Die Welt ist voll von schlechten Texten. Das trifft uneingeschränkt auch auf das Traktat zu, das die "Taz" vergangenen Montag unter dem Titel "All cops are berufsunfähig" veröffentlicht hat.
Die Autorin Hengameh Yaghoobifarah versteigt sich bei einer vermeintlichen Träumerei von einer polizeifreien Welt in merkwürdigen Überlegungen, wo darin überhaupt die Polizisten auf dem Arbeitsmarkt zu verwenden seien. Ihr Fazit – nirgendwo ist Platz: "Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten."

Horst Seehofer hat Gespür für Maß und Mitte verloren
Satire? Nun ja. Darf alles? Da wird es schwierig – und der Text von Frau Yaghoobifarah ist beileibe ja nicht der erste, der unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung die Grenzen des guten Geschmacks pulverisiert hat. Über die Autorin ist ein Shitstorm hinweggezogen, auch von links.
Berlin³
In unserer Kolumne Berlin³ schreiben abwechselnd die drei Berliner stern-Redakteure Axel Vornbäumen, Andreas Hoidn-Borchers und Tilman Gerwien zu aktuellen (innen)politischen Themen.
Die "Taz" hat sich inzwischen entschuldigt. Die Chefredakteurin Barbara Junge erklärte: "Menschen als Müll zu bezeichnen, widerspricht dem Selbstverständnis einer Zeitung, die sich einer menschlicheren Gesellschaft verschrieben hat." Der Rest, könnte man meinen, ist nun noch ein Thema für den Deutschen Presserat, dort hat die Gewerkschaft der Polizei Beschwerde eingereicht. Für alle übrigen Empörten aber wäre es gut gewesen, sie hätten mit der Kolumne das getan, was man am besten mit allen schlechten Texten macht: Man wirft sie auf die Müllhalde des Vergessens.
Horst Seehofer hat sich nun anders entschieden. Der Bundesinnenminister hat ausgerechnet via Bildzeitung – dem Zentralorgan des guten Geschmacks – angekündigt, dass er Strafanzeige stellt. Seehofer bläht die Kolumne in seiner Begründung damit zu maximaler Bedeutung auf. "Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen."
Das ist starker Tobak. Es legt nahe, dass die Randalierer von Stuttgart quasi auf den Text der "Taz" gewartet hätten, um nach der Lektüre plündernd durch die Innenstadt ziehen zu können. Das aber ist hanebüchen. Glaubt Seehofer das wirklich? Oder hat er sich in seinem Furor womöglich ähnlich verirrt, wie die unglückselige Autorin von "All cops are berufsunfähig"?

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Das wäre schon schlimm genug. Weit schlimmer aber ist, dass ausgerechnet der Verfassungsminister mit seiner Strafanzeige gegen die Journalistin einen Angriff auf die Pressefreiheit reitet – ein von unserer Verfassung geschütztes hohes Gut, das er qua Amtseid zu verteidigen gelobt hat. Das ist nicht nur wegen ihres Symbolgehalts eine völlig überzogene Attacke. Das ist eine Grenzüberschreitung im Amt.
Seehofer hätte es besser wissen müssen. Oder, noch schlimmer, er wusste es besser und nimmt es aus einer falsch verstandenen Schutzfunktion für die Polizei in Kauf. Man kann sagen: Der Innenminister hat das verloren, was seiner Chefin, der Kanzlerin, gerade in Krisenzeiten immer besonders wichtig ist: Das Gespür für Maß und Mitte.