Die große Krise ist erst einmal abgewendet. Als kurz nach 1 Uhr nachts Athener Zeit die Stimmen in Parlament gezählt sind, steht fest: Ministerpräsident Georgios Papandreou hat die Vertrauensfrage überlebt. Mit 153 gegen 148 Stimmen. Doch den Leuten in den Strassen von Athen ist keine Freude anzumerken. Vielmehr macht sich in der griechischen Hauptstadt Wut und Zorn bemerkbar.
"Zuerst versprechen sie uns einen Volksentscheid, um die Meinung des Volkes zu hören", sagt Alexis, ein Basarhändler im Stadtteil Monastiraki. "Und dann blasen sie alles ab, und alles bleibt beim Alten: Das Volk zahlt die Zeche!"
Nach anderthalb Jahren auf scharfem Sparkurs ist die Stimmung nicht nur unter den Händler der griechischen Hauptstadt gereizt. Viele Griechen pfeifen finanziell aus dem letzten Loch und trauen es der Regierung Papandreou nicht mehr zu, die Wende zu schaffen. "Er hat das Land in die Rezession und Armut geführt", sagt Elena Georgiou, eine Grundschullehrerin.
"Es sind doch alles Lügner und Diebe!"
15 Jahre lang hat sie mit Jahresvertragen an Schulen auf dem Land unterrichtet - bis ihr Vertrag vergangenen Herbst nicht mehr verlängert wurde. Sie schlägt sich seitdem mit Privatunterricht durch. "Die Leute haben aber immer weniger Geld, immer mehr Schüler springen ab." Dafür macht sie die Regierung Papandreou verantwortlich. "Sie regieren das Land nicht, sie setzen nur die Befehle um, die sie aus Brüssel von der EU bekommen. So kann es doch nicht weiter gehen!"
Georgiou möchte nicht, dass Griechenland aus der EU austritt. Sie will auch die Drachme nicht zurück. Aber die Einsparungen, die von Europa zur Bedingung für neue Kredite gemacht wurden, hält sie für ebenso unmenschlich wie kontraproduktiv. Sie will bei jeder Demonstration dagegen protestieren und hat sich sogar ein Spruchband gemalt: "Gegen das Diktat der Finanzmärkte!"
Auch Kioskbesitzer Michalis ist wütend auf die Politik. "Es sind doch alles Lügner und Diebe!", sagt der leicht ergraute Mann. "Nun wollen sie eine Koalitionsregierung bilden, um sich die Pfründe zu sichern."
Opposition stemmt sich gegen Hilfspaket
Tatsächlich bemüht sich Papandreou am Samstag erneut um die Einbeziehung der Opposition in die Regierung. Bisher hat sich die größte Oppositionspartei Nea Demokratia seinem Werben aber verweigert. Auch diesmal stehen die Chancen schlecht. Denn Oppositionsführer Antonis Samaras stemmt sich gegen das jüngste Griechenland-Paket und riskiert dafür sogar den Austritt des Landes aus der Euro-Zone: Dem Spardruck aus Brüssel zu widerstehen war bislang seine Devise.
"Samaras will keine Verantwortung für die unpopulären Maßnahmen übernehmen, er spekuliert lieber auf frühzeitige Neuwahlen und hofft, sie zu gewinnen", sagt Nikos Xydakis, Chefredakteur der konservativen Zeitung "Kathimerini".
Papandreou könnte aber auch die kleinen Rechtsparteien einbinden, die sich immer pro-europäisch gaben. Eine Regierungsumbildung in den nächsten Tagen gilt als sicher - wie sie tatsächlich aussehen wird, ist aber noch völlig offen. Auch überparteiliche Experten könnten beteiligt werden. Der Name des früheren EZB-Vizes Lukas Papademos wird immer mal wieder als Premier in spe genannt.
Finanzminister Venizelos als Papandreou-Nachfolger?
Denn dass Papandreou auch die nächste Regierung in Athen führen wird, ist unwahrscheinlich. Mehrere Mitglieder seiner sozialdemokratischen Partei Pasok raten dem Premier zum Rücktritt. Als möglicher Nachfolger steht offensichtlich Finanzminister Evangelos Venizelos bereit. Er könnte die mit der EU vereinbarten Sparpakete auf den Weg bringen und damit die Voraussetzungen für den Schuldenerlass und neue Hilfspakete freimachen. In sechs Monaten könnten dann Neuwahlen stattfinden.
Papandreou jedenfalls hat seinen Kampf um die Macht noch nicht aufgegeben. Am Samstagmittag traf er im Athener Palais von Staatspräsident Karolos Papoulias ein, um über eine neue Regierung zu sprechen. Dass noch über das Wochenende eine Entscheidung fällt, halten Beobachter für unwahrscheinlich. Die Athener werden weiter schimpfen können.