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Aus als Verteidigungsministerin "Eine der merkwürdigsten politischen Figuren": So kommentiert die Presse Lambrechts Rücktritt

Rücktritt als Verteidigungsministerin: Christine Lambrecht
Fremdelte sichtbar mit ihrem Amt Verteidigungsministerin: Christine Lambrecht
© Kay Nietfeld / DPA
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist zurückgetreten – für ihre Kritiker ein längst überfälliger Schritt. Auch die deutsche Presse geht mit der SPD-Politikerin hart ins Gericht.

Es kam nicht mehr überraschend: Nach nur 13 Monaten im Amt und fast ebenso langer Kritik ist Christine Lambrecht als Bundesverteidigungsministerin zurückgetreten. Am Montagmorgen teilte die SPD-Politikerin mit, dass sie Bundeskanzler Olaf Scholz um Entlassung gebeten habe. Kritiker hatten ihr etwa die schleppend angelaufene Beschaffung für die Bundeswehr oder fehlende Sachkenntnis vorgeworfen, aber auch Lambrechts Auftreten in der Öffentlichkeit sorgte für Kopfschütteln. So machte ein Foto ihres Sohnes auf Mitreise in einem Bundeswehrhubschrauber Negativschlagzeilen. Jüngst sorgte sie für Irritationen mit einer auf Instagram verbreiteten Neujahrsbotschaft, in der sie begleitet von Silvesterfeuerwerk über den Ukraine-Krieg sprach.

Die Frage, wer Lambrecht nachfolgt, ist noch unbeantwortet. Scholz sagte dazu jedoch: "Ich habe eine klare Vorstellung, und das wird sehr schnell für alle bekannt werden, wie das weitergehen soll." Die Frauen in der SPD pochen auf Geschlechterparität in der Ampel-Regierung. Im Kabinett sind derzeit acht Ministerposten mit Frauen besetzt und acht mit Männern. Hinzu kommt Kanzler Scholz.

So kommentiert die Presse den Rücktritt von Christine Lambrecht und die Nachfolge-Debatte:

"Berliner Zeitung": Lambrecht hat regelmäßig Erklärungen versendet, in denen Mücken zu Elefanten wurden. Meist wurden diese Kleinigkeiten großspurig verkündet. Die Situation konnte noch so desaströs sein, Lambrecht fand trotzdem gute Worte für das, was sie ankündigte – und war es noch so klein. Unvergessen sind in diesem Kontext die Helme anstelle von schweren Waffen für die Ukraine – ein internationaler Witz. Die kaputtgesparte Bundeswehr tröstete sie mit Schutzwesten. Wer über ein ganzes Jahr lang so und ähnlich auftritt, muss sich nicht wundern, wenn er oder sie hämische Schlagzeilen bekommt. Lambrechts Parallelwelt garnierten dann aber auch noch seltsame Auftritte. Der Sohn der Ministerin im Bundeswehr-Flieger, der Truppenbesuch in Mali in Pumps und zuletzt ein euphorisches Silvestervideo vor knallender Kulisse, während in der Ukraine scharf und in Berlin auf Rettungskräfte mit Schreckschusswaffen geschossen wurde. Die Ministerin zeigte kein Gefühl für ein angemessenes Auftreten.

"Allgemeine Zeitung" (Mainz): Kein Wort steht in ihrer Erklärung zu möglichen eigenen Fehlern und Versäumnissen. Stattdessen nennt sie als obersten und wichtigsten Grund die mediale Fokussierung auf ihre Person. Mit Verlaub – das ist eine Unverschämtheit. Mit ihrem demonstrativen Desinteresse am Amt zu Beginn – eigentlich wäre sie lieber Innenministerin geworden – und zahlreichen Politik- und PR-Pannen seither hat sie "den Medien" gar keine andere Möglichkeit gelassen, als sehr kritisch über ihre Person zu berichten. Höhe- und Schlusspunkt all der Pannen ist ihr peinliches Silvestervideo. Damit hat sie sich, ihr Amt und auch das Land international blamiert. Dafür kann sie nicht den Medien die Schuld geben, sondern muss diese allein bei sich selbst suchen.

"Reutlinger General-Anzeiger": Natürlich ist das Verteidigungsressort ein Haifischbecken. Zudem war es nie das Lieblingsressort der früheren Justizministerin. Doch Lambrecht hätte den Ministerposten einfach ablehnen und wie ursprünglich angekündigt aus der Bundespolitik ausscheiden können. Stattdessen siegte der Machtwille. Nun bleibt zu hoffen, dass jemand ins Verteidigungsministerium einzieht, dem die Truppe wirklich am Herzen liegt.

"Augsburger Allgemeine": Sicher konnte sie die marode Armee nicht binnen eines Jahres auf Vordermann bringen, aber unter ihrem Kommando deutete auch nichts auf eine Verbesserung hin. Scholz hätte sie daher früher abberufen müssen. Tatsächlich hatte er sie bereits halb entmachtet. Über Waffenlieferungen entscheidet er selbst, die Beschaffung von Munition zog er in das Kanzleramt. Führung halb reicht aber nicht für eine Zeitenwende.

