Zwanzig Jahre nach dem Bonn-Berlin-Beschluss des Bundestages ist die Debatte über die Zukunft Bonns als zweitem Regierungssitz neu entbrannt. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) nannte es in der "Passauer Neuen Presse" vom Montag "sinnvoll, die Regierungsfunktionen in den nächsten Jahren Schritt für Schritt zusammenzuführen". Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) lehnte einen Komplettumzug dagegen entschieden ab.
Der Bundestag hatte am 20. Juni 1991 mit knapper Mehrheit den Umzug von Parlament und Regierungsspitze nach Berlin beschlossen. Im Zuge der seinerzeit festgelegten Aufteilung der Regierungsfunktionen haben bis heute sechs Bundesministerien ihren ersten Dienstsitz in Bonn. Die Kosten für die Zweiteilung belaufen sich nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums im laufenden Jahr auf voraussichtlich knapp 9,2 Millionen Euro; mehr als die Hälfte davon machen Dienstreisen der Beamten aus.
Thierse nannte es nicht vernünftig, wenn eine Regierung auf zwei Städte aufgeteilt ist. Das Bonn-Berlin-Gesetz sei "nicht für die Ewigkeit gemacht". SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte zu der Umzugsdebatte, es gebe "auch in der SPD unterschiedliche Auffassungen - je nach der regionalen Zugehörigkeit". Insgesamt halte die SPD bislang aber am Bonn-Berlin-Gesetz fest, unterstrich Nahles nach einer Sitzung des Parteipräsidiums in Berlin: "Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz." Vor allem SPD-Politiker aus dem Norden und Osten des Landes sprächen sich jedoch für einen Komplettumzug aus.
Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sprach sich auf längere Sicht für einen Umzug aller Bundesministerien nach Berlin aus. "Es wird der Tag kommen, wo wir diese Aufteilung der Regierungsfunktionen überwinden werden", sagte Süssmuth der "Stuttgarter Zeitung" vom Montag. Bis dahin müssten die getroffenen Vereinbarungen jedoch eingehalten werden, sagte Süssmuth weiter, die vor 20 Jahren ebenso wie Blüm für einen Verbleib von Bundestag und Regierung in Bonn gestimmt hatte.
Blüm sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" (Montagsausgabe), er reagiere "empfindlich" auf Forderungen nach einem Komplettumzug an die Spree. "Denn die Mehrheit ist zustande gekommen, und zwar knapp, weil Bonn Bundesstadt bleiben sollte. Und so haben wir nicht gewettet, dass man erst mal mit dem Argument, Bonn wird Bundesstadt, Stimmen für Berlin sammelt und dann 'April, April' sagt. Der frühere Bundesarbeitsminister fügte hinzu, er halte es in diesem Zusammenhang "mit dem alten Satz 'Pacta sunt servanda' - Verträge sind einzuhalten".
Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) deutete derweil erneut Veränderungen beim Verteidigungsministerium an, das seinen Dienstsitz auf der Bonner Hardthöhe hat. "So wie die Hardthöhe jetzt aufgestellt ist, wird sie nicht bleiben können", sagte er dem Bonner "General-Anzeiger". Dies bedeute aber keinen Bundeswehr-Abzug aus Bonn: "Die Hardthöhe wird nie leerlaufen." De Maizière deutete eine ähnliche Lösung wie im Bereich Justiz an. Demnach könnten das Ministerium nach Berlin verlagert und nachgeordnete Behörden in Bonn konzentriert werden. Eine Ministeriumssprecher sagte in Berlin, die Äußerungen des Ministers seien keine Einstimmung auf einen Umzug. Es gehe vielmehr um die "Terrainvorbereitung für konstruktive Gespräche".