Der Rückzug Franz Münteferings vom Posten des SPD-Chefs hat möglicherweise über Parteigrenzen hinweg Auswirkungen auf die Besetzung des Kabinetts der designierten Bundeskanzlerin Angela Merkel. Offenbar spielt Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber mit dem Gedanken, nun doch nicht als Wirtschaftsminister nach Berlin zu gehen. Am Nachmittag berichtete die Zeitung "Die Welt" unter Berufung auf CSU-Kreise von Rückzugsplänen Stoibers. Am Abend sagte Stoiber selbst, dass sich die Lage nach dem Rücktritt Münteferings verändert habe. "Das ist für uns eine veränderte Lage", sagte Stoiber am Rande der Koalitionsverhandlungen im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. "Ich werde Morgen mit meinem Präsidium darüber beraten. Herr Müntefering ist als Parteivorsitzender eine Autorität und ein Eckpfeiler einer großen Koalition, die wir alle wollen und die wir alle unterstützen. Dieser Eckpfeiler ist verändert."
Stoiber gefährdet Architektur des Kabinetts
In die Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten lässt sich viel hineininterpretieren. Dennoch hält sich Stoiber Möglichkeit eines Rückzugs aus der Ministerriege Merkels wohl tatsächlich offen. Mit dieser Haltung verpasst er der CSU-Chefin erneut eine schallende Ohrfeige, weil er deutlich macht, dass er nicht sie, sondern SPD-Chef Müntefering als starken und verlässlichen Partner in einer großen Koalition gesehen hat. Stoiber und Müntefering wurde ein gutes Verhältnis nachgesagt - auch weil die beiden in der Komission zur Reform der föderalen Strukturen gut zusammengearbeitet haben. Zieht sich Stoiber wirklich zurück, bricht die Architektur des gesamten Kabinetts zusammen. Für Stoiber wäre der Rückzug nach Münteferings Rückzug ein Ausweg aus einer ungeliebten Rolle, nämlich der des Juniorpartners an Merkels Seite. Ohnehin hatte er ein klares Bekennntis zu einem Kabinett Merkel monatelang hinausgezögert. Stoibers Problem besteht lediglich darin, dass er in Bayern auch nicht mehr so wohl gelitten wird wie das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Viele in der CSU waren erleichtert, Stoiber demnächst in Berlin zu wissen. In Bayern ist zwischen Staatskanzlei-Chef Erwin Huber und Innenminister Günter Beckstein ein Duell um die Stoiber-Nachfolge entbrannt.
Grundlagen nicht mehr gegeben
Die "Welt" berief sich in dem am Montag vorab veröffentlichten Bericht aus ihrer Dienstagsausgabe auf CSU-Kreise. Danach geht der CSU-Chef davon aus, dass es "in Zukunft eine ganz andere SPD geben wird als bisher unter Müntefering". In den Kreisen sei darauf verwiesen worden, "dass Stoiber mit Müntefering ein persönliches Vertrauensverhältnis verbindet". Mit Münteferings angekündigtem Rückzug sei die Grundlage für einen Eintritt Stoibers ins Kabinett nicht mehr gegebenm hieß es. Stoiber wolle weiter als CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen.
Wenn sich diese Meldung als wahr erweisen sollte, bricht die gesamte Architektur der großen Koalition in sich zusammen. Das Gleichgewicht zwischen Union und SPD, aber auch zwischen CDU und CSU wäre nicht mehr gewährleistet, wenn Stoiber in München bliebe.