkanal "Operational Luhansk Region" veröffentlicht. Einer der Gefangen sagt aus, er habe den Mobilisierungsvertrag am 21. September unterschrieben. Mit zitternden Händen hält er seine Dokumente in die Kamera. 

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