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Atomkraft, Spritpreise, Corona Es kracht in der Koalition: Wo die Ampel-Parteien über Kreuz liegen

Von links: SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil, FDP-Parteichef Christian Lindner und Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang
Von links: SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil, FDP-Parteichef Christian Lindner und Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang
© Jens Krick/ / Picture Alliance
Der Frieden in der Ampel-Koalition wird derzeit auf eine harte Probe gestellt: SPD, Grüne und FDP tragen allerhand Konflikte aus. Die Zeit des ganz großen Miteinanders ist offenkundig vorbei. 

Nicht so, nicht mit uns, nichts zu machen: Bei immer mehr Themen driften die Ampel-Parteien auseinander, preschen mit Ansagen nach vorn oder bremsen die Koalitionspartner mit Absagen aus. Die Zeit der ganz großen Gemeinsamkeit und Geschlossenheit ist offenkundig vorbei.

Wollten SPD, Grüne und FDP vor ungefähr einer Zeitenwende "auf Augenhöhe" (Bundeskanzler Olaf Scholz) den "Status quo überwinden" (Bundesfinanzminister Christian Lindner), deutet sich nach 187 Tagen an der Regierung eine neue Eigenwilligkeit unter den Koalitionären an.  

Viele Konflikte in der Ampel-Koalition 

In der Koalition werden allerhand Konflikte ausgetragen, es gibt Krach an allen Ecken:

  • Aus für den Verbrennungsmotor. Das EU-Parlament will das Aus des Verbrennungsmotors ab 2035 besiegeln, die EU-Mitgliedsstaaten müssen dem Vorschlag noch zustimmen – genauer gesagt deren Regierungen. Das Vorhaben "findet nicht unsere Zustimmung", ließ Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) prompt wissen. Auch Finanzminister und FDP-Parteichef Lindner äußerte sich kritisch. Die Aussagen der FDP stehen im Kontrast zu dem, was Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) noch im März in Brüssel gesagt hatte: Sie hatte sich im Namen der Bundesregierung ausdrücklich hinter die im vergangenen Jahr verschärften Klimaziele der EU-Kommission gestellt – was auch bedeute, mit Verbrennermotoren bei Pkw und Transportern bis 2035 abzuschließen.

  • Coronapolitik. Wie geht es nach dem 23. September weiter? Das Infektionsschutzgesetz läuft aus, in dem unter anderem Fragen zur Maskenpflicht geregelt werden können. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will eine mögliche Maskenpflicht ab Herbst vorbereiten, allerdings zum Unmut von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Finanzminister Lindner warnt vor "pauschalen Freiheitseinschränkungen", will die Ergebnisse einer Expertenkommission abwarten, während Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) mahnt, dass die Liberalen die Corona-Vorbereitungen "nicht wieder bremsen" dürften. "Ich empfehle den Grünen, zu einer faktenbasierten Politik zurückzukehren, statt weiter eine angstbasierte Politik zu betreiben", schoss FDP-Vize Wolfgang Kubicki zurück
  • Atomkraft. Abermals hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sein Nein zur Atomkraft betont, eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ausgeschlossen. In der Energiepolitik "schließen wir Atomkraft weiterhin aus", heißt es nicht zuletzt im Ampel-Koalitionsvertrag. Dennoch fragte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai angesichts der "energiepolitischen Herausforderungen" in einem Interview mit der "Welt": "Können wir eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke kategorisch ausschließen?" Deutschland dürfte sich "einer Debatte nicht verschließen", forderte FDP-Chef Lindner. Die Grünen tun es trotzdem: Dort will man von einem Ausstieg aus dem Ausstieg nichts wissen. "Eine Laufzeitverlängerung lässt sich, wenn überhaupt nur mit Abstrichen bei der AKW-Sicherheit realisieren. Dies kommt für das Bundesumweltministerium, das für die nukleare Sicherheit zuständig ist, nicht infrage.", zitierte die "Bild"-Zeitung einen Sprecher von Umweltministerin Lemke.