"Südwest-Presse" (Ulm): Ein Befreiungsschlag, der sich tagelang hinzieht, ist keiner. Von daher ist die Chance für Kanzler Olaf Scholz, über den Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wieder in die Offensive zu kommen, schon vertan. Im besten Fall gelingt es ihm nun, mit einer überzeugenden und womöglich gar überraschenden Personalie das Elend der zurückliegenden Wochen vergessen zu machen.

"Weser-Kurier" (Bremen): Dennoch war das Lambrecht-Jahr nur eine weitere Episode in der Serie von minderbegabten bis unfähigen Inhabern der Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr. Lambrechts Vorgängerinnen haben sich ebenso wenig mit Ruhm bekleckert wie etliche männliche Amtsinhaber: Strauß, Scholz, Scharping, Jung ... Unter den bislang 19 Bundesministern der Verteidigung gibt es kaum eine Hand voll denen man bescheinigen kann, einen guten Job gemacht zu haben. Was sicher an den Herausforderungen liegt. Es geht um das Führen einer gewaltigen, hochkomplexen Organisation mit einem enormen Etat – von der man hofft, dass man sie niemals für ihren ureigensten Zweck einsetzen muss. Gleichwohl sind sowohl ihre Angehörigen als auch die umgebende zivile, allem Militärischen weitgehend entwöhnte Bevölkerung stets davon zu überzeugen, dass dieser Apparat notwendig ist.

Der Job ist schon in normalen Zeiten eine Zumutung

"Neue Osnabrücker Zeitung": Überhaupt ist Lambrecht eine der merkwürdigsten politischen Figuren auf dem Berliner Parkett. Über eine unverhohlene Lust am Genuss verfügt sie dort nicht alleine. Aber Hubschrauberflüge Richtung Sylt, Schickeria-Postings in den sozialen Netzen und einen allgemein aufwendigen Lebensstil derart zu inszenieren, war unklug. Es trug nicht zu ihrer Beliebtheit in der Breite bei, dass man ihr eher eine Leidenschaft für das Shopping zutraute als für militärische Technik und die Strukturen der Bundeswehr. Zugleich handelt es sich bei ihr um ein weiteres Beispiel für Sozialdemokraten, die es in einer ehrlichen, aber letztlich ungeschickten Unverstelltheit nicht vermochten, das Wohlwollen der Berliner Blase zu erlangen.

Lambrecht-Rücktritt: "Zügige Lösung muss her" – Politikexperte über Druck auf Olaf Scholz

"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg): Wie in kaum einem anderen Ministerium sind die Mitarbeiter bemüht, zu beweisen, dass der Chef oder die Chefin unfähig ist. Dabei ist es die Mammutbehörde selbst mit ihrem überbürokratisierten Beschaffungswesen und ihrer Resistenz gegen ganz normale Management-Leitlinien. Diesbezüglich bleibt auch Christine Lambrecht im Recht: Sie hat den Job nicht schlechter bewältigt als die meisten ihrer Vorgänger. Für ihre mangelhafte Performance, die in einem amateurhaften und im Grunde zynischen Silvestervideo mündete, trägt sie aber selbst die Verantwortung. Mit ihren dilettantischen Auftritten erleichtert sie ihrem Nachfolger den Einstand. Man sollte aber nicht so blauäugig sein und glauben, dass die Bundeswehr nur durch einen Personalwechsel reif wäre für eine wirkliche Zeitenwende.

"Badische Zeitung" (Freiburg): Ihre Nachfolgerin – oder ihr Nachfolger, sofern der Kanzler seinen Proporz-Irrtum überwindet – wird nur dann eine Erfolgschance haben, wenn Scholz dem neuen Mann oder der neuen Frau einerseits Beinfreiheit einräumt und andererseits selbst energischer als bisher vorangeht: Die Stärkung der Wehrhaftigkeit der Bundeswehr darf sich nicht in einer starken Rede erschöpfen. Nicht zuletzt im westlichen Bündnis wird eine aktive Rolle Deutschlands dringend erwartet.

"Pforzheimer Zeitung": Der Job ist schon in normalen Zeiten eine Zumutung. Doch jetzt, angesichts des russischen Krieges in der Ukraine, braucht es schon viel Überzeugungskraft, jemandem dieses Amt schmackhaft zu machen. Auch deshalb ist es gut, dass Scholz durchsickern ließ, auf die Parität zu verzichten. Zum einen kann’s jetzt nicht um Geschlechterfragen gehen, sondern einzig um die Kompetenz. Zum anderen gilt es dennoch als gut denkbar, dass zum vierten Mal in Folge eine Frau das Sagen haben wird: Mit Eva Högl und Siemtje Möller gelten gleich zwei SPD-Politikerinnen als profunde Kennerinnen der Bundeswehr. Sollte es eine der beiden werden, müsste sie sich nun nicht mehr mit dem Vorurteil herumschlagen, nur der Quote wegen Karriere zu machen. Allein schon deshalb war das Aufheben der Parität ein kluger Schachzug. Viele davon hat’s rund ums Verteidigungsministerium in den vergangenen Monaten ja leider nicht gegeben.

