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100 Tage Schwarz-Gelb Angie, Horst und Guido im Nebel

Was haben wir Bürger denn da zusammengewählt? Nach 100 Tagen ist klar: kein Profil, keine Führung, und das mitten in der Krise. Gute Nacht!
Eine Bilanz von Hans Peter Schütz

Sage keiner: keine Führung. Schließlich heißt die Koalition jetzt "christlich-liberale" Koalition. Nicht Schwarz-Gelb. Klare Ansage von Merkel, Westerwelle, Seehofer. Sage keiner: keine Eintracht. Gehen sogar gemeinsam Tartar essen, die Angie, der Horst und der Guido.

Nur, wo sie politisch hinwollen und wie sie dorthin gelangen - nichts. Der CDU-Vizevorsitzende Christian Wulff fand den griffigsten Kommentar zu den ersten 100 Tagen der schwarz-gelben Koalition: "Die Dinge wabern." Gut beobachtet. Eine Nebel-Koalition.

Erbarmungswürdiger Start

Rundum Recht hat Wulff. Wie hat Konrad Adenauer Politik gemacht? Darauf antworten viele in der CDU mit wehmütig glänzenden Augen: Er hat gefragt, worauf es ankommt. Nicht danach, was ankommt. Wie es seine Urenkelin Merkel penetrant tut. Die Mittelständler, die Sozialausschüssler, die Vertriebenen, die Katholiken und die Konservativen fragen: Sind wir noch in der richtigen Partei?

Die historisierende Frage, ob es denn jemals einen guten Start einer neu komponierten Regierungskoalition gegeben habe, ist ein plattes Ablenkungsmanöver. Denn es hat ihn gegeben. Bei Brandt und Scheel, bei Kohl und Genscher. Bei Merkel, Westerwelle und Seehofer nicht. Erbarmungswürdiger ist noch keine Regierung gestartet als Schwarz-Gelb im Jahre 2009.

Sehnsucht nach der Großen Koalition

Gut gestartet sind drei Minister: Schäuble, von der Leyen, Ramsauer. Der Rest, die Kanzlerin inklusive, findet in positiven Schlagzeilen nicht statt. Gesundheitsminister Rösler schweigt vor sich hin. Redet in Interviews über Kopfpauschale und sagt im Bundestag nichts. Frauenministerin - wie heißt sie denn gleich?- ach ja, Köhler, gibt kaum Interviews und schweigt auch vor sich hin. Schon mal gehört von "Schnarri", die mal eine echte, frei redende Liberale war? Und so weiter und sofort.

Es schleicht sich Sehnsucht ein nach den SPD-Steinbrücks und Umwelt-Gabriels der großkoalitionären Vergangenheit. Die sagten dann und wann mal was. Schon mal was gehört vom Kanzleramtsminister Pofalla? Irgendwie gab's mal einen Minister Jung, Verteidigung, ist aber schon wieder weg. Zu Guttenberg ist gut, trägt die besten Klamotten und Krawatten. An Afghanistan und an all das, was dort geschieht, gewöhnt er sich weniger schnell.

Die Milliarde für die Hoteliers

Wie wir von der Rekord-Staatsverschuldung je wieder herunter kommen sollen? Sagt uns keiner, nicht mal Finanzminister Schäuble. Zufrieden sind nur die Hoteliers - eine Milliarde Euro mehr in der Kasse. Der einzige Punkt, an dem die Kanzlerin und der Vizekanzler, die Chef-Politiker des Ungefähren, Führung gezeigt haben. Nein, wir versprechen es: Die FDP taufen wir nicht in Mövenpick-Partei um, weil aus der Hotelbranche Spenden gekommen sind.

Aber wir würden schon gerne wissen, was die Regierenden denn nun wirklich wollen, von dem, was sie uns versprochen haben. Wunschbilder haben wir Bürger selbst. Und auch die stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Bei der Bundesregierung eigentlich auch? Die wird, nur eine Nebenbemerkung, getragen von wichtigen Repräsentanten, die Steuerhinterzieher unbedingt schonen wollen.

Identitätsverlust der CDU

Kurzfristig betrachtet: Was nur haben wir Wähler da für die ersten 100 Tage zusammen gewählt? Doch es geht leider nicht nur um schwarz-gelbe Ministerköpfe.

