Die rot-grüne Bundesregierung kann erst einmal aufatmen. Eine Abstimmung im Parlament über den deutschen AWACS-Einsatz über der Türkei, bei der sie womöglich keine eigene Mehrheit bekommen hätte, bleibt ihr nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zunächst erspart. In Sicherheit wiegen kann sie sich allerdings noch nicht: Karlsruhe hat nur eine vorläufige Entscheidung getroffen und sich inhaltlich noch nicht mit der FDP- Klage befasst. Wegen der erheblichen außenpolitischen Konsequenzen wollte das Gericht sein Urteil nicht übers Knie brechen. Die FDP hatte die Klage angestrengt, um nach eigenen Angaben den deutschen Soldaten in den NATO-Aufklärungsflugzeugen mehr rechtliche Sicherheit zu geben.
Außenpolitische Verlässlichkeit schlägt Parlamentsrecht
Zur Begründung erklärten die Richter, dass die außenpolitische Verlässlichkeit Deutschlands mindestens ebenso wichtig sei wie die Rechte des Bundestages. Es drohten erhebliche Nachteile, wenn die Bundesregierung jetzt gezwungen werde, sich um die Zustimmung des Bundestages zu bemühen oder aber die Soldaten abzuziehen, wenn später festgestellt werde, dass ein Beteiligungsrecht des Parlaments nicht bestand. Die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Regierung sei gesamtstaatliches Interesse.
Die Bundesregierung hatte zuletzt ihre Auffassung bekräftigt, dass es sich bei den AWACS-Einsätzen um eine rein defensive Luftraumüberwachung für den NATO-Partner Türkei handele. Die rot-grüne Koalition hat aber angekündigt, für den Fall eines massiven Einmarsches türkischer Truppen in Irak dies als aktiven Kriegseintritt zu werten und die Bundeswehr-Soldaten dann abzuziehen.
Vorwurf an die FDP: "Prozesshanselei"
In einer ersten Reaktion begrüßte Verteidigungsminister Peter Struck die Entscheidung. Sie entspreche der Auffassung der Bundesregierung, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Er gehe davon aus, dass die Diskussion damit beendet sei.
Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, äußerte sich positiv. Er warf der FDP gleichzeitig "Prozesshanselei" vor. Dies sei kein Ersatz für Politik, hieß es in einer in Berlin verbreiteten Erklärung Becks.

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Liberale wollen jetzt "politische Entscheidung"
Politisch ist das Problem jedoch noch nicht gelöst. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und demnach wäre es geboten, wenn SPD und Grüne die Abgeordneten mit der sensiblen Mission deutscher Soldaten zum Schutz der Türkei im Irak-Krieg befasst hätten. Immerhin war es neben der FDP die SPD, die 1994 Klage in Karlsruhe gegen die Beteiligung der Bundeswehr an AWACS-Kontrollflügen über Bosnien eingereicht hatte. Damals wertete das Gericht die fehlende Zustimmung des Parlaments zum AWACS-Einsatz als Verstoß gegen das Grundgesetz. Aber wie jetzt lehnten die Richter den Eilantrag damals mit dem Hinweis auf den erheblichen außenpolitischen Schaden ab, den der Rückzug der Deutschen bei den Bündnispartnern ausgelöst hätte.
Die FDP muss nun entscheiden, ob sie ein Hauptverfahren beantragen will. In der Fraktion hieß es: "Wir streben zunächst eine politische Klärung an." Der Ausgang eines Hauptsacheverfahrens - wenn es denn von der FDP beantragt wird - darf nach wie vor als unsicher gelten. Denn der Parlamentsvorbehalt, den das Gericht 1994 für den bewaffneten Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland vorgeschrieben hat, ist durchaus weit reichend. Selbst Blauhelmeinsätze bedürfen danach der vorherigen Bundestagszustimmung, weil die Grenze zu Sicherungsmaßnahmen mit Waffengewalt fließend geworden sei, argumentierte das Gericht.