Die Zahlen treiben selbst Experten die Sorgenfalten auf die Stirn: Mehr als zwei Millionen Ostdeutsche haben seit 1991 ihrer Heimat den Rücken gekehrt, um sich in Westdeutschland niederzulassen. Den umgekehrten Weg sind dagegen nur rund 1,2 Million Menschen gegangen. Konkret haben die fünf neuen Bundesländer seit 1991 exakt 848.200 Einwohner an den Westen verloren - vor allem junge und erwerbsfähige Menschen auf Arbeitssuche.
Bayern beliebtestes Ziel
Zu den beliebtesten Zielländern im Westen zählten im vergangenen Jahr Bayern mit 34.400 oder 22 Prozent der Zugezogenen aus dem Osten, Baden-Württemberg mit 26.400 (17 Prozent), Niedersachsen mit 26.300 (16,9 Prozent) und Nordrhein-Westfalen mit 24.300 (rund 16 Prozent) zugezogenen Ostdeutschen. Die meisten Fortzüge musste mit rund 43.500 Einwohnern Sachsen verkraften (28 Prozent), danach kommen Sachsen-Anhalt mit rund 32.200 Abwanderern (21 Prozent) und Thüringen mit rund 27.600 (18 Prozent).
Das Statistische Bundesamt verweist in diesem Zusammenhang aber auf die stark unterschiedlichen Bevölkerungszahlen der einzelnen Bundesländer. Berlin wurde gar nicht berücksichtigt, unter anderem, weil sich die Wanderungen von und nach Berlin nicht mehr nach Berlin-West und Berlin-Ost trennen ließen, wie die Statistiker mitteilten.
Laut Statistischem Bundesamt schwankten die Zahlen über die Jahre stark: Verloren die fünf neuen Bundesländer unter dem Strich im Jahr 1991 noch 165.400 Menschen, erreichte die Zahl 1996 mit 24.900 Menschen ihren vorläufigen Tiefststand. Ab dem Jahr 1997 kehrte sich dieser Trend wieder um: Die Zahl der Nettoabwanderungen aus dem Osten stieg von 28.200 bis auf 97.700 Personen im Jahr 2001. Seit 2002 geht die Zahl erneut zurück.
"Beispiellose Entwicklung"
"Diese Entwicklung ist beispiellos", sagt der Rostocker Professor für Demographie, Reiner Hans Dinkel. Zwar seien Wanderungsbewegungen auch innerhalb Deutschlands völlig normal, die Menschen zögen von einem Bundesland ins andere, von der Stadt aufs Land oder umgekehrt. Teils habe es auch schon ausgeprägtere Ströme gegeben, wie etwa vom Norden in den wirtschaftlich stärkeren Süden.
Dass aber so viele Menschen umziehen, und vor allem in so jungen Jahren, sei noch nie da gewesen, sagte Dinkel. Von den Ostdeutschen, die im vergangenen Jahr ihre Heimat Richtung Westen verließen, waren laut Statistisches Bundesamt mehr als die Hälfte (51 Prozent) zwischen 18 und 30 Jahre alt, ein Viertel (26 Prozent) war zwischen 30 und 50 Jahre alt.

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Zwar registrieren die Statistiker seit zwei Jahren einen rückläufigen Trend bei den Gesamtzahlen, die aber über die Jahre ohnehin stark schwankten: Verloren die fünf neuen Bundesländer unterm Strich 1991 noch 165.400 Menschen, erreichte die Zahl 1996 mit 24.900 Menschen ihren vorläufigen Tiefststand. Ab dem Jahr 1997 kehrte sich der Trend wieder um: Die Zahl der Nettoabwanderungen aus dem Osten stieg von 28.200 bis auf 97.700 Personen im Jahr 2001. Seit 2002 geht die Zahl erneut zurück.
Entspannung auf "viel zu hohem Niveau"
Laut Dinkel haben sich die Zahlen derzeit auf einem nach wie vor viel zu hohen Niveau eingependelt. "Man kann hier in manchen Gebieten und Jahrgängen immer noch von einem Ausbluten sprechen", sagt der Professor. Besonders hoch seien die Verluste in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch an den Rändern Brandenburgs und in Teilen Sachsen-Anhalts. In den nächsten Jahren müsse der Entwicklung dringend gegengesteuert werden.
Es ist erst ein paar Wochen her, dass Bundespräsident Horst Köhler einen Sturm der Entrüstung entfacht hatte mit seiner Forderung, das Ziel aufzugeben, die ungleichen Lebensverhältnisse zwischen Ost und West einebnen zu wollen. Dies würde viel zu viel Geld und Subventionen kosten, und im Endeffekt die kommenden Generationen über Gebühr belasten, sagte Köhler.
Am Sonntag feiert die Politik
Laut Dinkel lässt sich die Entwicklung nur über die Schaffung neuer Arbeitsplätze stoppen. Gefordert sei weniger der Staat als die Industrie, die sich ähnlich der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland nahe der Menschen ansiedeln müsse. "Die Menschen wollen keine Subventionen, sie wollen Arbeitsplätze", sagte der Professor. Am Sonntag feiert die Politik, darunter auch Bundespräsident Köhler, den "Tag der Deutschen Einheit" in Erfurt.