Früher war Politik einfach: Wer links ist, wählt SPD. Wer rechts ist, stimmt für die CDU. Und in der Mitte sitzt die FDP und entscheidet, wer Kanzler werden darf. Was Sozialdemokraten seit längerem beklagen, müssen nun auch Konservative begreifen: Der Alleinvertretungsanspruch ist weg. Jüngstes Opfer: Die CSU. Doch die gesamte Union ist gefährdet. Neben ihr klafft eine Lücke. Davon profitierten in Bayern die Freien Wähler. Und auch in anderen Bundesländern setzen sie an zum Sprung in die Landtage. Das war’s dann wohl mit der letzten Volkspartei.
Ronald Pofallas Versprecher ist verräterisch: "Die freiwilligen Wähler haben zugesagt, Horst Köhler mit zu wählen", sagt der CDU-Generalsekretär am Tag nach der Bayernwahl. Der Unterschied zwischen freien und freiwilligen Wählern - der Chef des Konrad-Adenauer-Hauses wird ihn wohl noch lernen müssen. Denn auch wenn Pofalla nach dem CSU-Debakel die Freien Wähler wie selbstverständlich der Union zuschlägt, drängt sich eine Frage auf: Gibt es bald Konkurrenz im eigenen Lager?
Freie Wähler
Die Freien Wähler (FW) sind in Bayern die bürgerliche Opposition zur CSU - aber bisher nur auf kommunaler Ebene. Es handelt sich dabei nicht um eine Partei im herkömmlichen Sinne, sondern um einen Zusammenschluss lokaler Gruppen. Bei Kommunalwahlen treten Freie und CSU-Kandidaten mancherorts sogar auf gemeinsamen Listen an. Manche FW-Kreisverbände wollen sich lieber weiterhin auf die Kommunalpolitik konzentrieren - Vereine, Kindergärten, Straßenbau. Im Landtagswahlkampf lehnen die Freien Wähler den Gesundheitsfonds ebenso ab wie Gentechnik in der Landwirtschaft.
"Viele CDU-Stammwähler haben in den letzten Jahren das Gefühl entwickelt, die Union kümmere sich nicht so sehr um sie, wie es angemessen wäre", sagt Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu stern.de." Das ist ein Gefühl, das wir ernst nehmen müssen - unabhängig davon, ob es berechtigt ist oder nicht." Der Bonner Politologe Gerd Langguth sagt: "Es gibt in Bayern ein Potential rechts von der Union. Dort sammeln die Freien Wähler mit ihrer bürgerlich-konservativen Ausrichtung Stimmen." Jetzt komme es für die Wählergemeinschaft vor allem darauf an, im Münchener Landtag zu beweisen, dass sie professionell arbeiten können, so Langguth, der selber Mitglied der CDU ist.
Ganz unberechtigt sind die Sorgen der Union nicht. Auf kommunaler Ebene stellen die Wählergemeinschaften vor allem im Süden der Republik seit Jahren eine feste Größe dar. Zum Beispiel in Baden-Württemberg. Seit 1989 erringen sie dort regelmäßig Spitzenwerte. Bei der Kommunalwahl 2004 gewannen sie landesweit 8138 Gemeinderäte. Das entspricht 44 Prozent aller Mandate. Die CDU lag mit 5817 Gemeinderäten nur bei 31,4 Prozent. Zum Sturm auf den Stuttgarter Landtag will der baden-württembergische Landesvorsitzende Heinz Kälberer aber noch nicht blasen. Obwohl nach dem Triumph der Freien Wähler in Bayern "diese Frage auf uns zukommen könnte", so Kälberer. Auch ein Karrieresprungbrett für ambitionierte Nachwuchspolitiker seien die freien Wähler nicht wirklich: "Wer in der Politik etwas werden will, kommt nicht zu uns, sondern geht in eine Partei."
Zudem gebe es - wie Kenner der Parteien munkeln - in Baden-Württemberg wohl ein konservatives Gentlemen-Agreement. Der Deal soll so aussehen: Auf kommunaler Ebene krümmt die CDU von Ministerpräsident Günther Oettinger den Freien Wählern kein Haar, im Gegenzug treten die nicht bei Landtagswahlen gegen die CDU an. Doch der Erfolg in Bayern macht plötzlich Lust auf mehr. "Ursprünglich hatten wir in der Satzung festgelegt, dass wir die kommunale Ebene nicht verlassen würden", sagt Armin Grein, Bundesvorsitzender der Wählergemeinschaften. Da aber die Bundespolitik immer stärker Einfluss auf die Kommunalpolitik nehme, "haben wir reagiert und treten nun auch auf Länderebene an." Und dann sagt er den Satz, der in der Union die Alarmglocken auf Dauerbetrieb stellen dürfte: "Längerfristig wollen wir auch im Bund angreifen."
Auf dem Weg dahin wolle man sich zunächst in anderen Bundesländern etablieren. Dafür stünden die Chancen nicht schlecht, sagt der Jurist Hans Herbert von Arnim von der Hochschule Speyer zu stern.de: "Auch in anderen Bundesländern droht der Union große Gefahr. Ich gehe davon aus, dass die Freien Wähler vor allem in den neuen Bundesländern in Landtage einziehen werden." Und auch in Schleswig-Holstein formiert sich eine bürgerliche Alternative. Die dortigen Freien Wähler stellen die Weichen für eine Landtagskandidatur. Deren Landesvorsitzender Malte Tech sagt: "Wir wollen in den Kieler Landtag einziehen. Die Resonanz stimmt mich zuversichtlich, dass wir das schaffen können."
Leere Drohungen? Nicht unbedingt. In Flensburg wurde die Wählergruppe "Wir in Flensburg" bei der letzten Kommunalwahl auf Anhieb mit 22,3 Prozent stärkste politische Kraft. Die CDU sackte um mehr als 16 Punkte ab und kam nur noch auf 20,5 Prozent.

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"Nur noch Merkel, Merkel, Merkel"
"Die Volksparteien geraten immer mehr unter Druck", sagt von Arnim. Dass die Erfolge der Freien Wähler kein vorübergehendes Phänomen sind - davon ist Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstitutes Forsa überzeugt: "Ich glaube, das ist keine Eintagsfliege. Die Freien Wähler haben Gesichter, sind verankert vor Ort." Von der Zersplitterung der klassischen Milieus ist nun auch die Union bedroht.
Und ähnlich wie bei der SPD, ist die Krise der CDU hausgemacht. Der Bonner Politologe Langguth sagt: "Die Freien Wähler stehen für ein Milieu, das in der Union momentan kaum noch vertreten ist. Angela Merkel spricht vom Typus her eher die Wechselwähler an, die Stammwähler weniger. Die Union ist nur noch Merkel, Merkel, Merkel." Ist die Kanzlerin also zu modern für die CDU-Stammwähler, die Union zu links? Auf den ersten Blick eine seltsame Überlegung.
Fest steht, dass die Chancen auf eine Wiederwahl Angela Merkels zur Kanzlerin seit dem Bayern-Debakel nicht grade gestiegen sind. Für einen Wahlsieg braucht die Kanzlerin dringend die Stimmen aus Bayern. Demoralisierte Konservative kann sie nicht gebrauchen. Fährt die CSU im September 2009 ein ähnliches Ergebnis ein wie jetzt - Merkel könnte sich die Kanzlerschaft abschminken. Das ist es, was Ronald Pofalla nicht sagte nach der Bayernwahl.