Für Ungeimpfte wird es demnächst kompliziert: Am Dienstag haben sich Bund und Länder auf die 3G-Regel geeinigt. Wer nicht getestet, genesen oder geimpft ist, muss unter anderem auf Restaurant- oder Kinobesuche verzichten. Im Kampf gegen eine vierte Corona-Welle müssen sich Nicht-Geimpfte zudem auf eine Testpflicht einstellen. Die Kosten müssen die Verbraucher ab dem 11. Oktober selber tragen. Das erklärte Ziel: Möglichst schnell möglichst viele Menschen zur Impfung zu bewegen. Sollte ein weiterer Lockdown unumgänglich werden, planen manche bereits mit weiteren Verschärfungen.
Gelten soll die 3G-Regel etwa für Kliniken, Pflegeheime, Innengastronomie, Veranstaltungen drinnen, beim Friseur, in Fitnessstudios, Sporthallen oder in Schwimmbädern. Bei Beherbergungen soll ein Nachweis bei der Anreise und – für Nicht-Geimpfte und Nicht-Genesene – dann zwei Mal pro Woche ein Test erforderlich sein. Gratis sollen Schnelltests nur noch für jene sein, die sich nicht impfen lassen können oder für die es keine allgemeine Impfempfehlung gibt wie Schwangere und Unter-18-Jährige. Die Meinungen zu den Entscheidungen sind geteilt.
Kostenpflichtige Tests könnten Pandemiebekämpfung erschweren
FDP, Linke und AfD kritisierten die Abschaffung der kostenlosen Schnelltests. Der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki und die Parteivoritzende der Linken, Janine Wissler, befürchten einen Rückgang der Testbereitschaft bei Ungeimpften. "Die Aufhebung der Kostenfreiheit für Tests wird bei der Bewältigung der Pandemie kontraproduktiv wirken. Denn dies führt dazu, dass sich deutlich weniger Menschen entscheiden, einen solchen Test zu machen", sagte Kubicki der "Rheinischen Post".
"Damit lassen sich Infektionsketten und die Entwicklung des Infektionsgeschehens schwerer nachvollziehen, damit ist niemandem geholfen. Das ist am Ende teurer als die Tests", sagte Wissler dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Außerdem sei vollkommen unklar, wie sich diejenigen im Impfzentrum ausweisen sollen, denen weiterhin ein kostenfreier Test zusteht, bemängelte FDP-Vize Kubicki. Immerhin gehe es zum Teil um sensible Gesundheitsdaten. "Es muss also eine neue Infrastruktur aufgebaut werden, um diese Menschen weiterhin kostenlos testen zu können", sagte er.
AfD-Spitzenkandidat Timo Chrupalla bezeichnete, die kostenpflichtigen Tests als "unverantwortlich". Im Morgenmagazin von ARD und ZDF betonte er, dass die Impfungen freiwillig bleiben müssen. "Hier kann es keine Impfpflicht durch die Hintertür geben."
Bartsch kritisiert Beschlüsse als "kurzsichtigen Dilettantismus"
Anderen gehen die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz nicht weit genug. SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte den Zeitungen der "Funke Mediengruppe" am Mittwoch: "Ich hätte es besser gefunden, Großereignisse mit Hunderten Menschen in Clubs oder Hallen auf Genesene und Geimpfte zu begrenzen." Dabei handele es sich um potenzielle Superspreader-Events. Mit der Testpflicht in Innenräumen ab einer Inzidenz von 35 könne man aber "sehr gut arbeiten". "Ich hätte die Grenze noch unter einer Inzidenz von 35 gesetzt", sagte Lauterbach.
Enttäuscht zeigte sich auch der Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Er kritisierte die Beschlüsse als "Stückwerk" ohne einen Plan, um die Impfkampagne voranztreiben und den Menschen Anreize zu bieten. "Nach der Bundestagswahl drohen dann wieder Schließungen von Schulen. Die Bürger haben diesen kurzsichtigen Dilettantismus satt", sagte er den Zeitungen der "Funke Mediengruppe".
