Kaum zu glauben, aber wahr: Gerhart Baum ist jetzt tatsächlich 75 Jahre alt geworden, nein jung, muss man sagen, denn für die Bürgerrechte kämpft der Liberale auch heute noch wie zu seinen wildesten jungdemokratischen Zeiten. Sei es vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die von der nordrhein-westfälischen FDP erlaubte Online-Durchsuchung, sei es in einem Buch "Über die Erosion der Grundrechte," an dem er gerade arbeitet.
Hans Peter Schütz
Worüber redet das politische Berlin, wenn die Kameras ausgeschaltet sind? stern-Autor Hans Peter Schütz hört hin und notiert wöchentlich den neuesten Tratsch aus der Hauptstadt - exklusiv auf stern.de lesen Sie seine Kolumne "Berlin vertraulich!"
Die Geburtstagsfeier gab es gleich doppelt, logisch bei so viel Dynamik. Eine offizielle in Köln, eine private in Berlin. Die Laudatio in Köln hielt, natürlich, Hans-Dietrich Genscher. Die beiden so ungleichen Männer verbindet seit den Tagen der liberalen Wende von der SPD zur Union im Jahr 1982 eine tiefe Freundschaft. Selbst der gewiss nicht erzliberale heutige Parteichef Guido Westerwelle, zeigt sich heute davon überzeugt: "Wenn Gerhart Baum damals nicht in der FDP geblieben wäre, wäre die Partei auseinander gebrochen."
Bemerkenswert übrigens, dass das "Guidolein" (FDP-Spott) überhaupt den Weg auf die Geburtstagsparty im Kölner Vringtreff, einer "Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Wohnung" im Herzen der Kölner Südstadt, wo täglich rund 60 Menschen ein warmes Essen bekommen, gefunden hat. Beim 70. Geburtstag Baums hatte er zwar im FDP-Pressedienst verkündet, er habe Baum gratuliert. Doch angekommen sind die guten Wünsche beim Geburtstagskind damals erst, nachdem Frau Baum sich per E-mail in der FDP-Zentrale erkundigt hatte, wo denn der Geburtstagsbrief abgeblieben sei. Dieses Mal war Westerwelle persönlich da und wurde belohnt. Ein Film über das politische Leben Baums zeigte das Geburtstagkind, wie es kernig in ein Mikrophon sagte: "Wir treten ein für einen kämpferischen Sozialismus." Westerwelle klatschte sich entzückt auf die Schenkel und schrie: "Das habe ich schon immer gewusst." Wohl kein Zufall, dass der FDP-Chef auf der Party war. Liberale Lästermäuler spotteten: "Der braucht die alten Knaben wie Baum oder Burkhart Hirsch, denn über die wird in der Bundesrepublik mehr geredet als über die FDP-Führer von heute."
In Berlin feierte Baum in der Wohnung von Anke Martiny, die heute als stellvertretende Vorsitzende von Transparency International gegen Korruption in aller Welt kämpft. Die Sozialdemokratin saß lange für die bayerische SPD im Bundestag, war später Kultur-Senatorin in Berlin und einige Jahre mit Peter Glotz verheiratet. Auch dabei: Christina Rau, Ehefrau des verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau. In Köln war der Ex-Liberale und heutige SPD-EU-Kommissar Günther Verheugen als Gratulant gekommen. Wie man sieht: Es gibt immer noch verlässliche sozialliberale Bande. Könnte sein, dass Westerwelle sie noch einmal benötigt.
Weil wir gerade beim "Verkauf" der Politik sind: Die SPD-Bundestagsfraktion färbt sich für künftige Presseauftritte von Blau in Grau um. Der neue TV-Auftritt, so lernen wir aus einer farbphilophischen Erklärung der Fraktion sei "selbstbewusst und klar." Mit dem Grau bekenne man sich "eindeutig zu sozialdemokratischen Grundwerten und weist somit auch klar in die Zukunft." Was uns wiederum verwirrt, da die SPD sich aus Hamburg doch in rosarotem Optimismus verabschiedet hat. Und jetzt kommen die Genossen uns grau in grau. In der SPD-Zentrale hört man, unter der Hand versteht sich, eine ganz andere Erklärung. Die Umfärbung sei ein Herzenswunsch Becks gewesen, dessen Ehefrau, gelernte Friseurin, glaube, dass die Farbe besser Becks Bart zur Geltung bringt. Na ja, wenn's denn der SPD wieder über die 30 Prozent hilft.
Wie schön, dass der SPD-Bundesparteitag der Berliner Polit-Szene das ewig neue Thema Tempo 130 auf der Autobahn beschert hat. Das weckt bei vielen Erinnerungen, haben die Genossen ähnliches schon vor mehr als zwanzig Jahren folgenlos beschlossen. 1985 forderten sie per Beschluss der Bundestagsfraktion sogar Tempolimit 100. Daran erinnert sich Hans-Jochen Vogel noch heute ganz genau und sagt: "Ich merkwürdiger Pedant bin dann mit meinem Dienstwagen einige Monate lang nur Tempo 100 gefahren." Pedant hat der Parteisenior, 81 Jahre jung, gesagt. Nicht: "Ich Idiot." Das hat er nur gedacht. Hübsch auch der programmatische Beitrag des bayerischen SPD-Abgeordneten Florian Pronold: "Man sollte ab Tempo 130 auch ein Rauchverbot am Steuer einführen!" Ganz ernst war das natürlich nicht gemeint.
Absolut bierernst kämpft allerdings ein Abgeordneter ohne Rücksicht auf sein Parteibuch für Tempo 130 - der CSU-Mann Josef Göppel. Der sieht tatsächlich in der Union eine "steigende Bereitschaft, sich beim Tempolimit zu bewegen." In der Berliner CSU-Landesgruppe tippen sie sich allerdings gegen die Stirn, wenn sie mit dieser Analyse des Abweichlers konfrontiert werden. Ein Umwelt-Spinner halt, murmeln sie verlegen und fügen hinzu: "Den hat uns die Landtagsfraktion eingebrockt, indem sie uns gebeten hat: Nehmt uns den bloß ab." Wie zu sehen: Man kann auch politische Karriere dadurch machen, dass man unbequem ist.
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Politisch macht der SPD-Abgeordnete Otto Schily im Bundestag so gut wie nichts mehr. Sein Fraktionschef Struck begrüßt ihn schon mal mit den spöttischen Worten "Ach, ein seltener Gast." Nur Ärger macht der Mann, der so gerne Minister geblieben wäre, regelmäßig. So weigerte er sich, seine Honorare als Anwalt - angeblich 140.000 Euro von der Siemens AG - ordnungsgemäß en detail dem Bundestagspräsidenten zu offenbaren, wie dies andere Anwälte mit Sitz im Bundestag tun. Jetzt gibt es neuen Stress. Schily sprang zu Ministerzeiten nicht nur rücksichtslos mit seinen Beamten um, er präsentierte sich als Abgeordneter auch seinen Büroleitern offenbar mit herrischem Auftreten. Länger als ein Jahr soll es keiner bei ihm ausgehalten haben. Einer klagt deshalb vor dem Arbeitsgericht. Man versteht jetzt weshalb Schily immer noch Personenschutz bekommt und mit allen Mitteln darum kämpft, die teuren Leibwächter zu behalten: Der Mann hat sich einfach zu viele Feinde gemacht. Ein mindestens ebenso prominenter Ex-Minister wie Joschka Fischer geht längst ohne Bodyguards durchs Leben.