Bahn-Privatsierung Nicht VERÖFFENTLICHEN: Ex-Verkehrsminister rebelliert gegen Börsengang

In der SPD-Fraktion im Bundestag rumort es in Sachen Bahn. In einem Brief haben sechs Abgeordnete, darunter Ex-Verkehrsminister Kurt Bodewig, vor einer Privatisierung gewarnt - sie stellen sich offen gegen die Fraktionsspitze.

Es ist eine Breitseite gegen SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und die eigene Fraktionsspitze. In einem offenen Schreiben an alle Mitglieder der SPD-Fraktion im Bundestag haben sechs Abgeordnete die Börsenpläne für die Bahn in Frage gestellt. Nach einer Auflistung der Argumente gegen den Börsengang heißt es in dem vierseitigen Schreiben, das stern.de vorliegt: "Diese zentralen Problempunkte, aber auch die Probleme der anderen Modelle, werfen die Frage auf, ob eine wie auch immer geartete Privatisierung überhaupt sinnvoll ist." Unterzeichnet hat den Brief auch Kurt Bodewig, zwischen 2000 und 2002 selbst Verkehrsminister der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Am Dienstagnachmittag könnte das Aufmucken der Abgeordneten auch Thema bei der SPD-Fraktionssitzung sein.

Druck auf die Fraktionsspitze

Mit dem Schreiben wollen die Abgeordneten offenbar den Unmut der Fraktion über den Bahn-Börsengang entfachen und so politisch Druck auf die Fraktionsspitze und den Minister aufbauen. Das Thema hat Aufregerpotenzial und ist brandaktuell: In den kommenden Wochen stehen in Sachen Börsengang wichtige Entscheidungen an. Am Donnerstag sollen der aus Staatssekretären bestehende Bahn-Lenkungsausschuss und die Koalitionsarbeitsgruppe über konkrete Varianten des Börsengangs beraten. Anschließend wird das Kabinett ein Modell beschließen. Ende Oktober soll der Bundestag dieses dann absegnen.

Welche Varianten gibt es?

Im Kern geht es bei der Auseinandersetzung darum, wem künftig das wichtige Schienennetz gehören soll: Dem Bund oder der Bahn. Die Bahn dringt darauf, bei der Schienennutzung möglichst viel Macht zu bekommen, weil es ihr dann leichter fallen könnte, Wettbewerber auszustechen. Bislang werden zwei Modelle diskutiert: Das so genannte "Eigentumsmodell" sieht vor, dass das Netz bei dem Börsengang im Eigentum des Bundes bleibt, die Bahn soll denmach für den Netzbetrieb und die Bewirtschaftung zuständig sein. Diese Variante bevorzugen die Unions-Fraktion und manche SPD-Abgeordneten. Das zweite Modell, das so genannte "integrierte Eigentumsmodell", das Tiefensee und die SPD-Fraktionsspitze favorisieren, sieht vor, dass die Bahn das Netz bekommt, der Bund sich dieses aber nach 25 bis 30 Jahren zurückholen kann.

Hohe Risiken und ein "nahezu lächerlicher Erlös"

Die Sechser-Gruppe dringt nun darauf, das Schienennetz vollständig beim Bund zu belassen. Alles andere würde sich ohnehin nicht rechnen. Weil der Bund aus verfassungsrechtlichen Gründen weiter die Aktien-Mehrheit an der Bahn halten müsse, argumentieren die Abgeordneten, kämen bei einer Kapitalerhöhung erhebliche Kosten auf ihn zu. Die Einnahmen aus dem Börsengang, heißt es zudem, seien zu gering, um die voraussichtlichen finanziellen Risiken zu kompensieren. "Die Haushaltsrisiken liegen weit über den erwarteten einmalig erfolgenden Haushaltseinnahmen aus dem Börsengang", heißt es. Die SPD-Abgeordneten warnen auch davor, dass der Bund mit einer Privatisierung des Netzes seine "politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gestaltungsmöglichkeiten" aus der Hand gebe - "für den Preis eines nahezu lächerlichen Erlöses", heißt es in dem Schreiben. Die Unterzeichner dringen darauf, die Privatisierung der Bahn "noch einmal zu überdenken." Sie fordern einen "fraktionsoffenen Abend zur Diskussion".

Neben Bodewig haben auch die Abgeordneten Peter Friedrich, Hermann Scheer, Dirk Becker, Monika Griefahn und Lothar Mark das Schreiben unterzeichnet. Eine offizielle Reaktion der SPD-Fraktionsspitze auf den Brief gab es am Dienstag auf Anfrage nicht.

Florian Güßgen mit AP