Berlin³ Deutsche Abgeordnete in der Ukraine: Zögern geht nicht mehr, Herr Scholz

Berlin Hoch 3 Lwiw
Ein militärischer Kontrollpunkt in Lwiw. Reise auf eigenes Risiko, eher misstrauisch beäugt von der Berliner Regierung.
© Dominika Zarzycka/SOPA Images/ZUMA Press Wire / DPA
Der Bundespräsident war nicht willkommen. Dafür trafen drei Bundestagsabgeordnete von SPD, FDP und Grünen Parlamentskolleginnen in Lwiw. Und drängen nach ihrer Rückkehr massiv darauf, der Ukraine endlich schwere Waffen zu liefern.

Reisen bildet. Den Geist, den Charakter und, das eben auch, Haltungen und Meinungen. Und Reden hilft. Nur komplett bornierte Menschen kommen von Begegnungen und Gesprächen putinesk unbeeindruckt und völlig unverändert zurück. Der ukrainische Präsident Wolodomyr Selinkskyj hätte das besser bedenken sollen, bevor er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur in Kiew derzeit unerwünschten Person erklärte. Was er bei einem Treffen hätte erreichen können und wie unklug deshalb die Ausladung war, kann er aktuell aus der Ferne am Beispiel dreier Reisenden machen, die in seinem Land willkommen waren – und nun massiv und lautstark gemeinsam in Deutschland für den Wunsch der Ukrainer werben, schnellstmöglich an schwere Waffen aus dem Westen zu kommen.

Die Drei von der Ampel in Lwiw

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Michael Roth, SPD-Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, und Toni Hofreiter, grüner Vorsitzender des Europa-Ausschusses, hatten sich gemeinsam auf den Weg gemacht, um in Lwiw vier ukrainische Parlamentarierinnen zu treffen, ein Krankenhaus mit verwundeten Soldaten zu besuchen und zu der von russischen Raketen getroffenen Raffinerie zu fahren. Alles andere als ein Vergnügungsausflug. Erst nach Warschau, dann per Auto an die ukrainische Grenze, schließlich in einem gesicherten Wagen acht Stunden nach Lwiw.

Versteht man die drei Politiker aus den Ampel-Parteien richtig, war es eine Reise auf eigenes Risiko, eher misstrauisch beäugt von der Berliner Regierung. Wahrscheinlich mit Grund, wenn auch keinem guten. Denn die drei Ausschuss-Vorsitzenden zählen ohnehin zu den Abgeordneten, denen ihre Regierung, vor allem ihr Kanzler, viel zu zurückhaltend agiert bei der Unterstützung der Ukraine – sei es mit Waffen, sei es mit Sanktionen. Nach ihrer Rückkehr haben sie ihre Forderungen noch verschärft.

Es mag Nuancen geben in den Einschätzungen der drei, der Sozialdemokrat Roth muss ein kleines bisschen mehr Rücksicht auf den Genossen im Kanzleramt nehmen als die beiden anderen, aber im Grundsätzlichen sind sie sich parteiübergreifend völlig einig. Die Ukraine benötigt für ihren Widerstand gegen Putins Armee schwere Waffen, Panzer vor allem, auch deutsche Marder. Und das nicht irgendwann, sondern so schnell wie möglich. Weil eine neue Offensive der Russen im Osten bevorsteht, der Krieg mutmaßlich noch sehr lange dauern wird und den Ukrainern in wenigen Wochen das eigene Material auszugehen droht.

Zögern geht nicht mehr

Um die Marder sinnvoll nutzen zu können, bedarf es einer wochenlangen Ausbildung. Den Ukrainern ist das völlig klar. Deshalb drängen sie ja auch auf eine schnelle Entscheidung. Diese Entscheidung muss getroffen werden, vom Kanzler. Und zwar jetzt. Auch um weiteren Schaden von Deutschland abzuwenden, den längst erlittenen Ansehensverlust nicht nur in der Ukraine wegen der bislang hinhaltenden Haltung wettzumachen. Zögern geht nicht mehr. Zeitenwende heißt nicht nur reden, sondern auch handeln. Sagt Strack-Zimmermann. Unterstützen Roth und Hofreiter.

Man darf sich das alles nicht als Reaktion auf eine Druckbetankung durch ihre ukrainischen Kolleginnen vorstellen, im Gegenteil. Sie seien, sagen die drei unisono, "offen und herzlich" empfangen worden, "sehr, sehr willkommen" gewesen und es gebe ein "großes Maß an Dankbarkeit und Anerkennung" für die bislang von Deutschland geleisteten Hilfen. Aber eben auch eine riesige Verzweiflung und "sehr, sehr hohe Erwartungen".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Dazu gehört überraschenderweise nicht, dass Deutschland sofort auf russisches Gas verzichten soll. Präsident Selenskyj verlangt das zwar immer wieder plakativ, die vier Parlamentarierinnen dagegen wüssten, wie nötig das russische Gas für die deutsche Wirtschaft sei, berichten die drei Abgeordneten. Wichtiger sei ihnen deshalb ein klares Signal, dass Deutschland ein Embargo für Kohle und Öl mittrage – und zwar bald. Auch das geht vor allem an einen: den Kanzler.

Würde sich lohnen, wenn Scholz nach Kiew führe

Von einem "gewachsenen, gegenseitigen Verständnis" berichteten die drei Ukraine-Reisenden nach ihrer Rückkehr. Allein deswegen hat sich ihrer Fahrt gelohnt. Deswegen hätte es sich auch gelohnt, wenn der Bundespräsident wie geplant nach Kiew hätte kommen dürfen. Für beide Seiten. Deswegen würde es sich auch lohnen, wenn Olaf Scholz nach Kiew führe.

Auf ihrem Rückweg, bei einem Stopp schon nahe der polnischen Grenze, hielt übrigens ein anderes Auto neben Strack-Zimmermann, Roth und Hofreiter. Ein junger Mann stieg aus, ein Deutscher, aus Dresden. Er erzählte den Abgeordneten, dass er seinen Job gekündigt habe, um Flüchtlingen zu helfen, aus der Ukraine zu kommen. In seinem Wagen saß ein Ehepaar mit seiner 13-jährigen Tochter. Am Ende des kurzen Gesprächs sagte der Mann: "Ach, es ist schön, deutsche Politiker zu sehen, die in die Ukraine fahren."

Der Bundeskanzler, hört man, überlegt noch. Er sollte sich auch damit nicht zu viel Zeit lassen.