Angezählt auf allen Ebenen? Die Kanzlerin ist knapp dran – warum Angela Merkel die Zeit davonläuft

Kanzlerin knapp dran: Warum Angela Merkel die Zeit davonläuft
Die Uhr tickt: "Die Welt" wartet auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto) 
© Julia Kilian/DPA/PICTURE ALLIANCE
Angela Merkel läuft bei der Regierungsbildung die Zeit davon. Eine Schwachstelle, die sich politische Gegner zunutze machen: Der Rückhalt der Bundeskanzlerin schwindet. Offenbar auch in den eigenen Reihen.

Angela Merkel rennt die Zeit davon. Zu diesem Schluss kommt scheinbar nicht nur fast jeder zweite Deutsche (47 Prozent), der sich laut einer aktuellen Umfrage nach den Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung den vorzeitigen Abgang der Bundeskanzlerin wünscht.

Auch die FDP äußert ihren Unmut. Schon wieder, immer noch. Und zählt die Bundeskanzlerin wortreich an: "Mit Angela Merkels Rezepten der letzten zwölf Jahre wird Deutschland in Zukunft nicht bestehen können", meint nun FDP-Vize Wolfgang Kubicki.

Parteichef Christian Lindner legt sogar noch einen drauf. "Jamaika ist nicht an uns gescheitert, sondern am Unwillen zu neuem Denken", sagt Lindner im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Als FDP-Chef (und inoffizieller Sündenbock des Debakels) muss er das natürlich sagen, zumal auch seine Partei nach dem Abbruch der Sondierungen in aktuellen Umfragen um zwei Prozentpunkte abgestürzt ist. Aber "bei der CDU gibt es irgendwann vielleicht andere Wahlprogramme und andere Entscheider, die eine Neubewertung der Lage erlauben". Ist das exotische Regierungsbündnis, die Jamaika-Koalition, also doch nicht vom Tisch? Offenbar nicht, aber unter einer Bedingung: Mit uns nur ohne Merkel. Bei Christian Lindner klingt das dann so: "Selbstverständlich will Frau Merkel nach zwölf Jahren im Amt nicht in Widerspruch zum eigenen Handeln geraten. Wir wollen aber Teil eines Erneuerungsprojekts werden."

Lindners Kritik an Merkel ist kein Novum. Immerhin wurde der Kanzlerin keine unbedeutende Rolle am Ausscheiden der FDP im Jahr 2013 zugeschrieben. Seit dem FDP-Aus seinerzeit kritisiert Lindner die Bundeskanzlerin. Nur: Dieses Mal ist das Timing für Merkel besonders ungünstig – und wegmerkeln ist keine Option. Sie hat es eilig. Das bringt sie in eine schwierige Verhandlungsposition.

Der "Worst Case" ist eingetroffen. Und nun?

Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen sind alle Augen auf sie gerichtet. "Die Zeit" schrieb bereits Ende November von einem "Worst Case" für Merkel: Schon vor der Bundestagswahl wurde Merkel vorgeworfen, das Profil der Partei verwässert zu haben – und dann erzielte die CDU ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1949, schließlich scheiterten die Jamaika-Verhandlungen. "Ohne die SPD gab es keine andere Möglichkeit, zur Kanzlerin einer stabilen Regierung gewählt zu werden", analysierte die Wochenzeitung. Nur das neuartige Regierungsbündnis aus Grünen, FDP und Union hätte es ihr erlaubt, "ihr Image als Wahlverliererin wieder zu reparieren und parteiinterne Kritiker in Schach zu halten". Hätte.

Nun ist Angela Merkel gewissermaßen auf die SPD und eine mögliche Neuauflage der GroKo angewiesen, um eine unliebsame Minderheitsregierung oder gar Neuwahlen - und damit die Debatte um ihre Zukunft als Bundeskanzlerin - zu verhindern.

Das wissen auch die Sozialdemokraten: Nicht nur Noch-Außenminister Sigmar Gabriel lässt sich dazu hinreißen, bereits jetzt Bedingungen für eine Große Koalition zu formulieren, womöglich in der Hoffnung, Merkel lässt sich auf Deals nur um des Deals willen ein. Darüber hinaus lässt die SPD keine Eile erkennen. "Wir lassen uns nicht diktieren, keine Geschwindigkeit aufdrücken und uns zu nichts nötigen", sagt SPD-Vize Ralf Stegner. Bisher wurden nur die Weichen für Sondierungen gestellt. Ob es zu Koalitionsverhandlungen kommt, wird auf einem Sonderparteitag entschieden, der am 21. Januar stattfinden soll. Mindestens bis dahin wird Angela Merkel lediglich geschäftsführende Bundeskanzlerin sein.  

"Die Welt" wartet eigentlich auf Angela Merkel

Es scheint, als sei Angela Merkel an die Grenzen ihrer Macht gestoßen – und durch das Taktieren und Abwarten der Parteien gewissermaßen in eine Ohnmacht versetzt worden. Während die ganze Welt gebannt auf Ergebnisse aus dem wirtschaftsstärksten Land Europas wartet. Dieses Problem hat auch Merkel erkannt und benannt: "Die Welt", wird die Kanzlerin von der "Zeit" zitiert, warte darauf, dass Deutschland wieder agieren könne. In diesen Tagen gewinnt man den Eindruck, dass der Druck vielmehr auf ihren Schultern lastet – und eigentlich Merkel darauf wartet, wieder agieren zu können.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Daher dürfte es nur ein schwacher Trost sein, dass die Union im RTL/n-tv-Trendbarometer des Meinungsforschungsinstituts Forsa um einen Prozentpunkt zulegen konnte: 34 Prozent der Befragten würden die Union wählen, wenn am kommenden Sonntag die Bundestagswahl vor der Tür stehen würde. Für Martin Schulz und seine SPD geht es hingegen bergab, nur noch 19 Prozent würden den Sozialdemokraten ihre Stimme geben – dem potenziellen Partner von Angela Merkel in einer GroKo, ihrer letzten Hoffnung.

"Wenn es mit der SPD nicht geht, machen wir es eben alleine", verkündete schon CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn in der "Bild am Sonntag" und plädierte im Fall einer erneuten Sondierungsschlappe für das Modell einer Minderheitsregierung.

Merkel hingegen bleibt eisern: Sie beharrt auf Gesprächen zu einer Regierungsbildung mit der SPD. "Das heißt, nicht mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen", sagte sie nach einer Sitzung der CDU-Spitzengremien in Berlin. "Alles andere wäre aus Sicht der CDU kein Erfolg von Sondierungsverhandlungen."

"Noch reicht Merkels Führungskraft aus, um die Gremien der Partei auf eine große Koalition einzustimmen", attestiert ihr die "Zeit". Aber die Zeit rennt.

fs

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