Seit knapp 16 Jahren ist Boris Palmer gewählter Oberbürgermeister der baden-württembergischen Universitätsstadt Tübingen. Und fällt schon fast so lange immer wieder mit rassistischen Aussagen auf. Den vorläufigen Tiefpunkt erreichte er am Freitag in Frankfurt am Main. Da nutzte er bei einer Migrationskonferenz mehrfach das sogenannte "N-Wort", woraufhin Palmer von Studierenden mit "Nazis raus"-Rufen konfrontiert wurde. Mit dem N-Wort wird eine rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.
Palmers Reaktion darauf: "Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi." Auf die im Anschluss erwartbare Kritik reagierte er zuerst mit Verteidigung. Dann mit der Ankündigung einer "Auszeit". Auf Facebook postete er eine persönliche Erklärung. Er entschuldigte sich bei seinen Wählerinnen und Wählern und kündigte an, sich professionelle Hilfe suchen zu wollen. Dazu trat er am Montag offiziell bei den Grünen aus – seine Mitgliedschaft ruhte bereits bis Ende des Jahres – und meldete sich am Dienstag bei der Stadt Tübingen krank. Im Juni werde er seine Amtsgeschäfte vorübergehend niederlegen, teilte die Stadtverwaltung am Dienstag mit. Es ist nicht seine erste Entgleisung, und nicht selten spielt das nicht immer soziale Netzwerk Facebook eine Rolle.
Boris Palmer ist mehrfach durch rassistische Äußerungen aufgefallen
- 2016 wird Palmer 24 Stunden lang von Facebook gesperrt, weil er in einem Posting als diskriminierend empfundene Sprache verwendet. Palmer spricht von "Zensur erstaunlichen Ausmaßes" und nennt das Vorgehen "Orwellsche Sprachkontrolle".
- 2018 wird Boris Palmer nach eigener Aussage von einem Radfahrer in Ulm beinahe umgefahren. Vom Aussehen des Fahrradfahrers schließt der Bürgermeister auf einen möglichen Asylstatus: "Ich wette, dass es ein Asylbewerber war. So benimmt sich niemand, der hier aufgewachsen ist mit schwarzer Hautfarbe. Das wäre völlig missglückte Integration." Von diesen verallgemeinernden Aussagen distanzieren sich der Grüne Stadtverband in Tübingen und weitere Abgeordnete in einer Erklärung: "Durch seine Äußerungen trägt Boris Palmer dazu bei, dass schwarze Menschen und Asylbewerber pauschal stigmatisiert werden und das Klima gegen diese Gruppen vergiftet wird."
- Ebenfalls 2018: Der OB behauptet in einem Brief an das baden-württembergische Verkehrsministerium, Geflüchtete würden besonders häufig ohne Ticket mit der Bahn fahren. Deshalb plädierte er für "Flüchtlingstickets", ähnlich wie im Nachbarland Hessen. Die Bahn wiederum kann diese Aussagen nicht bestätigen: "Wir wissen, dass auch Flüchtlinge – vor allem wegen der Sprachbarriere und der mangelnden Erfahrung – mitunter keine oder ungültige Tickets haben. Eine Häufung können wir nicht bestätigen", sagt ein Bahnsprecher der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten".
- Anfang 2019 kündigt der Bürgermeister an, eine Art "Liste der Auffälligen" führen zu wollen. Wer als geflüchtete Person polizeilich in Erscheinung trete, solle in ein Wohnheim mit Sicherheitsdienst verlegt werden. Nach einem monatelangen Streit mit unter anderem dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Stefan Brink, wird Palmer die Fortsetzung der Liste untersagt. Die Liste ist nicht vereinbar mit dem Datenschutz und habe eine "gravierende Diskriminierungswirkung", so Brink.
- 2019 kritisiert Palmer eine Werbekampagne der Deutschen Bahn, in der die Testimonials unter anderem Fernsehkoch Nelson Müller und die Moderatorin Nazan Eckes sind. "Ich finde es nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die 'Deutsche Bahn' die Personen auf dieser Eingangsseite ausgewählt hat. [...] Welche Gesellschaft soll das abbilden?" Neben der folgenden Rassismus-Kritik wird Palmer beispielsweise von der früheren Grünen-Chefin Claudia Roth ein Parteiwechsel öffentlich nahegelegt. Hinterher entschuldigt sich Palmer für "Bockmist", hält aber an seiner Grundaussage fest.
- Im April 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, kritisiert Palmer die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. In diesem Zusammenhang sagt er auch: "Ich sag's Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen." Auf diese Äußerungen entzieht ihm die Grüne Bundesparteispitze das Vertrauen. Die Partei werde Palmer bei einer erneuten Kandidatur in Tübingen nicht mehr unterstützen. 2022 tritt er als parteiloser Kandidat bei der OB-Wahl in Tübingen an und hat mit Ulrike Baumgärtner eine Gegenkandidatin der Grünen, die allerdings weit hinter seinem Ergebnis zurückbleibt (52,4 Prozent zu 22 Prozent).
Von der Öko-Partei über Kosovo-Krieg zur Ampel: Vor 40 Jahren zogen die Grünen in den Bundestag ein

- Im Mai 2021 teilt der Bürgermeister einen Artikel zu dem früheren Fußballnationalspieler Dennis Aogo, der bei einer Übertragung von "Trainieren bis zum Vergasen" spricht und sich anschließend für diese Wortwahl entschuldigt. Diese "Cancel Culture" kritisiert wiederum Palmer selbst auf Facebook: "Der Furor, mit dem Stürme im Netz Existenzen vernichten können, wird immer schlimmer." In der Kommentarspalte diskutiert er weiter und nutzt unter anderem die Formulierung: "Der Aogo ist ein schlimmer Rassist." Der Ex-Fußballer habe Frauen seinen N*-Schwanz angeboten. Er wird für seine rassistische und "widerliche" Wortwahl kritisert und rechtfertigt sich: Er habe lediglich Ironie und Satire als Stilmittel genutzt. Im November 2021 leiten die baden-württembergischen Grünen ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein, das mit einem Vergleich endet.
- Im März 2023 wird bei einer tödlichen Messerattacke in einem Tübinger Park ein Mann aus Gambia getötet. Die Hintergründe sind wenige Tage nach der Tat noch unklar, doch der Tübinger Bürgermeister hat auf Facebook bereits öffentlich seine Schlüsse gezogen. Es sei offenbar ein Dealer erstochen worden, gegen diese sei der Rechtsstaat "fast machtlos. Es kommen immer wieder neue." Die Tat sei durch nichts zu rechtfertigen, "es war aber nicht unvermeidbar". Auf die folgende Rassismus-Kritik in einem offenen Brief entschuldigt sich Palmer, bleibt jedoch bei seiner Aussage bezüglich des Drogenmilieus.
Der Tübinger Oberbürgermeister wurde erst im Oktober 2022 mit einer absoluten Mehrheit wiedergewählt, damit ist er in seiner dritten Amtszeit.
Hinweis der Redaktion: Die Information zur einmonatigen Auszeit wurde nach Erstveröffentlichung dieses Artikels ergänzt.
Weitere Quellen: Facebook Boris Palmer, mit Informationen der Nachrichtenagenturen DPA und AFP