Pflegeeinrichtungen und Schulen werden wieder übergangen
Ähnlich äußerte sich auch der Gesundheitsexperte der Grünen im Bundestag, Janosch Dahmen. "Statt Pflegeeinrichtungen und Schulen endlich sicher zu machen, statt konkrete Maßnahmen für mehr Tempo beim Impfen vorzulegen, versucht man die Menschen an Stelle von überzeugenden Argumente durch Druck zum Impfen zu bewegen", sagte Dahmen der "Rheinischen Post". Es sei Aufgabe der Bundesregierung, für überzeugende Aufklärungsarbeit, mehr Mobilität der Impfangebote und die Koordination des Schutzes von Kindern und Familien zu sorgen.

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Kritik an der Schwerpunktsetzung kam auch von den Lehrerverbänden: Es wäre dringend notwendig gewesen, sich darauf zu einigen, in den nächsten Wochen möglichst viele Unterrichtsräume mit Raumluftfilteranlagen auszustatten, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir fürchten, dass es weiter Länder geben wird, die ihre Schulen in dieser Frage weitgehend im Stich lassen." Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, sagte dem RND, der Gipfel habe versäumt, mit bundesweit einheitlichen Leitlinien für Klarheit zu sorgen.
Auch der Hausärzteverband hat enttäuscht auf die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz reagiert. Es hätte "endlich eines bundeseinheitlichen, umfassenden Bewertungssystems des Pandemiegeschehens auf Basis unterschiedlicher Faktoren bedurft," sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, den Zeitungen der "Funke"-Mediengruppe. Für die Erarbeitung solcher neuen Maßstäbe "war Zeit genug in den letzten Monaten".
Die deutsche Industrie kritisiere die Beschlüsse als unzureichend und sieht vor allem die Firmen nicht ausreichend aufgeklärt. Bund und Länder seien "in der Pflicht, zügig Klarheit zu schaffen, ab wann die für die Öffentlichkeit beschlossenen Änderungen auch in den Unternehmen gelten", erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Mittwoch. Die Umsetzung sei "zu vage".
Vorteile möglicherweise nur noch für Geimpfte und Genesene
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat die Maßnahmen begrüßt. "Es ist richtig, dass ab dem 11. Oktober die Bürgertests nur noch für die Personen kostenfrei sind, die nicht geimpft werden können. Wer ein Impfangebot nicht annimmt, muss akzeptieren, dass er für den Zugang zu bestimmten öffentlichen Veranstaltungen einen selbst finanzierten negativen Test vorweisen muss", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, am Mittwoch der "Rheinischen Post".
Die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, hält die Einführung der kostenpflichtigen Corona-Tests für Ungeimpfte für richtig. Wer sich trotz aller niedrigschwelligen Impfangebote jetzt gegen die Impfung entscheide, der sorge letztlich dafür, dass die Pandemie weitergehe, sagte Buyx am Mittwoch dem Sender Phoenix. Allerdings müsse auch geschaut werden, dass die Bereitschaft zu Tests "nicht komplett in den Keller" gehe, sagte Buyx zugleich. Deshalb müsse die Wirksamkeit dieser Maßnahme im Oktober sehr genau beobachtet werden, ebenso wie die gesamte Pandemielage.
Für den Fall, dass sich die Situation trotz der beschlossenen Maßnahmen nicht verbessern und die Inzidenzen weiter steigen sollten, sprach sich der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder für die 2G-Regel aus. Demnach sollen nur noch Geimpfte und Genesene Zugang zu öffentlichen Einrichtungen erhalten, während für den Rest ein Lockdown gelte. "2G wird so oder so ab einem bestimmten Zeitpunkt kommen, und mir wäre es lieber, wir würden jetzt ehrlich drüber reden als es zu vertagen bis nach der Bundestagswahl", sagte er am Dienstagabend in der ARD. Mit Tests alleine könne man die vierte Welle nicht brechen.
Einigkeit herrscht wohl derzeit nur bei dem Ziel, die Impfung in der Bevölkerung voranzutreiben. Zuletzt hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu aufgerufen, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Nur die Impfung sei der Königsweg aus der Pandemie.