Schmal ist er geworden, fast zerbrechlich wirkt er, der Rainer Brüderle, mittlerweile freier Demokrat ohne Amt und Mandat. So wie er da sitzt auf dem Podium in dem kleinen Saal im Haus der Bundespressekonferenz, ausgerechnet an diesem Mittwoch, an dem nur ein paar Hundert Meter weiter im Bundestag die Generaldebatte zum Bundeshaushalt läuft, will er irgendwie so gar nicht mehr zu dem Bild passen, das er all die Jahre abgegeben hat - hier, mitten im politischen Berlin.
Die Haushaltsdebatten, das waren doch auch immer seine, nun ja, großen Auftritte. Alles wurde gnadenlos plattgenuschelt, was auch nur unter entferntem Links-Verdacht stand. Als großer Austeiler war er stets am Rednerpult im Plenum zugange, hat Wortkaskaden geflochten, vom Niveau her bisweilen deutlich unter Stammtischkantenhöhe. Die Fetzen flogen - und wenn Brüderle das Wort ergriff, sei es als FDP-Fraktionsvorsitzender oder als Wirtschaftsminister, dann musste er vorher nicht ankündigen: "Jetzt rede ich".
16 Seiten über stern-Porträt "Der Herrenwitz"
Mittlerweile muss er das. Es ist still geworden um den einstigen Spitzenliberalen, seit die FDP hochkant aus dem Bundestag geflogen ist, wofür Brüderle die Mitschuld trägt und wofür er wiederum anderen die Verantwortung gibt - dem stern beispielsweise, der im Januar 2013 ein viel diskutiertes Porträt über ihn veröffentlicht hatte: "Der Herrenwitz"
"Jetzt rede ich", heißt das Gesprächsbuch, das in dieser Woche im Lau-Verlag (Reinbek) erschienen ist, 148 Seiten, wenn man das Personenregister mal weg lässt. "Ein Büchlein", nennt es Gregor Gysi, der Fraktionschef der Linken, etwas despektierlich bei der Vorstellung an diesem Mittwoch, "sehr schnell geschrieben". Auch Gysi verhehlt nicht, dass er zur Vorbereitung auf die Veranstaltung zumindest in Kapitel Drei hineingeblättert haben muss: "Von hinten erschossen - Sexismus-Skandal ohne Sexismus" heißt die Überschrift. Es geht dort auf insgesamt 16 Seiten um die Deutung jener Begegnung Brüderles mit der stern-Reporterin Laura Himmelreich, die als so genannte "Dirndl-Affäre" die Republik wochenlang bewegt hat.
"Eine gezielte Aktion gegen mich"
Brüderle hatte seitdem zu den Vorwürfen, sich an dem Abend an einer Stuttgarter Hotelbar ungebührlich verhalten zu haben ("Sie können ein Dirndl auch ausfüllen") eisern geschwiegen. Einen ganzen Wahlkampf lang, und Monate nach der Niederlage auch noch. Viel Zeit zum Nachdenken war also. Doch Brüderles Sicht auf die Dinge von damals wirkt noch immer so, als wäre sie im ersten Furor, unmittelbar nach der Lektüre des stern-Artikels, entstanden.
Die entscheidenden Passagen lesen sich wie eine Flaschenpost, abgeschickt aus tiefster Vergangenheit. Ein offenkundig immer noch zutiefst verbitterter, sich ungerecht behandelt fühlender Mann spricht da zum Leser: "Ich habe den Artikel empfunden als das, was er war: eine gezielte Aktion gegen mich als Politiker und Mensch." Es klingt, als wäre der stern darauf aus gewesen, Rainer Brüderle kaputt zu machen. "Sollten Sie oder sollte die FDP getroffen werden?" lautet die Frage an einer Stelle im Buch. "Letztlich sollte die FDP getroffen werden. Aber es war eine Aktion, die meine persönliche Integrität beschädigen sollte." Der stern weist diese Anschuldigung zurück.
Brüderle muss bleiben, die Fragen gehen aus
Bei der Vorstellung wird er gefragt: "Fühlen Sie sich als Opfer?" Da sagt Brüderle: "Ich fühle mich nicht als Opfer, aber unfair behandelt."
Knappe 25 Minuten sind da erst vergangen - und die Veranstaltung zieht sich bereits deutlich in die Länge. Die Fragen drehen sich um die Gestaltung des Buch-Covers, zwei Schachfiguren sind darauf zu sehen, ein Turm und ein geschlagener Bauer. Was das denn zu bedeuten habe? Brüderle weiß es offenkundig auch nicht, er erzählt etwas von der offenen Entwicklung der liberalen Partei. Gysi hat sich längst verabschiedet, er muss zur namentlichen Abstimmung in den Bundestag. Volker Kauder, der Unionsfraktionschef, der als Gast kurzfristig erschienen war, ist aus dem gleichen Grund weggegangen.
Brüderle muss noch bleiben. Die Fragen gehen aus. Woran es liegt, dass die FDP in den Umfragen immer noch bei drei bis vier Prozent liegt, will ein Journalist wissen. "So schnell geht's nicht, wir haben Vertrauen verloren, das kann man nicht in wenigen Monaten wiederaufbauen." Sollte es dennoch gelingen, bis 2017, wenn mutmaßlich die nächste Bundestagswahl stattfindet, wird Rainer Brüderle nur noch aus gebührender Distanz mitjubeln. Amt und Mandat strebt er nicht mehr an. Die Zeiten sind vorbei.