Berlin vertraulich! Willkommen im SPD-Chaos

  • von Hans Peter Schütz
Seit' an Seit' stehen sie in der SPD immer noch nicht, obwohl es nur noch 70 Tage bis zur Bundestagswahl sind. Die Wahlkampfstrategen sind untereinander zerstritten oder ratlos, wie sie den Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier verkaufen sollen. Ob da der Ex-Merkel-Sprecher Steg helfen kann?

Der Wechsel von Thomas Steg aus dem Job der "Kanzlerin-Stimme" in jenen des "Steinmeier-Flüsterers" wird von vielen Mitspielern auf der Berliner Polit-Bühne bedauert. Nicht zuletzt von Angela Merkel selbst. Seine Wortkunst machte aus manchen ihrer eher dürren Statements zuweilen attraktive politische Botschaften. Steg war der CDU-Kanzlerin für einen Mann mit SPD-Parteibuch ganz ungewöhnlich nahe. Er dankte ihr jetzt auch für die "menschlich einmalige Behandlung". Ob sein Abschied aus dem Amt des stellvertretenden Regierungssprechers ein Adieu für immer war, ist offen. Ab 1. Oktober steht er wieder auf der Besetzungsliste des Kanzleramts. Doch für die Regierung reden darf er dann nur, wenn die Große Koalition nach der Wahl fortgesetzt wird. Und das ist nach Lage der Umfragen überaus unwahrscheinlich.

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Der neue Job, für den sich der politische Beamte im Range eines B-10-Beamten hat beurlauben lassen, dürfte weitaus unfröhlicher sein als der alte. Gewiss nicht "menschlich einmalig". Denn Steg tritt jetzt ja als "Stimme" von SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier an. Damit gehört er zum engsten politischen Beraterkreis des Außenministers, zu dem sein Redenschreiber Ulrich Deupmann, einst "Spiegel"-Journalist, und Stephan Steinlein, lange Jahre sein Büroleiter schon, gehören. Hinzu kommt noch als wirtschaftspolitischer Berater Markus Klimmer, ein McKinsey-Mann, der ihm unentgeltlich zuarbeitet. Und damit hat Steg jedoch auch all die "Stimmen" im Nacken, die in der Berliner SPD-Zentrale den Auftrag haben, für die SPD und damit ebenfalls für den Kanzlerkandidaten Stimmung zu machen. Allerdings lösten sie ihre Aufgabe im Willy-Brandt-Haus bisher extrem erfolglos. Da gibt es den SPD-Sprecher Stefan Giffeler, der allerdings nur Journalisten zurückzurufen pflegt, die er auf SPD-Linie wähnt. Doch selbst denen sagt er nichts.

Dann findet sich in der SPD-Zentrale noch der frühere Pressesprecher Lars Kühn, der einst guten Kontakt zu der Berliner Journaille hatte. Doch er wurde abberufen, weil er SPD-Chef Franz Müntefering nicht in den Kram passte. Der zentrale Wahlkampfplaner Kajo Wasserhövel traut ohnehin keinem außer sich selbst, und vermutlich schweigt er sich ebenso sprachlos an, wie er dies gegenüber Presseleuten tut. Schon gar nichts kann SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sagen, weil er nicht erfährt, was Müntefering und Wasserhövel planen. Er darf gerade mal mit der neuen "Supersozin" Katharina Saalfrank auf Stimmenfang gehen. Medienmäßig war das ein Erfolg. Ob es aber nur eine einzige Stimme mehr der SPD gebracht hat? Und alle diese Genossen zusammen haben in der SPD-Zentrale nie geschätzt, dass Steg gut für die Kanzlerin geredet hat.

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Steg beim Kanzlerkandidaten, ein Wasserhövel in der SPD-Zentrale. Wie das zusammengehen soll, weiß niemand. "Die Kommunikation zwischen den beiden Häusern funktioniert nicht", klagen Kenner schon lange. Wasserhövel und Müntefering sind bei der verbatzten Europawahl schwer gedeckelt worden. Nach der Bundestagswahl wird da radikal abgerechnet werden. Vor allem mit Wasserhövel, der mehr um sein Bundestagsmandat kämpft, als um die Chancen der eigenen Partei. Früher hatte er die SPD selbst noch kritisiert. Sie spreche eine für die Bürger unverständliche Sprache und habe keine klare Strategie. Daran hat sich unter Müntefering und Steinmeier nichts geändert. Wasserhövels bisher klügster Satz war: Gewinnen könne man im Wahlkampf einer Großen Koalition nur, wenn man seine Partei gegen diese Koalition programmatisch aufbaut. Na und? Wo ist die SPD dergestalt aufgebaut?

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Angeblich hat die FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin deshalb das schlechteste Ergebnis (nur 186 vom 644 Stimmen) bei der Wahl der 14 Vizepräsidenten des Europaparlaments erzielt, weil sie nur sehr zurückhaltend ihre parlamentarischen Arbeit im Europaparlament wahrgenommen hat und weil sie die EU-Sitzungen in Straßburg als "Ausflug ins Landschulheim" bezeichnet hat. Und FDP-Generalsekretär Dirk Niebel kritisierte wie immer einige Phon zu laut und ziemlich weit neben der Wahrheit, es sei ein Armutszeugnis, dass Koch-Mehrin dafür bestraft werde, dass sie den "teuren Reisezirkus Brüssel-Straßburg" kritisiert habe. Die schlichte Wahrheit ist: Sie hat Straßburg auch "Straps-Burg" genannt, weil dort die Kollegen gerne Besuche im Rotlicht-Milieu machten und die Dienste der in Sitzungswochen besonders zahlreichen Liebesdienerinnen in Anspruch nähmen. Dafür dürfte sie jetzt büßen müssen. Denn als am schlechtesten gekürte Vizepräsidentin muss sie den parlamentarischen Job übernehmen, den kein anderer will. Ein konservativer Kollege ätzte bereits über Koch-Mehrin: "Sie wird für die Verteilung des Klopapiers zuständig sein."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Liebe stern.de-Leser wir haben in der Kolumne zwei kleine Korrekturen vorgenommen. Zum einen haben wir gestrichen, dass der frühere Pressesprecher Lars Kühn ins Archiv versetzt wurde. Die SPD bestreitet dies, will sich aber zum derzeitigen Aufgabenfeld von Kühn nicht äußern. Zum anderen arbeitet Thomas Steg nicht im Auswärtigen Amt, sondern für SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.