Nur Kinder, deren Deutschkenntnisse ausreichen, um dem Unterricht folgen zu können, sollen auch eingeschult werden. Das fordert Carsten Linnemann, CDU-Politiker im Bundestag. Große Aufregung überall: "Populistischer Unfug" heißt es, "Stimmenfang im rechten Sumpf" wird dem braven Mann vorgeworfen.
Aber nicht Linnemanns Äußerung ist der Skandal – sondern der Umgang damit. Die wenigsten dürften das Interview, in dem der Politiker sich geäußert hat, in Gänze gelesen haben. Ahnungslos empört es sich ja auch leichter. Die DPA verfasste die Überschrift: "CDU-Politiker: Grundschulverbot für Kinder, die kein Deutsch können." Dabei hatte Linnemann gar kein Grundschulverbot gefordert. Trotzdem übernahmen mehrere Medien diese Formulierung. (Auch der stern in einer ersten Fassung dieser Meldung. Die Red.)
Was hat Carsten Linnemann wirklich gesagt?
Was war geschehen? Linnemann hatte gegenüber der "Rheinischen Post" folgendes ausgeführt: "Wenn wir in jeder Sonntagsrede erzählen, wie wichtig die Sprache für die Integration ist, dann müssen bei uns alle Alarmglocken schrillen, wenn bei Sprachtests in Duisburg über 16 Prozent der künftigen Erstklässler gar kein Deutsch können, und bei Vergleichstests in Berlin nahezu jeder dritte Grundschüler beim Lesen und Zuhören nicht einmal den Mindeststandard erreicht. Die Probleme werden immer größer, wir erleben neue Parallelgesellschaften in vielen Bereichen des Landes. Bis tief hinein in die Mittelschicht erlebe ich Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil das Niveau an staatlichen Schulen sinkt."
Auf Nachfrage der Journalisten, was man dann tun könne, antwortet Linnemann: "Es reicht nicht nur, Sprachstandserhebungen bei Vierjährigen durchzuführen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden. Das kostet Geld, aber fehlende Integration und unzureichende Bildung sind am Ende viel teurer."
Wo, bitte schön, ist jetzt das Problem? Linnemann sagt, dass Kinder, die kein Deutsch können, auf einer deutschen Grundschule noch nichts zu suchen hätten. Er regt an, dass diese Kinder notfalls bei der Einschulung lediglich "zurückgestellt" werden. Das ist etwas ganz anderes als ein pauschales "Grundschulverbot". Kinder sollen nur vorläufig und erst als letztes Mittel vom Grundschulbesuch zurückgestellt werden, bis sie die nötigen Sprachkenntnisse haben, um dem Unterricht folgen zu können. Der Politiker plädiert außerdem für eine Vorschulpflicht bei ungenügenden Deutschkenntnissen, wie sie in vielen Ländern seit jeher üblich ist. Er will Kinder also gerade nicht aussperren, wie jetzt vielerorts zu lesen ist, sondern genau im Gegenteil: früher ins staatliche Schulsystem integrieren.
Ja, der CDU-Politiker spricht in dem Interview auch (aber längst nicht nur) über die Bahnhofs-Attacke in Frankfurt und den Schwert-Angriff in Stuttgart und erwähnt die (unzweifelhaft bei vielen Menschen vorhandene) Sorge, "dass neue Parallelgesellschaften entstehen könnten". Da Parallelgesellschaften vor allem bei misslingender Integration entstehen und die zentrale Bedingung für Integration die Beherrschung der Landessprache ist, ist es legitim, die Frage aufzuwerfen, wie es um die Sprachvermittlung an deutschen Grundschulen steht. Nochmal: Wo ist das Problem?
Eine deutsche Grundschule ist keine Sprachschule
Viele Menschen haben es satt, dass – wie in diesem Fall – Medien Worte zurechtkneten, verdrehen, bewusst ihren Sinn entstellen, damit sie wie die heilige Inquisition aus ihren Redaktionsstuben Populismus- und Rassismus-Vorwürfe in die Welt hinausschleudern können. Wer so arbeitet, schadet nicht nur der Reputation der Medien. Sondern er spaltet auch das Land, denn viele Menschen ziehen die unheilvolle Konsequenz und wenden sich von den "etablierten"Medien ab und suchen die Wahrheit in trüben Blogs und auf dubiosen Facebook-Seiten. Dort warten die Rattenfänger, die Hetzer und Gift-Verspritzer – vorzugsweise die von rechts.
Unabhängig davon: Linnemann hat selbstverständlich Recht. Eine deutsche Grundschule ist keine Sprachschule. Eltern, die ihre Kinder ohne ausreichende Kenntnisse der Landessprache auf eine Grundschule schicken, versündigen sich an der Zukunft ihres Nachwuchses und schaden der Allgemeinheit. Dabei ist es völlig egal, ob es sich dabei um Zuwanderer-Familien oder deutsche Hartz-IV-Haushalte handelt.
Diesen Eltern muss klar gemacht werden, dass sie ...
- ... den Lehrern ein fast unlösbares Problem vor die Tür kippen.
- ... ihren eigenen Kindern schaden, weil diese vom ersten Schultag an zu den Bildungsverlierern gehören und dies auch in demütigender Weise erfahren werden.
- ... die Hartz-IV-Empfänger von morgen produzieren.
- ... die Zukunftschancen von Kindern, die Deutsch können und nun auf der Schule Lesen, Schreiben und Rechnen lernen wollen, verbauen, weil monatelang, vielleicht gar jahrelang, auf die Sprach-"Nachzügler" im Unterricht gewartet werden muss.
- ... die Keimzelle für die Entstehung neuer Parallelgesellschaften legen.
- ... die ohnehin schon vorhandene Benachteiligung von Kindern aus sozial schwachen Familien verschärfen, weil deren Eltern anders als Wohlhabende nicht auf teure Privatschulen "ausweichen" können, wo (fast) alle Deutsch können
- ... die soziale Spaltung vertiefen, weil alle, die es können, ihre Kinder von solchen Schulen abziehen, so dass Schüler mit unzureichenden Sprachkenntnissen weitgehend unter sich bleiben.
Diesen Eltern muss ein starker Staat mit Nachdruck zu Leibe rücken: Mit verpflichtenden Sprachtests rechtzeitig vor Einschulung und – bei nachgewiesen unzureichenden Kenntnissen – mit verpflichtender Sprachförderung. Das alles gibt es längst, zum Beispiel in Berlin. Aber es wird nicht durchgesetzt. Dabei ließe es sich durchsetzten: Mit nachdrücklichen und mehrfachen Hausbesuchen des Kinder- und Jugendamtes, der Erhebung von Bußgeldern, der Kürzung von Sozialleistungen, im Einzelfall möglicherweise auch dem Entzug von Aufenthaltsrechten,.
Aber, Achtung! Über all das zu diskutieren, wäre richtig anstrengend. Viel anstrengender, als sich mal eben aus dem Satzbaukasten der Empörungs-Routine zu bedienen.