Mindestens ebenso gefährlich für Merkel, Westerwelle und Seehofer, neben Profillosigkeit und Führungsschwäche ihrer Regierungsarbeit, ist der damit verbundene Gesichtsverlust ihrer Parteien. Der Abstieg der CDU hat vor allem eine sehr gefährliche Ursache: Ihre Identität zerfließt - und damit ihr in der bundesdeutschen Parteienlandschaft bislang einzigartiger Charakter. Stets vereinigten sich in der CDU drei Strömungen. Die konservative, die liberale und die soziale. Das war das Credo, zu dem sich in der Vergangenheit alle Parteivorsitzenden in Wort und Tat bekannten. Merkel jedoch bekennt sich keineswegs gleichgewichtig zu den drei Grundwerten der Partei. Das liberal-urbane Publikum umschmeichelt sie programmatisch weitaus intensiver als das konservative. Unterm Strich dieses fahrlässigen Umgangs mit der ideologischen Struktur der CDU könnte in absehbarer Zeit der Verlust ihres Charakters als Volkspartei stehen.

Die kreativen Köpfe verschwinden

Sichtbar wird dieser Prozess im weithin sichtbaren Verschwinden politisch kreativer konservativer Köpfe. Mit Friedrich Merz hat Merkel den letzten überzeugenden Konservativen aus der Politik in die Versenkung getrieben, der es noch geschafft hatte, bundesweit konservative Positionen glaubwürdig zu thematisieren. Die Wurzel der Radikalität, mit der Merkel Entfernung und Entmachtung konservativer CDU-Politiker betreibt, liegt in ihrer Sozialisierung in der DDR begründet. Pflege konservativen Denkens war dort allenfalls geduldet, eher unzulässig. Wer Merkel nicht folgt und sich widerspruchsfrei unterwirft, wird ausgegrenzt. Wer nicht beide Pfötchen brav auf den Kanzlerinnentisch legt, wird systematisch aus dem innersten Machtbereich gedrückt. Nicht-Pfötchenleger gibt es im Kabinett Merkel kaum noch.

Vergleichbare Entfremdungsprozesse zwischen Partei und regierenden Repräsentanten laufen auch bei FDP und CSU. Verschwunden die 14,6 Prozent FDP-Wähler, von denen viele ihre Stimme der Partei im Vertrauen auf deren Rückkehr zur klassischen liberalen Rechtsstaatspolitik gegeben haben. Nichts dergleichen ist in der bisherigen FDP-Regierungspolitik erkennbar. Wer weiß denn schon, dass die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger heißt und aus der FDP kommt? In den ersten 100 Tagen dürfte kein Kabinettsmitglied weniger in den Medien zitiert worden sein als sie. Schon grüsst die Fünf-Prozent-Hürde die Westerwelle-Partei wieder von fern - denn auf neun sind sie als Regierende bereits abgesackt.

Horst Seehofer wäre ausgewiesen worden

Auch die CSU rutscht immer weiter weg von ihrem Traumziel, wieder allzeit regierende bayerische Landespartei zu werden. Zu Straußens Zeiten wäre ein CSU-Chef, der wie Seehofer gerade mal knapp über 40 Prozent kommt, unverzüglich in ein anderes CDU-Bundesland ausgewiesen worden.

Nun könnte man ja mit einem Schulterzucken über die Misere der uns derzeit regierenden Parteien hinweggehen. Wählen wir halt beim nächsten Mal 2013 bessere Parteien. Dummerweise befindet sich die Republik jedoch in der schwerwiegendsten Wirtschafts- und Finanzkrise ihrer Geschichte. Sie steht außerdem vor gewaltigen ökonomischen und globalen Zukunftsfragen ebenso wie vor bedeutenden ökologischen, gesellschaftlichen und bildungspolitischen Herausforderungen. Und was geschieht?

Wir machen erstmal nichts

100 Tage werden wir jetzt regiert von Politikern, die sich offenbar in die Hand versprochen haben: Wir machen erst mal nichts, nichts, gar nichts. Allenfalls schieben wir den bedürftigen Hoteliers mal eine Milliarde zu. Bis Mai und bis zur Landtagswahl in NRW machen wir auch nichts, denn das könnte unsere Wahlchancen beschädigen. Weil dann gleich danach die politische Sommerpause beginnt, wird die Republik eben erst ab September 2010 ordentlich regiert. Vielleicht. Denn dann kommen Wahlen in Baden-Württemberg. Dann im Nirgendwo.

Alles klar? Vier Jahre dauert eine Legislaturperiode. Die schwarz-gelbe allerdings offenbar lediglich drei. Nein, allenfalls zwei. Denn mindestens ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl werden uns die Schwarz-Gelben maulfleißig und breitflächig plakatiert erzählen: Seid ihr, liebe Wähler, nicht erstklassig von uns regiert worden? Vielleicht fällt dann dem einen oder anderen wieder der umgekehrte Adenauer ein: Wir haben regiert nach dem, was ankommt, nicht nach dem, worauf es ankommt.

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