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Buchvorstellung "Bayern kann es auch allein" Mit Scharnagl ins gelobte Land

Was sind Söder und Dobrindt doch für Pfeifen! CSU-Urgestein Wilfried Scharnagl denkt radikaler. Er will Bayern aus der "doppelten Transferunion" erlösen - mit einem eigenen Staat.
Von Lutz Kinkel

Wilfried Scharnagl ist zwar schon 73 Jahre alt, aber groß gewachsen und von imposanter Statur, sein Händedruck kräftig. In eine schmucke, weiß-blaue Uniform gesteckt, wäre Scharnagl, der Mann, von dem sie in der CSU sagen, er habe mit Franz Josef Strauß "durchs selbe Nasenloch geatmet", ein Furcht einflößender Grenzschützer. Ausschau halten würde er, auf einem Wachturm kurz vor dem bayerischen Hof, ob schon wieder eine Karawane Bettelbrüder aus Berlin oder Brüssel anreist. Und mit einem donnernden "Mir san Mir!" den Kollegen rechtzeitig den Befehl geben, die schmiedeeisernen Tore zu schließen. Bayern den Bayern und Bayern über alles. Soll der Rest doch sehen, wo er bleibt.

Das ist die Kernbotschaft von Scharnagls jüngstem Buch "Bayern kann es auch allein. Plädoyer für einen eigenen Staat", das der Autor gemeinsam mit Eurorebell Peter Gauweiler in Berlin vorgestellt hat. Und würden sich in Deutschland nicht antieuropäische Resentiments wie Grippeviren verbreiten, wäre es einfach nur amüsant, sich die Vision eines abgekoppelten Bayern weiter auszumalen. Horst Seehofer zieht ins Schloss Neuschwanstein. Auf den Biertresen liegen bayerische Gulden. Und die Weißwurst gibt's auch als Zäpfchen. Jo mei, macht doch mal.

Bellen, bis es dröhnt

Aber so einfach ist es nicht. Scharnagls Buch - der Umschlag ist in weißblauen Rauten gehalten und zeigt einen Schlagbaum mit bayerischem Landeswappen - passt zu gut in die Doppelstrategie, die Ministerpräsident Horst Seehofer derzeit fährt. Er gibt sich staatstragend und unterstützt offiziell die Europapolitik der Kanzlerin. Angela Merkels Kurs sei "goldrichtig", ließ der CSU-Chef kürzlich wissen. Gleichzeitig lässt Seehofer seine Kettenhunde bellen, dass es bis in den letzten Winkel Europas dröhnt. An Athen müsse ein Exempel statuiert werden, kläffte Finanzminister Markus Söder. EZB-Chef Mario Draghi sei ein "Falschmünzer", sekundierte Generalsekretär Alexander Dobrindt. Und nun fletscht Scharnagl die Zähne, langjähriger Chefredakteur der Parteizeitung "Bayernkurier" und Vorstand der Hans-Seidel-Stiftung. Sein Vorschlag ist der radikalste von allen.

Scharnagl sieht sein geliebtes Bayern in eine "doppelte Transferunion" hineingetrieben, sowohl Berlin als auch Brüssel würden dem Freistaat die sauer verdienten Steuergelder abnehmen, für den Länderfinanzausgleich, für die Eurorettung, für Gottweißwas. Und sich obendrein mit immer neuen Regelungen in die weißblauen Belange einmischen. Scharnagl spricht auf der Pressekonferenz von "Anschlägen auf die bayerische Staatlichkeit", von "unerträglichen Zuständen", und er meint das nicht ironisch. Die Lösung, die er vorschlägt, ist eine stärkere "Eigenstaatlichkeit" Bayerns, wobei er - und das entlarvt die Polemik des Buchtitels - diese Eigenstaatlichkeit nicht näher definiert. Was soll das denn auch heißen? Austritt der CSU aus der Bundesregierung? Auflösung des deutschen Nationalstaats? Rückbau der gesamten EU in Provinzfürstentümer?

Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühl

"Landkarten sind nicht für die Ewigkeit gemacht", orakelt Scharnagl auf solche Fragen. In einen Topf mit den ungezählten Separatisten Europas, mögen es nun Basken oder Süditaliener sein, will Scharnagl aber auch nicht geworfen werden. Er zeigt jedoch vergleichbare kulturelle Reflexe: rückwärtsgewandtes Beschwören der eigenen Traditionen, Exklusion des Fremden, Abschottung und Autarkiestreben. Als wäre das eine Antwort auf eine Welt, in der es Facebook, internationale Konzerne und die Mafia gibt.

Natürlich weiß auch Scharnagl, dass seine Antwort im Ernst keine Antwort ist. Er ist ja ein kluger Mann und kennt den bayerischen Mittelstand, der vom Euro massiv profitiert hat und in alle Welt exportiert. Deswegen ist sein Ruf nach "Eigenstaatlichkeit" nichts anderes als eine bedeutungslose Provokation, um die typische CSU-Schizophrenie auszubreiten. Hier der bis zum Größenwahn gepflegte Stolz auf die Triple-A-Country Bayern. Dort das bis zur Verzagtheit reichende Minderwertigkeitsgefühl, nicht genug gehört und beachtet zu werden. Und diese Gefühlslage dürfte sich, die Historie kennt kein Erbarmen, noch verschärfen. Je größer und mächtiger Europa, desto mehr verzwergt Bayern. "Wuff! Wuffwuff!!" eröffnet noch keine hinreichende politische Perspektive.

Offener Brief der Bayernpartei

Die Bayernpartei übrigens, die seit jeher eine Weißwurstgrenze fordert, hat Scharnagl in einem offenen Brief dazu aufgefordert, ihrer Organisation beizutreten. Diesen logischen und plausiblen Schritt will Scharnagl aber nicht gehen. Von stern.de darauf angesprochen, sagte er, offene Briefe lese er grundsätzlich nicht. Auch Peter Gauweiler, der sich deutlich verhaltener als Scharnagl artikulierte, mag von seiner CSU nicht lassen.

Parteichef Horst Seehofer kann es nur Recht sein. Er braucht die Söders, Dobrindts, Gauweilers und Scharnagls, um den Stammtischen einzuheizen, in einem Jahr ist Landtagswahl. Dass auch in Sachen Europapolitik in der CSU jede Position sowie deren Gegenteil zu finden ist, hat in Bayern eine alte Tradition: Es ist das Merkmal der christsozialen "Volkspartei". Eine Unabhängigkeit Bayerns, ließ Seehofer schon am Mittwoch wissen, komme für ihn nicht in Betracht.

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