Razzien und Festnahmen Nach Telefonat mit Biden lässt Putin seinen Frust an Nawalny aus

Wladimir Putin muss wegen dem Fall Alexej Nawalny viel Kritik anhören
Wladimir Putin musste sich sowohl von Joe Biden als auch den Außenministern der G7-Staaten harsche Worte in seine Richtung anhören 
© Mikhail Metzel / Picture Alliance
Er sprang über seinen eigenen Schatten, machte den ersten Schritt – und bekam wieder Vorhaltungen zu hören. Das erste Telefonat zwischen Wladimir Putin und Joe Biden ließ den Kreml-Chef offenbar so frustriert zurück, dass er zu einem neuen Schlag gegen Alexej Nawalny ausholte. 

Fast eine Woche lang hat Wladimir Putin gewartet und wahrscheinlich mit sich gerungen: Sollte er tatsächlich zum Telefonhörer greifen und den ihm so unliebsamen neuen Mann im Weißen Haus anrufen? Als Erster? Und das, wo Joe Biden auch noch zu verstehen gegeben hatte, dass der Kreml-Chef nicht zu den ersten Personen auf der Telefonatsliste steht? 

Also wartete Putin. Am vergangenen Dienstag rang er sich offenbar schließlich zu der Entscheidung durch. Der Zeitpunkt schien vielversprechend. Der neue US-Präsident hatte kurz zuvor angekündigt, an dem atomaren Abrüstungsvertrag New Start mit Russland festhalten zu wollen – ein ermunterndes Signal in Richtung des Kremls.

Also machte Putin den ersten Schritt. Doch auch, wenn sich die beiden Staatschefs bei dem folgenden Telefonat auf eine Verlängerung des letzten großen Abrüstungsvertrags um weitere fünf Jahre verständigen konnten, verlief das Gespräch wohl nicht zur Putins Zufriedenheit. 

Biden trifft Putin am wunden Punkt 

Biden ließ es sich nicht nehmen, für den Mann Partei zu ergreifen, dessen bloße Erwähnung für Putin wie das rote Tuch für den Stier ist: Alexej Nawalny. Die USA seien sehr besorgt über das Verhalten Russlands, sei es im Fall von Nawalny, des Hackerangriffs auf das Unternehmen SolarWinds oder der Berichte über russische Kopfgelder auf Amerikaner in Afghanistan, kommentierte der neue US-Präsident das Telefonat. "Ich habe die zuständigen Behörden gebeten, jedes dieser Probleme im Detail zu untersuchen, mir genau zu sagen, wie der Stand der Dinge ist, und ich werde nicht zögern, diese Probleme mit den Russen zu besprechen", erklärte er und drohte mit neuen Sanktionen.

Biden habe nicht nur die "Vergiftung" des Kreml-Kritikers zur Sprache gebracht, sondern auch den "Umgang der russischen Sicherheitskräfte mit friedlichen Demonstranten", berichtete seine Sprecherin Jen Psaki. In Russland waren am Wochenende vor dem Telefonat tausende Unterstützer Nawalnys festgenommen worden. "Seine Absicht war es auch klar zu machen, dass die USA entschlossen handeln werden, um unsere nationalen Interessen angesichts bösartiger Aktionen Russlands zu verteidigen."

Deutliche Worte von Biden an Putin. Welch wunden Punkt sie getroffen haben müssen, zeigt allein schon das Statement des Kremls zum selben Gespräch. Dort werden weder Nawalny noch andere kritische Themen erwähnt. "Insgesamt war das Gespräch zwischen den Führern Russlands und den Vereinigten Staaten sachlich und offen. Es wurde vereinbart, Kontakte zu pflegen", heißt es dort im Fazit. 

Wladimir Putin holt zum neuen Schlag aus 

Entgegen der demonstrativen Gelassenheit im Statement muss es aber in Putin nach dem Telefonat gebrodelt haben. Am Tag danach holte er zum neuen Schlag gegen seinen Erzfeind aus. Am Mittwoch durchsuchten maskierte Uniformierte bei mehreren Razzien Wohnungen und Büros von Nawalny sowie seinen Angehörigen und Mitarbeitern. Polizeikräfte kreuzten unter anderem im Büro von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung FBK sowie in seiner Moskauer Familienwohnung und der seiner Frau Julia auf. Anschließend wurden Angaben des FBK-Teams zufolge Nawalnys Bruder Oleg, seine Vertraute Ljubow Sobol und ein Mitarbeiter der Stiftung festgenommen.

Die Polizei und das Innenministerium begründeten die Durchsuchungen mit Verstößen gegen Anti-Corona-Maßnahmen im Zusammenhang mit den Massenprotesten vom vergangenen Wochenende. Die Organisatoren und die Demonstranten hätten "die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus riskiert", erklärte eine Sprecherin des Ministeriums. Eine fadenscheinige Begründung, wo doch Putin am vergangenen Montag selbst von einer "Stabilisierung der Situation mit dem Coronavirus" gesprochen hatte, die es ermögliche, die auferlegten Beschränkungen aufzuheben. In Moskau haben bereits seit dem 22. Januar Museen, Bibliotheken, Universitäten und andere kulturelle Einrichtungen wieder geöffnet.

Razzien als Trotzreaktion? 

Dass die Razzien ausgerechnet am Tag nach dem Telefonat mit Biden erfolgt sind, halten politische Beobachter für keinen Zufall. Zumal auch die G7-Staaten in die gleiche Kerbe geschlagen haben. "Wir, die G7-Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Japans, Kanadas, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika sowie der Hohe Vertreter der Europäischen Union, verurteilen gemeinsam die politisch motivierte Festnahme und Inhaftierung Alexej Nawalnys", heißt es in einer Erklärung vom Mittwoch. Nawalny solle umgehend und ohne Vorbedingungen freigelassen werden, Russland müsse sich an internationale Verpflichtungen halten und die Menschenrechte achten, schrieben die Außenminister.

Und das, obwohl Putin bei seinem Auftritt auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum von Davos sich so bemüht hatte, genau das zu sagen, was die Amerikaner und Europäer aus seiner Sicht so gern hören. "Wir müssen zu einer positiven Agenda zurückkehren. Daran ist Russland interessiert und ich bin überzeugt, dass daran auch die europäischen Länder interessiert sind", säuselte der Kreml-Chef noch bei seinem ersten Auftritt auf dem Forum seit zwölf Jahren. Die harschen Worte der G7 danach müssen umso mehr wie ein Schlag ins Gesicht auf Putin gewirkt haben. Die Razzien bei Nawalnys Familie und Freunden sind wohl seine Antwort. 

tkr