Buch-Präsentation Nun auch Steinmeier

  • von Christina Schrezenmeir
Kurt Beck hat eins rausgebracht, Franz Müntefering auch, Sigmar Gabriel und Ottmar Schreiner sowieso, also darf Obersozi Frank-Walter Steinmeier nicht fehlen: Pünktlich zum Wahlkampfauftakt präsentierte er in Berlin ein Buch mit dem Titel "Mein Deutschland". Lesen muss man es nicht.

Großer Andrang im "Berliner Ensemble", und das bereits zwanzig Minuten vor Beginn der Veranstaltung: Rund 100 Journalisten und Besucher drängeln sich im Foyer. Sie warten auf Frank-Walter Steinmeier, Außenminister und Kanzlerkandidat der SPD. Er will hier im Rahmen der Gesprächsreihe "Blaues Sofa Berlin" sein neues Buch vorstellen.

10 Gründe, warum niemand "Mein Deutschland" kaufen muss

1. Das Buch ist wie Frank-Walter Steinmeier: Sachlich, seriös, aber ziemlich farblos. Da helfen auch die vielen Fotos im Mittelteil nichts.

2. Wer will Anbiederungen ans Wahlvolk wie diese lesen? Zitat: "Die skeptische Haltung, dieses vielleicht sogar zerbrechliche Selbstbild, das dieses Land von sich hat, verbindet mich nur noch fester mit ihm."

3. Unterlassungssünde I: Keine einzige Zeile verweist auf den Fall Murat Kurnaz. Unwahrscheinlich, dass Kurnaz Steinmeier ebenso schnell vergessen wird wie dieser ihn.

4. Unterlassungssünde II: Steinmeier erwähnt die beiden BND-Agenten nicht, die im Auftrag der rot-grünen Bundesregierung in Bagdad spionierten.

5. Es gibt kaum Einblicke in das Privatleben des Kanzlerkandidaten: Statt von langen Haaren, Jugendfreundinnen und ersten Alkoholräuschen erzählt Steinmeier lieber ausführlich von seinem Heimatort Brakelsiek. Nett, aber langweilig.

6. Im Kapitel "Die Energie der Zukunft" finden sich intellektuelle Höchstleistungen wie diese: "Nachts gibt es keinen Solarstrom."

7. Nichts Aktuelles: Die Große Koalition und ihre unzählbaren Streitereien finden kaum Erwähnung.

8. Die Rot-Grüne Regierung unter Gerhard Schröder dafür umso mehr. Doch diese wurde vor vier Jahren abgewählt.

9. Probleme werden benannt, kreative Lösungen fehlen: Steinmeier redet von einer "Kultur der zweiten Chance", von verbesserter Bildungspolitik und natürlich von der Finanzkrise. Aber seine Antworten ... alles olle Kamellen.

10. Die Helden sind von gestern: Steinmeier schreibt viel und viel Gutes über Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Das bestärkt den Leser jedoch nur in der Annahme, dass die besten Tage der SPD tatsächlich Vergangenheit sind.

Entschuldigung: Muss das sein? In den vergangenen Monaten hagelte es Bücher prominenter Sozialdemokraten. Kurt Beck legte seine Biografie mit dem nicht allzu fantasievollen Titel "Ein Sozialdemokrat" vor, Franz Müntefering empfahl "Macht Politik!", Ottmar Schreiner verbreitete sich über den Sozialstaat, Sigmar Gabriel über Linkssein, Gesine Schwan ließ sich auf ein paar Hundert Seiten gefällig interviewen - und nun also auch Steinmeier. "Unser Deutschland" sollte das Buch ursprünglich heißen. So steht es auch noch auf den Eintrittskarten. Doch der Verlag änderte kurzfristig den Titel. Nun heißt es "Mein Deutschland". Das soll vermutlich persönlicher klingen. Man kann den Titel allerdings auch anders lesen - als Anmaßung.

235 Seiten hat das Buch, es soll eine Mischung aus Biografie und politischem Traktat sein. Und das ist es auch. Aber muss man es auch lesen? Steinmeier erhebt in seinem Buch die Forderung, Menschen aus sozial schwächeren Familien bessere Bildungschancen zu verschaffen. Aha. Und er schreibt, dass Protektionismus in der Finanzkrise das falsche Mittel sei. So so. Auch dass sich Arbeit "wieder lohnen" müsse, hat man schon mal gehört.

Im letzten Kapitel stellt der Autor seine Forderungen zu einer Art Liste zusammen. Das sei kein kein "Wahlprogramm", betonte Steinmeier auf der Pressekonferenz im Theater. Und das ist wohl auch besser so. Denn die Liste liest sich wie eine Sammlung sozialdemokratischer Allgemeinplätze aus den letzten zehn Jahren: Gleichberechtigung unter Männern und Frauen! "Brücken" für Langzeitarbeitslose ins Berufsleben! Schulabschluss für jeden Jugendlichen! Eine verantwortliche Finanzpolitik!

Das alles ließe sich in Variationen auch bei Franz Müntefering, Ottmar Schreiner, Sigmar Gabriel, Gesine Schwan et. al. nachlesen. Wozu also hat Steinmeier dieses Buch geschrieben? Der Außenminister, der inzwischen auf dem blauen Sofa Platz genommen hat, und sich von Hans-Werner Kilz (Süddeutsche Zeitung) und Wolfgang Herles (ZDF) befragen lässt, hat darauf eine schnelle Antwort. Als er SPD-Kanzlerkandidat geworden sei, hätten viele Leute gefragt, wer er denn sei und wo er herkomme. Diese Fragen wolle er mit seinem Buch beantworten.

Das hätte er auch tun können - wenn er denn nur die Attitüde des Chefdiplomaten abgelegt und auch mal etwas gewagt hätte. Aber das ist nicht geschehen. Das Buch wird von Steinmeiers Wunsch dominiert, keine Schwäche zu offenbaren und nirgendwo anzuecken. "Mein Deutschland" ist somit nur ein weiterer Beleg dafür, dass Politiker nun einmal Politiker und keine Literaten sind. Dass wird die SPD hoffentlich noch lernen.

Mitarbeit: lk