  • Übergewinnsteuer. Die Spritpreise sind trotz Steuersenkung vielerorts nur vorübergehend gesunken, Mineralölkonzerne stehen in der Kritik. SPD und Grüne wollen ihre "Übergewinne" über eine zusätzliche Abgabe auf die Extraprofite durch den Ukraine-Krieg abschöpfen, die FDP stellt sich dagegen. Mit scharfen Worten: "Die ständigen Forderungen nach neuen Steuern bei SPD und Grünen sind schockierend und bewegen sich auf dem Niveau der Linkspartei", sagte Generalsekretär Djir-Sarai. Auch Finanzminister Lindner lehnte eine Übergewinnsteuer im stern entschieden ab. Dennoch scheinen Grüne und SPD die Idee noch nicht abgeschrieben zu haben: Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang erklärte, mit den Koalitionspartnern weiter darüber diskutieren zu wollen, auch SPD-Fraktionsvize Detlef Müller hält den Vorschlag weiter im Spiel.
  • Schuldenbremse. Lindner will sie ab 2023 einhalten, für SPD-Co-Chefin Saskia Esken wird darüber zu diskutieren sein. Mit Blick auf mögliche neue Maßnahem wegen explodierender Preise für Energie und Lebensmittel deutete sie die Notwendigkeit weiterer Neuverschuldungen an, über "die Schuldenbremse oder andere Wege der Finanzierung werden wir in der Koalition sprechen müssen", sagte sie dem "Tagesspiegel". FDP-Finanzminister Lindner antwortete via Twitter: "Die Schuldenbremse müssen wir schnellstmöglich wieder einhalten! Deshalb halte ich 2023 daran fest." Ohne Esken namentlich zu erwähnen, schrieb er: "Mein Eindruck ist, dass in der Politik noch nicht alle verstanden haben, dass wir auch eine ökonomische Zeitenwende erleben, die uns noch sehr beschäftigen wird."

  • Spritpreis-Strategie. Der Tankrabatt sorgt weiter für Unmut. Trotz der Steuersenkung bleiben die Spritpreise hoch, die Koalition ringt um eine Lösung. Wirtschaftsminister Habeck will nun Vorschläge zu einem schärferen Kartellrecht vorlegen, werde Verantwortung übernehmen, "um den Schlamassel ein bisschen weniger groß werden zu lassen." Ein Wink mit dem Zaunpfahl an die FDP, die einst auf den Krisenrabatt drängte. Finanzminister Lindner verteidigte den Tankrabatt und zeigte sich erfreut, "dass Robert Habeck jetzt diesen Ball aufgenommen hat." Unterdessen brachte SPD-Co-Chefin Esken im "Tagesspiegel" harte Maßnahmen wie ein befristetes Tempolimit und Fahrverbote ins Spiel. Eine Replik ließ nicht lange auf sich warten: "Das Verbot des Sonntagsbesuchs bei Oma und Opa ist keine familienfreundliche Politik und würde gerade auf dem Land die Menschen voneinander trennen, anstatt zusammenzubringen", zitierte die "Bild"-Zeitung die FDP-Fraktionsvize Carina Konrad.
Ukraine-Krieg ist größte Sorge der Menschen in Deutschland:

Die Absatzbewegungen dürften auch eine Folge der vergangenen Landtagswahlen sein, die eine erste Bewertung von Politik und Profil der Parteien bedeuteten – und eindeutige Gewinner kannte: CDU und Grüne.

Beide Parteien setzen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nun schwarz-grüne Bündnisse ins Werk, auch auf Bundesebene gewinnt Schwarz-Grün an Zuspruch – während Sozialdemokraten und Liberale in aktuellen Umfragen an Zustimmung verlieren. Kurzum: Die Grünen profitieren, SPD und FDP wollen sich nun offenkundig profilieren, um sichtbarer und präsenter zu werden. 

Ein unheilvoller Mix: Die Grünen strotzen vor Kraft und Selbstbewusstsein, daneben ringen SPD und FDP um Wahrnehmung. Der Ton im Ampel-Bündnis könnte schärfer werden, die neue Eigenwilligkeit in noch härteren Auseinandersetzungen gipfeln. Die Konflikte würden dann nicht weniger.

rw

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