In der aktuellen Ausgabe der "Zeit" findet sich eine sehr interessante Geschichte über den Mail-Wechsel eines SPD-Anhängers, dessen Faible für den Tierschutz mit den Essgewohnheiten des Kanzlerkandidaten Martin Schulz nicht kompatibel ist. Schulz hatte vor Jahren, offenkundig mit Genuss, in einem Straßburger Restaurant Foie gras bestellt - Gänsestopfleber. Der sozialdemokratisch orientierte Tierschützer begehrt von der Partei nun zu wissen, ob Schulz auch heute noch der Foie gras zugetan ist – im zutreffenden Fall sei Schulz für ihn unwählbar. Das aber ist keine leicht zu beantwortende Frage für die SPD.
Kanzler ist ein „Höllenjob“. Daran besteht in Berlin parteiübergreifend kein Zweifel. Kandidat aber auch. Es zwingt den, der für seine Partei ins Rennen geht, sich zu 100 Prozent den Zielen seiner Partei zu verschreiben. Nicht nur rhetorisch, sondern auch lebensweltlich. Sozusagen mit Haut und Haar. Man nennt das Authentizität.
Steinbrück hat authentischer Moment geschadet
Schulz' Vorgänger als Kandidat, der wackere Peer Steinbrück, kann ein Lied davon singen. Zum Verhängnis während der letzten Wahlkampagne wurde dem genussfreudigen Sozialdemokraten unter anderem auch die Aussage, dass ihm ein Pinot Grigio für fünf Euro nicht in die (Einkaufs-)Tüte respektive ins Haus käme. Nicht trinkbar. Die Aussage war so ehrlich, wie man sie selten hat in der Politik. Sie war schonungslos. Genutzt hat sie Steinbrück nicht. Sie hat ihm geschadet. Denn die sozialdemokratische Durchschnittsseele war pikiert. Wie kann, lautete seinerzeit der Vorwurf, einer unsere Interessen legitim vertreten, der unsere Nöte vorm Supermarktregal nicht aus eigener Erfahrung kennt.
Hätte er gekonnt? Natürlich hätte er.
Seitdem ist man vorsichtiger geworden in der Politik. Es gibt ein paar charakterliche Anforderungen an Kanzler(in) und/oder Kandidat, die sind so selbstverständlich, dass man sie hier eigens eigentlich nicht erwähnen müsste. Ein künftiger Regierungschef sollte nicht pädophil sein, den Holocaust nicht leugnen und auch Steuern nicht hinterzogen haben. Jedenfalls nicht im großen Stil.
Martin Schulz, der Ganzkörpersozialdemokrat?
Schon darunter aber fächern sich die idealen Charakterprofile auf, parteispezifisch. Einem grünen Spitzenkandidaten müsste beispielsweise dringend davon abgeraten werden, öffentlich zuzugeben, dass er Fahrradhelme Scheiße findet. Ein Linker hält seine Villa im Tessin besser unter Verschluss. Ein Christdemokrat schluckt lieber runter, dass ihn die Kirchenglocken sonntagsmorgens fürchterlich nerven, weil er lieber ausschlafen würde. Schade eigentlich – alle drei wären einem deswegen zunächst einmal nicht unsympathisch.
Im besagten Gänseleberfall wird nun von Martin Schulz ein Art von Ganzkörpersozialdemokratentum verlangt, das dieser, bei aller aufrichtigen Liebe für seine Sozis, eigentlich im Ernst nicht (vor-)leben kann. Geschweige denn vorleben sollte. Man könnte sagen: Die Authentizität des Menschen Martin Schulz kollidiert mit der des Sozialdemokraten Martin Schulz. Vorausgesetzt, was wir mal annehmen, dass er Gänsestopfleber noch immer mag – und warum sollte er auch nicht?
Bleib Mensch, Schulz!
Man möchte dem Sozialdemokraten Schulz zurufen: Bleib Mensch, dann kannst Du auch authentisch für die SPD in den Wahlkampf ziehen. Oder, um es mit Sting zu sagen: Be yourself, no matter what they say.
Und die SPD? Die wird es verkraften können, wenn einer ihrer Anhänger sich desillusioniert abwendet, weil er herausgefunden zu haben glaubt, dass der Kandidat nicht unfehlbar ist.
