Gesundheitsreform Die Eckpunkte stehen

Ganze sieben Stunden haben die Spitzen der großen Koalition gebraucht, dann hatten sie sich auf die Eckpunkte der Gesundheitsreform geeinigt: Teile des Systems sollen künftig aus Steuertöpfen bezahlt werden.

Die große Koalition hat sich grundsätzlich auf eine Teilfinanzierung des Gesundheitswesens aus Steuern verständigt. Frühestens von 2008 an sollen die rund 16 Milliarden Euro für die Krankheitskosten von Kindern aus Steuermitteln bezahlt und die Beitragszahler entsprechend entlastet werden. Konkrete Beschlüsse fielen beim Koalitionsausschuss in der Nacht zu Montag aber noch nicht. Auch über Steuererhöhungen wurde nicht entschieden. "Es geht auf gar keinen Fall darum, den Bürgern in die Tasche zu greifen", bemühte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Ängste vor einer neuerlichen Steuererhöhung zu dämpfen.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller berichteten im ARD-Morgenmagazin von einer Richtungsentscheidung. Der Umbau der Finanzierung von Beiträgen hin zu Steuern sei wegen der vielen familienpolitischen Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung sinnvoll, sagte Schmidt. Beide sprachen von einem erforderlichen Finanzierungsvolumen von 16 bis 24 Milliarden Euro. Im Finanzministerium werden bis zur Entscheidung am kommenden Sonntag mehrere Modelle durchgerechnet, wobei nach Sprecher-Angaben direkte Steuern im Vordergrund stehen. Erhöht werden könnten demnach etwa die Einkommen- , Lohn-, Kapitalertrag- oder Körperschaftsteuer. Dazu sind verschiedene Stufenmodelle im Gespräch.

Im Vordergrund stehe eine Strukturreform mit Einsparungen, mehr Wettbewerb und mehr Wahlfreiheit für Patienten, sagte Merkel. "Da haben wir einige sehr, sehr gute Erfolge erzielt." Nach Angaben von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sind Einsparungen von mehr als zwei Milliarden Euro gesichert. Den absehbaren Proteststurm der Lobbyisten müssten Union und SPD gemeinsam durchstehen, sagte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil.

Vermeidung von Doppel-Untersuchungen

Zu den Strukturreformen gehören nach Angaben des Gesundheitsministeriums mehr Vertragsfreiheit für Kassen und Ärzte sowie die Verzahnung von Kliniken und Praxen. Doppel- und Dreifachuntersuchungen könnten so vermieden werden, sagte Sprecher Klaus Vater. Bei den Arzneimitteln sei eine Ergänzung der Nutzen- durch eine Kostenbewertung geplant. Es werde nicht nur "frisches Geld" ins System gepumpt.

Kompromissangebot für Föderalismusreform

Für die geplante Föderalismusreform gibt es ein neues Kompromissangebot. Unmittelbar vor der möglicherweise entscheidenden Sitzung der SPD-Fraktion in Berlin verständigten sich Fachleute und Verfassungsexperten auf eine weitere Nachbesserung des Kompromisspakets. Danach soll künftig jedes einzelne Land entscheiden, ob Programme des Bundes im Bereich der Wissenschaft akzeptiert werden oder nicht. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber forderte die SPD auf, die Föderalismusreform nicht länger zu blockieren und den Weg für die Staatsreform freizumachen. "Die SPD hat hier ein Problem, ich hoffe, sie hat kein Autoritätsproblem", erklärte der CSU-Vorsitzende. Die SPD-Bundestagsfraktion wolle im Grunde weit reichende Veränderungen an der Föderalismusreform. Dies sei aber mit der großen Mehrheit der Länder und mit der Union nicht zu machen gewesen.

Nach dem Koalitionsausschuss hatte sich eine Runde von Fachleuten und Verfassungsexperten über abschließende Details und Formulierungen verständigt. Stoiber nannte die jetzt gefundene Formulierung im Hochschulbereich akzeptabel. Sie führe zu keiner Machtverschiebung in den Bildungsfragen. Auch die Bildung der Kinder an den Schulen bleibe ausschließlich Sache der Länder.

Nach Merkels Worten zielen die Pläne auf die stärkere Entkopplung von Gesundheits- und Arbeitskosten ab. "Dabei geht es für mich um die Frage, ob die Kinder - so wie die Union das immer gesagt hat - in der Zukunft schrittweise finanziert werden können auf andere Art und Weise als über die Beiträge." Um mehr als 20 Milliarden Euro aus Steuern gehe es nicht. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte: "Die Steuern werden ganz sicher nicht erhöht, um Löcher zu stopfen." Bei der Reform gehe es "um Einsparungen, Einsparungen und nochmal Einsparungen," so Profalla. Steuergelder in einer von der SPD ins Gespräch gebrachten Höhe von 45 Milliarden Euro ins Gesundheitswesen zu lenken, lehnte Profalla strikt ab. "Über ein solches steuerfinanziertes Volumen kann mit der CDU nicht geredet werden." Auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und sein hessischer Kollege Roland Koch (CDU) bekräftigten die Ablehnung eines Modells mit mehr als 20 Milliarden Euro.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Zweifel an Einigung bis Anfang Juli

Auch Vorschläge zum Ausgleich des bereits 2007 erwarteten Milliardendefizits der gesetzlichen Kassen werde die Arbeitsgruppe (AG) Gesundheitsreform bis Sonntag vorlegen, sagte Vater. Die AG setzte ihre Beratungen fort. CSU-Generalsekretär Markus Söder äußerte im Deutschlandradio Kultur Zweifel an einer Reform-Einigung bis Anfang Juli. SPD-Chef Kurt Beck zeigte sich zuversichtlich, fügte aber hinzu: "Die letzte Strecke zum Gipfel ist immer noch besonders anstrengend."

Zöller sprach sich gegen die Einbeziehung der privaten Krankenkassen in den anvisierten Gesundheitsfonds aus. Freiwillig gesetzlich Versicherte sollten aber ohne Altersbegrenzung in eine Privatkasse wechseln können. Zudem solle man künftig von einer privaten Kasse zur anderen wechseln und dabei Altersrückstellungen mitnehmen können. Nach Heils Worten einigte sich die Koalition darauf, dass die Privatkassen alle aufnehmen müssen.

FDP-Chef Guido Westerwelle sprach von einem "faulen Kompromiss". Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte, die Koalition gehe nicht gegen "Machtkartelle und Lobbys" vor.

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