Trotz aller Erfahrungen mit Extremismus dachte ich eigentlich, es gäbe überall in Deutschland einen Kern von Anstand, unerschütterlichem Demokratieverständnis und eine tiefe Abneigung gegen Hetzerei, Volksverdummung und Rassismus. Denn das hatten wir ja alles schon einmal. Jedenfalls hätte ich es kaum für möglich gehalten, was sich am Montagabend während der Pegida-Veranstaltung auf dem Dresdner Theaterplatz abgespielt hat: Da stehen mehr als 20.000 (!!) Menschen, die stundenlangen Hasstiraden, KZ-Vergleichen und Fäkalinjurien applaudieren, die schon sehr nah an die Beschimpfungen der Juden im Dritten Reich heranreichen.
Spätestens nach diesem Abend kann keiner der Pegida-Mitläufer mehr behaupten, er habe nicht gewusst, auf was er sich da einlässt, wohlig eingebettet in eine Masse, die sich an der verbalen Brutalität der Redner und deren anmaßendem Wahn ergötzt. Niemand wendet sich angeekelt ab, als der unflätige Demagoge Akif Pirinçci die offene Gesellschaft verhöhnt und ins Mikrofon pöbelt: "Das kranke Gesinnungsarschloch steht weit offen." Es dauert lange, bis es selbst einigen Pegida-Anhängern unheimlich wird und vereinzelt "Aufhören"-Rufe Richtung Bühne schallen.
Bürger, die Sorgen bereiten
Den Zuhörern auf dem Theaterplatz scheint es gleichgültig oder nicht bewusst zu sein , dass sie allein mit ihrer Anwesenheit Spaltpilze ins Land treiben, dass diese Veranstaltungen auch Gewalt säen, weil sich Gesinnungsgenossen ermuntert fühlen, Brandbomben und Messer in die Hand zu nehmen. Norbert Frei, Historiker an der Uni Jena, brachte es in den "Tagesthemen" auf den Punkt: "Das sind keine besorgten Bürger, sondern Bürger, die uns Sorgen machen." Denn es ist wahrlich ein Unterschied, ob jemand daran zweifelt, dass Deutschland den Flüchtlingsstrom verkraftet, oder ob man deshalb gleich der Meinung sein muss, die Politiker seien "Diktatoren, die uns mundtot machen wollen", und dass die "Politik Rassismus gegen das eigene Volk betreibt". Es ist diese entrückte Selbstgewissheit der Bewegung, die mich nach so einem Abend ungläubig fragend hinterlässt. Der organisierte Hass und die Debatte darüber haben das Land erfasst. Auf der einen Seite nahezu ungezügelte Wut gegen Flüchtlinge und Ausländer, auf der anderen Seite mahnende Staatsvertreter und Willkommenskultur, dazwischen die schweigende Mehrheit, um die gerungen wird.
Sie machen das geschickt, all diese Islamphobiker und Untergangspropheten. Sie beginnen ihre Ansprachen mit "Liebe Patrioten". Indem sie diesen Begriff für sich vereinnahmen, sprechen Sie all denen, die keine "Pegidas" sind, jeglichen Patriotismus ab. Sie kommen gar nicht erst auf den Gedanken, dass es ziemlich patriotisch sein kann, für die Aufnahme von Flüchtlingen zu streiten, weil man sich mit dieser Sicht für die Wahrung des Grundrechts auf Asyl einsetzt. Perfide ist auch, wie alle Galionsfiguren der rechtsextremen Anti-Flüchtlingsbewegung, ob Pegida oder AfD, ganz kühl kalkuliert die Begrifflichkeiten umkehren. "Volksverräter" sind immer die anderen, am liebsten die Politiker. Weshalb man selbst kein Volksverräter ist, obwohl man mit üblen Hasstiraden gerade die Grundrechte "verrät". Und wer wegen "Volksverhetzung" ins Visier der Staatsanwälte gerät, ist selbstverständlich nicht Täter, sondern Opfer der "Demokratiefeinde" und des "Staatsterrors". Ach, und die "Lügenpresse"! Wir Journalisten, die wir eigentlich zur Selbstregulierung der Gesellschaft beitragen sollen, sind natürlich auch "staatlich gelenkt".
Undemokratischer Alleinvertretungsanspruch
Diese Umdeutungsfalle ist besonders einladend, wenn sich darin die eigenen Ängste bestätigen. Die Argumentation, zu der man selber nicht fähig ist, wird von den Mikrofon-Einpeitschern auf den AfD- und Pegida-Bühnen übernommen. Dabei kennt die Überheblichkeit keine Grenzen, je größer das Pathos, desto lauter der Applaus: "Gewinnen wir diesen Staat für unser Volk zurück!" hat Thüringens AfD-Chef Björn Höcke auf einer Demo unlängst in die Menge gebellt. Dieser Herr Oberstudienrat aus Erfurt leitet aus einem angeblichen nationalen Notstand einen Alleinvertretungsanspruch ab, der so gar nicht demokratisch ist. Aber das merkt niemand. Und damit keine Zweifel aufkommen, dass dies vollkommen richtig ist, skandiert die Menge umgehend "Wir sind das Volk", was immer noch der beliebteste Pegida-AfD-Kanon ist, gefolgt von "Merkel muss weg" und "Widerstand, Widerstand".
Es scheint manche Bürger nicht zu stören, dass es sich bei der AfD und bei Pegida um Ein-Themen-Bewegungen handelt, die rein gar nichts zur Lösung aktueller und künftiger Probleme dieses Landes beizutragen haben. Die Diffamierung von Ausländern und Flüchtlingen reicht als Kitt, um die Demonstranten in ihrer Bitterkeit zusammenzuhalten. Gefährlich daran ist: Je schneller ihre Zahl künftig wächst, desto mehr werden sie sich "auf der richtigen Seite" wähnen. So hatte es damals auch begonnen. Erinnern wir uns deshalb daran - und jeden, der zweifelt! Damit Muslime nicht Opfer einer neuzeitlichen Rasse-Phobie werden.