Wie geht man am besten mit Geflüchteten um? Mit den politischen und institutionellen Kräften, die sich um sie kümmern und sie möglichst fair verteilen sollen? Insbesondere nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen am vergangenen Sonntag ist die Debatte auf ein Neues hochgekocht.
Länderchefinnen und -chefs fordern mehr Geld, Kommunen mehr Unterstützung. Die Ampel-Koalition wird kritisiert für eine zu weiche Politik, während die AfD wohl am liebsten sämtliche Menschen ausweisen würde und Unionspolitiker wie Markus Söder Verschärfungen wie eine Obergrenze für Flüchtlinge verlangen, die sich nach dem geltenden Grundgesetz kaum umsetzen ließe. So heißt es zumindest von diversen Expertinnen und Experten.
Doch in der Debatte werden schnell die Menschen vergessen, um die es geht: um Geflüchtete und um Einheimische, die Ängste haben. Etwa eine Viertelmillion, die in diesem Jahr bisher nach Deutschland geflohen sind, um sich ein besseres, sicheres Leben aufzubauen – und die in der Debatte wohl am wenigsten zu Wort kommen. Und andere, die sich vor zu vielen Fremden sorgen und ihr gewohntes Umfeld bedroht sehen. Deshalb wählen sie zum Teil die AfD.
Forscher fordern eine humanere Debatte zu Flüchtlingen
In der Diskussion um mögliche Verschärfungen des Asylrechts fordern 270 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun einen "Menschenrechtspakt in der Flüchtlingspolitik". Der Aufruf bedeutet im Grunde, sich an bestehende Grundsätze zu halten, die Deutschland unterzeichnet hat.
Die Debatte über Flucht und Asyl werde weitestgehend faktenfrei geführt, kritisieren die Forschenden in einem Aufruf. "Wir wenden uns daher mit entschiedenem Nachdruck gegen den Versuch, im Schnellverfahren und in einem 'Deutschlandpakt' die Entrechtung von Menschen auf der Flucht weiter voranzutreiben." Bundeskanzler Scholz hatte den Begriff "Deutschlandpakt" bei einer Generaldebatte im Bundestag eingeführt und eine nationale Kraftanstrengung zur Modernisierung des Landes gefordert.
Ulrike Krause ist Politikwissenschaftlerin und gehört zu den Erstunterzeichnerinnen dieses Aufrufs. Die Juniorprofessorin für Flucht- und Flüchtlingsforschung an der Universität Osnabrück ist überzeugt: "Geflüchtete aufzunehmen bedeutet keinesfalls einen Zusammenbruch der sozialen Ordnung. Flucht und Migration sind Teil der Menschheitsgeschichte und werden es bleiben." Der Aufruf appelliert an die Bundesregierung und hat mittlerweile mehr als 1500 Unterstützer gefunden.
Krause forscht seit Jahren auf dem Gebiet, engagierte sich auch für Organisationen in Krisengebieten. Sie drängt auf eine engere Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen – und der Gesellschaft: "Die politischen Debatten werden zunehmend hitzig und müssen zurück zu menschenrechtlichen Grundlagen geführt werden." Deshalb bräuchte es diesen Pakt gerade jetzt, auch vor dem Hintergrund der Wahlergebnisse.
Migration ist Wahlthema
In Bayern wählte jeder sechste Mensch die AfD, in Hessen jeder Fünfte. In den Nachwahlbefragungen sagten noch mehr Personen, das Thema Migration sei für sie wahlentscheidend gewesen (21 Prozent in Bayern, 18 Prozent in Hessen).
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Die Sorgen und Ängste der Bevölkerung müssten ernst genommen werden, sagt Krause dem stern. Doch sie kritisiert die Debatte darüber: "Nicht Flucht und Migration sind das Problem und haben zu den Wahlergebnissen geführt, sondern die Art und Weise der politischen Sprache darüber." Das habe schon einmal schreckliche Konsequenzen gehabt, so Krause: "Manche Politiker:innen spielen aktuell regelrecht mit der Angst von Menschen und versuchen so, Stimmen zu bekommen. Wohin dies führt, zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen der 1990er Jahre." Die Forscherin bezieht sich auf die rassistischen Anschläge in Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Solingen.
Statt ständiger Abschottungsdiskurse fordert Ulrike Krause gegenüber dem stern weniger eurozentrische Perspektive. Viele Geflüchtete kommen nach Deutschland und Europa. Doch Studien zeigen, dass die überwiegende Mehrheit in Krisenfällen erst mal innerhalb des Landes oder in Nachbarländer flieht: "Deutschland ist Teil der internationalen Gemeinschaft und muss als solches handeln. So zu tun, als würden alle nach Deutschland kommen wollen, ist schlicht falsch."
103 Millionen Geflüchtete weltweit – diese Länder nehmen die meisten auf
Ein Großteil der Menschen kommt aus dem Nachbarland Myanmar, wo die muslimische Minderheit der Rohingya seit Jahrzehnten verfolgt wird, besonders seit einer Offensive der myanmarischen Armee im August 2018. Bangladesch erkennt die Genfer Flüchtlingskonvention zwar nicht an, nimmt aber seit Jahrzehnten eine hohe Zahl an Geflüchteten auf. Diese haben allerdings keinen legalen Aufenthaltsstatus, was die Sicherheitslage für sie schwieriger macht. Bangladesch hat etwa 171 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, Geflüchtete stellen einen Anteil von rund 0,55 Prozent.
Gleichzeitig bemühen sich viele Menschen, konstruktive Arbeit zu leisten. Daran hatte Bundeskanzler Olaf Scholz in den vergangenen Wochen auch immer wieder erinnert. Kommenden Freitag lädt dieser nun zum Spitzengespräch mit Länder-Vertretern und Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Demzufolge könnten Abschiebungen erleichtert und Aufenthaltserlaubnisse unter bestimmten Umständen verlängert werden.
Die Union lobte den Entwurf: "Die Verschärfung der Rückführungsregeln ist überfällig", sagte zum Beispiel die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz.
Fakt ist: Die Bundesregierung steht in der Migrationspolitik vor großen Herausforderungen. Für einige Probleme ist sie nicht allein verantwortlich, doch muss sie Lösungen finden, die möglichst vielen Seiten gerecht werden. Forscherinnen und Forscher wie Ulrike Krause fordern sie auf, dabei nicht die Menschlichkeit zu vergessen.
Weitere Quellen: Verfassungsrechtsblog, Friedrich-Ebert-Stiftung, "Guardian", Bundesinnenministerium, Informationen der Nachrichtenagenturen