Europäischer Haftbefehl Uneinigkeit über neues Gesetz

Nach dem Nein des Bundesverfassungsgerichts zum EU-Haftbefehl bleibt unklar, wie es nun weiter geht: Justizministern Brigitte Zypries will noch vor der geplanten Bundestagsneuwahl ein neues Gesetz vorlegen. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hält das für unwahrscheinlich.

Deutsche Tatverdächtige dürfen vorerst nicht mehr ins Ausland ausgeliefert werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte am Dienstag den Europäischen Haftbefehl für grundgesetzwidrig und nichtig. Damit gaben die Karlsruher Richter einer Klage des Deutsch-Syrers Mamoun Darkazanli statt, der wegen Terrorverdachts nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Er wurde nur wenige Stunden nach der Urteilsverkündung freigelassen. Die Entscheidung bringt Deutschland in der EU in große Bedrängnis.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zeigte sich bestürzt über den Richterspruch und kündigte eine schnelle Neufassung des Gesetzes binnen vier bis sechs Wochen an. Bis dahin können Deutsche nicht mehr in andere EU-Staaten ausgeliefert werden. Die SPD-Politikerin sprach von einem "herben Rückschlag für die Regierung bei ihrem Kampf gegen den Terrorismus auf europäischer Ebene". Während auch die EU-Kommission auf eine rasche gesetzliche Neuregelung in Deutschland drang, warnte der Grünen-Politiker Hans Christian Ströbele vor "Schnellschüssen".

Bedenken gegen EU-Haftbefehl

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz glaubt nicht an eine neue Regelung zum Europäischen Haftbefehl noch in dieser Legislaturperiode. Zwar sei das Bundesjustizministerium sicher in der Lage, in vier bis sechs Wochen einen Gesetzentwurf vorzulegen, "der den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes entspricht", sagte Wiefelspütz am Dienstag im Deutschlandfunk. Er könne sich aber nicht vorstellen, "dass wir eine Chance haben, den noch in dieser Wahlperiode zu verabschieden".

Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) fühlt sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehl bestätigt. "Ich habe von Anfang an Bedenken gegen die Umsetzung dieses Europäischen Haftbefehls in Deutschland gehabt, weil der Rechtsschutz für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger nicht gewährleistet ist", sagte die FDP-Europa-Sprecherin der "Leipziger Volkszeitung" (Dienstag).

Zudem verankere das Gesetz nicht ausreichend die Möglichkeit der Nichtauslieferung. Einen Rückschlag bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, wie von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) befürchtet, sieht die FDP-Politikerin nicht.

"Blinder Fleck der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie"

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Hartmut Nassauer, forderte nach dem Karlsruher Urteil in der "Berliner Zeitung" (Dienstag) eine engere Zusammenarbeit von nationalen und europäischen Parlamentariern. In Europa gebe es einen "blinden Fleck der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie". Einerseits seien Kompetenzen an die EU übertragen und so dem Bundestag entzogen worden, andererseits genieße das EU-Parlament aber nicht entsprechende Befugnisse. "Das muss geändert werden", sagte Nassauer.

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte, es müsse nun geprüft werden, ob für den Haftbefehl eine Grundgesetzänderung nötig sei. Die EU werde Deutschland zu keiner Regelung zwingen können, die dem Grundgesetz widerspricht: "Ich bezweifle, dass die Grundsätze des freien Warenverkehrs hier Eins zu Eins übertragen werden können."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Der Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, kritisierte im "Handelsblatt" (Dienstag): "Der Gesetzgeber hat hier seine Hausaufgaben vernachlässigt und die EU-Vorgaben nicht richtig umgesetzt." Er sei "bestürzt" darüber, dass der terrorverdächtige Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli nun wieder auf freiem Fuß sei. Dieser hatte gegen seine Auslieferung nach Spanien in Karlsruhe geklagt.

Terrorverdächtiger Darkazanli ohne Auflagen freigelassen

Die Verfassungsrichter erhoben keine grundsätzlichen Einwände gegen den Europäischen Haftbefehl, verlangten aber Nachbesserungen bei dem 2004 verabschiedeten Gesetz zu dessen Anwendung in Deutschland. Darin sei der Spielraum für eine möglichst grundrechtsschonende Ausgestaltung der EU-Regelung nicht ausgeschöpft worden. Zudem verstoße die fehlende Möglichkeit, den Rechtsweg gegen eine Auslieferungsentscheidung zu beschreiten, gegen das Grundgesetz.

Der Anwalt des in Hamburg mit syrischem und deutschem Pass lebenden Klägers, Michael Rosenthal, sprach von einem "Maximalerfolg". Der 46-Jährige Darkazanli wird von den spanischen Ermittlern beschuldigt, das Terrornetzwerk Al Kaida logistisch und finanziell unterstützt zu haben. Unter anderem soll er am Kauf eines Schiffes für Osama bin Laden beteiligt und dessen Ansprechpartner in der Bundesrepublik gewesen sein. Er wurde am Nachmittag ohne Auflagen freigelassen. Wie die "Stuttgarter Nachrichten" unter Berufung auf das Bundesjustizministerium berichteten, wird Darkazanli nicht weiter beobachtet.

Zwei der acht Richter distanzierten sich von dem Urteil

Gegen den Kaufmann war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auch in Deutschland ermittelt worden, zu einer Anklageerhebung kam es aber nie. Im Oktober 2004 wurde Darkazanli auf Grund eines in Spanien ausgestellten Europäischen Haftbefehls festgenommen. Seine Auslieferung stoppten die Karlsruher Richter aber in letzter Minute bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde.

Die ansonsten unzulässige Auslieferung Deutscher ins Ausland wurde im Jahr 2000 mit einer Grundgesetzänderung an EU-Staaten oder den Internationalen Strafgerichtshof doch ermöglicht, aber nur unter dem Vorbehalt eines entsprechenden Gesetzes. Dieses war nach Rahmenbeschluss des EU-Ministerrats für den Europäischen Haftbefehl vor einem Jahr verabschiedet worden. Jetzt brachte es der Zweite Senat des Verfassungsgerichts unter Vizepräsident Winfried Hassemer zu Fall. In abweichenden Voten distanzierten sich zwei der acht Richter von dem Urteil.

AP · DPA · Reuters
Reuters/DPA/AP