André Poggenburg fühlt sich unfair behandelt. Wie könne das sein, "Deutsche als 'Köterrasse' oder Demonstranten als 'Pack' zu bezeichnen" - aber ausgerechnet seine Äußerungen über Türken ("Kameltreiber" und "Kümmelhändler") als Volksverhetzung abzustempeln? Der Vorsitzende der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt scheint die Welt nicht mehr zu verstehen. Oder die Welt ihn nicht. Mittlerweile wurde ein Video seiner Rede am politischen Aschermittwoch von Youtube entfernt, "weil es gegen die Youtube-Richtlinie zum Verbot von Hassrede verstößt." Die Staatsanwaltschaft Dresden hat ein Prüfverfahren nach der Strafanzeige einer Privatperson eingeleitet. Die Türkische Gemeinde kündigte eine Anzeige wegen Volksverhetzung an.
"Den Vorwurf der Volksverhetzung halte ich für völlig unangebracht und überzogen", teilt Poggenburg auf Nachfrage des stern mit. Es habe sich einerseits "ganz klar" um eine Aschermittwochsrede gehandelt, "in diesem Zusammenhang wird auch Politikern die Stellung als Satiriker eingeräumt." Andererseits werde laut Poggenburg der Straftatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllt: "Ich habe die 'Türkische Gemeinde' in Deutschland verbal auf die Schippe genommen als Erwiderung und im Kontext zu deren kürzlichen politischen Einlassung", so der AfD-Politiker. "Dass es grundsätzlich in der Türkei keine Kamele oder Kameltreiber gibt, verdeutlicht, dass es sich hier um Satire handelte", so Poggenburg zum stern. "Ich darf nochmal klar stellen, dass sich meine Verbalattacke nicht gegen die Gesamtheit der hier lebenden Türkischstämmigen richtete." Auf seine weiteren "Verbalattacken" und pauschalen Verunglimpfungen beim politischen Aschermittwoch - etwa über "heimat- und vaterlandsloses Gesindel" oder in Deutschland lebenden Türken, die hier "nichts zu suchen und nichts zu melden" hätten - geht der Politiker nicht weiter ein.
(Zweite) Abmahnung der AfD gegen Poggenburg
Auch Parteikollegen spielen den Vorfall herunter. "Am Aschermittwoch geht es bekanntermaßen gerne mal verbal auch etwas derber zu", sagt AfD-Vorsitzender Jörg Meuthen. "Die Wortwahl André Poggenburgs geht dessen ungeachtet deutlich zu weit und hätte nicht vorkommen sollen." Es sind zweifelhafte Machtworte, die im Rückblick wertlos erscheinen müssen.
Bereits im Juni 2017 wurde Poggenburg von der AfD-Spitze wegen nationalistischer Entgleisungen abgemahnt. In einer internen Chat-Gruppe der AfD Sachsen-Anhalt hatte er "in Imitation eines NPD-Slogans: 'Deutschland den Deutschen'" geschrieben, auch sei er nicht eingeschritten, als in der Chat-Gruppe "von einer 'Machtergreifung' und dem 'Sieben' von Journalisten gesprochen" wurde. Bei einem weiteren Fehltritt könnte ihm ein Parteiausschlussverfahren drohen, hieß es.
Nun wurde Poggenburg nach seinen türkenfeindlichen Äußerungen beim politischen Aschermittwoch vom AfD-Bundesvorstand erneut abgemahnt. Einstimmig, wie ein Parteisprecher mitteilte. Laut Satzung kann der Vorstand eine Abmahnung aussprechen, wenn ein Mitglied gegen die Satzung oder gegen Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstößt. Dazu gehört der Hinweis, dass das beanstandete Verhalten im Wiederholungsfall oder ein vergleichbares Verhalten weitergehende Ordnungsmaßnahmen nach sich ziehen können.
Welche Konsequenzen dieser Umstand nach sich ziehen könnte, bleibt zunächst abzuwarten. Auf erneute Anfrage des stern erklärte Poggenburg dazu: "Prinzipiell betrachte ich das als einen parteiinternen Akt, den ich erst einmal einfach zur Kenntnis nehme. Sicher werde ich mich mit dem Bundesvorstand dazu noch auseinandersetzen, zuerst warte ich allerdings auf eine entsprechende direkte Benachrichtigung und Begründung zu dieser Maßnahme." Eine Reaktion der AfD auf die Anfrage des stern steht noch aus. Dabei dürfte ein weiterer, mutmaßlicher Weisungsbruch Poggenburg zunehmend belasten.
"Die Patrioten" und André Poggenburg
Im November 2017 rief die AfD alle Mitglieder in einer Rundmail dazu auf, die als rechtsextrem und antisemitisch geltende Facebook-Gruppe "Die Patrioten" sofort zu verlassen. Auslöser war ein Bericht des "Tagesspiegel", nach dem niemand mehr behaupten könne, "es sei kein Schaden für die AfD entstanden", wie es in dem Schreiben der Bundesgeschäftsstelle hieß.
Wer allerdings einen Blick in die geschlossene Gruppe wirft - eine Mitgliedschaft ist nur durch Bestätigung eines Administrators möglich - wird stutzig. Denn zu den rund 28.000 Mitgliedern gehört auch André Poggenburg, der mit seinem privaten Facebook-Profil seit dem 28. Januar 2018 (wieder) einer der "Patrioten" ist. Und damit nach und entgegen der Anweisung seiner Partei.

Wie die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" im November 2017 berichtete, trat Poggenburg mit einigen anderen AfD-Politiker nach der Rundmail der Bundesgeschäftsstelle bereits aus der Gruppe aus. Er sei unwissentlich hinzugefügt worden, erklärte Poggenburg damals. Wie die "WAZ" berichtete, konnten Nutzer, die bereits Gruppenmitglieder waren, tatsächlich andere zu "Die Patrioten" hinzufügen. Deren Zustimmung sei dafür nicht notwendig gewesen.
Allerdings bekommen neue Mitglieder eine Benachrichtigung und können die Gruppe wieder verlassen. Wenn sie denn wollen. Dass Poggenburg in seiner nun fast einen Monat andauernden (Neu-)Mitgliedschaft nichts von den Aktivitäten der "Patrioten" mitbekommen hat, darf angezweifelt werden. Nahezu täglich ist der AfD-Politiker auf seinen Facebook-Profilen aktiv.
Der AfD-Politiker aus Sachsen-Anhalt bestreitet, von der Mitgliedschaft bei den "Patrioten" Kenntnis zu haben. "Ich bin mir gar nicht der Tatsache bewusst, wieder in diese Gruppe eingefügt worden zu sein", so Poggenburg zum stern. "Das werde ich kontrollieren, ich habe das nicht selbst veranlasst, leider werde ich immer wieder in unzählige Gruppen eingefügt." Auf die Frage, ob er die Facebook-Gruppe verlassen werde, gab Poggenburg allerdings keine Antwort. Eine Anfrage des stern bei der AfD dazu wurde bisher nicht beantwortet.
Update, 17.17 Uhr: In einer älteren Version dieses Textes stand eine Reaktion von André Poggenburg auf die Abmahnung durch den AfD-Bundesvorstand noch aus. Der stern hat die entsprechende Stelle mit Poggenburgs Statement aktualisiert.