"Rheinpfalz" (Ludwigshafen): Parteitaktische oder sonstige sachfremde Erwägungen dürfen bei Lambrechts Nachfolge keine Rolle spielen. Das würde das Vertrauen der Soldaten und Soldatinnen in den Nachfolger, die Nachfolgerin von vornherein beschädigen. Um einen Vertrauensvorschuss der Truppe zu erhalten, wären auch umfassende Vorkenntnisse über die Bundeswehr wichtig. Zudem fehlt schlicht die Zeit, dass sich jemand noch von Grund auf einarbeitet.

"Lambrecht hatte vom Militär keine Ahnung"

"Handelsblatt" (Düsseldorf): Bei Lambrecht war vor allem eines ausschlaggebend für ihren Rücktritt: Sie hatte vom Militär keine Ahnung und fand nie einen Zugang zu den Soldatinnen und Soldaten. Im Ukrainekrieg mit all seinen Verwerfungen wirkte sie wie eine Getriebene. Der Rücktritt war überfällig. Auch wenn Lambrecht geht – die Probleme bleiben. Sie oder er muss die von Kanzler Scholz ausgerufene "Zeitenwende" mit Leben füllen, die Bundeswehr reformieren und vor allem: das Vertrauen wieder aufbauen. Was braucht es dafür? Wer auch immer an die Spitze der Bundeswehr tritt, sollte sich zuerst einmal eine eigene Meinung zutrauen. "Owd - Olaf will das", mit diesem Kürzel regierte Scholz einst als Bürgermeister in Hamburg und wohl auch im Kanzleramt. Absprachen zwischen Verteidigungsressort und Kanzleramt müssen sein. Doch das Kürzel "Owd" sollte der Vergangenheit angehören.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": Die beste Entscheidung traf Christine Lambrecht am Schluss. Nach etwas mehr als einem Jahr an der Spitze des Verteidigungsministeriums hat auch sie selbst eingesehen, was vielen ihrer Untergebenen, und nicht nur diesen, längst klar war: dass sie die Falsche für dieses Amt ist und das Amt das falsche für sie. (...) Insbesondere wenn stimmt, dass Lambrecht schon länger an Rücktritt dachte, ist schwer zu verstehen, warum der Kanzler und seine Partei seit dem ersten Pfeifen der Berliner Spatzen Tage brauchen, um die Nachfolge zu regeln. (...) Eher schien es schwierig zu sein, eine Person zu finden, die all die Kriterien des Kanzlers erfüllt, darunter offenbar weiter die Geschlechterparität im Kabinett. Auch Scholz selbst steht unter Druck: Einen zweiten Missgriff kann er sich nicht leisten.

"Heilbronner Stimme": Spätestens jetzt ist deutlich geworden, dass für das eine oder andere Ministeramt Fachkenntnisse durchaus von Vorteil wären. Parteiproporz oder Geschlechterfragen dürfen in solchen Fällen keine Rolle mehr spielen. Diesen Luxus kann man sich vielleicht in weitgehend unbedeutenden Regierungsämtern erlauben. Nicht aber dort, wo es auf Experten entscheidend ankommt. Und genau die sind im Verteidigungsministerium jetzt gefragt. Einen parteiunabhängigen Fachmann zu berufen, der vor seinem Ministeramt tatsächlich mal eine Kaserne von innen gesehen hat, wäre daher ein richtiges Signal. Wohl aber eines, zu dem den Regierungsverantwortlichen der Mut fehlt.

Gut, dass es vorbei ist“: Spahn kritisiert Lambrecht – Linke nimmt sie in Schutz

"Westfälische Nachrichten" (Münster): Die Bundeswehr hat in den vergangenen Jahren einige Verteidigungsminister ertragen müssen, die nicht erfolgreich waren. Die letzte Idealbesetzung war Peter Struck. Der Sozialdemokrat schied 2005 aus dem Amt. Die Folge der anschließenden Fehlbesetzungen ist eine Truppe, der es so ziemlich an allem mangelt. In Friedenszeiten störte das niemanden. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 sieht das anders aus. Vor diesem Hintergrund trifft die Kritik an Lambrecht auch den Bundeskanzler: Olaf Scholz hat seine glücklose Ministerin viel zu lange im Amt wurschteln lassen. Die von ihm ausgerufene Zeitenwende beschreibt treffend die von Putin radikal veränderte Sicherheitslage in Europa. Dass der Kanzler trotzdem viel zu lange an seiner fürs Amt ungeeigneten Parteifreundin festhielt, ist der eigentliche Skandal in diesem unrühmlichen Kabinettstück.

mad DPA

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